Volltext Seite (XML)
KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YGIE N E - M U S E UM Freitag, 17. April 1964, 19.30 Uhr Sonnabend, 18. April 1964,19.30 Uhr Sonntag, 19. April 1964,19.30 Uhr 10. ZYKLUS-KONZERT und 4. Abend im Anrecht C für Betriebe MOZART - MAHLER Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solisten: Walter Hartwich, Dresden, Violine Annelies Burmeister, Dresden, Alt Karl-Friedrich Hölzke, Dresden, Tenor Wolfgang Amadeus Mozart 1756 i79i Konzert für Violine und Orchester, D-Dur, KV 218 Allegro Andante cantabile Rondo (Andante grazioso-Allegro ma non troppo) — Pause — Gustav Mahler 1860-19H Lied von der Erde (Text aus dem Chinesischen übersetzt von Hans Bethge) Das Trinklied vom Jammer der Erde Der Einsame im Herbst Von der Jugend Von der Schönheit Der Trunkene im Frühling Der Abschied Dr. Dieter Hartwig GUSTAV MAHLER Bildnis einer großen Musikerpersönlichkeit (IX) Am nächsten kam Mahler der Wirklichkeit seiner Zeit dort, wo er Krieg und Unterdrückung dem Frieden und Glück des Menschen bewußt gegen überstellte. Die Sache der Leidenden und Geschlagenen, der Mühseligen und Beladenen verfechtend, ergriff er in zahlreichen Liedern Partei gegen Zwang und Krieg, gegen Hunger und Not, gegen Dummheit und Bigotterie. Nicht zufällig verwendete er gerade viele derartige Liedmelodien in seinen Sinfonien, deren Zielsetzung damit einen bestimmten Charakter gebend. Ein urkräftig-lapidarer Volkston, der immer wieder Mahlers Themen sprache eigen ist, kennzeichnet etwa die ersten vier Sinfonien mit ihrer phantasievollen Volkstümlichkeit. Es überrascht stets aufs neue, welch tiefer Einblick in die Seele der Volks dichtung dieser* so hochdifferenzierten, komplizierten Komponistenpersön lichkeit gelang. Insbesondere sind seine Vertonungen von Texten aus „Des Knaben Wunderhorn“ Ausdruck dieses seines urtümlichen Verhält nisses zur Volksdichtung, zugleich Ausdruck seines eigenen Wesens und Charakters, des wissenden, einsamen Künstlers um die Jahrhundertwende. Vor allem Ausdrucksbereiche der Liebe, des Trostes, des Friedens in der Natur sind in der Tonsprache des österreichischen Volksliedes gehalten. Etwa die Hälfte der von Mahler gewählten Texte sind heitere oder traurige Liebeslieder, die andere Hälfte jedoch Gedichte mit einer bestimmten, welt anschaulichen Aussage, in denen die für den Komponisten ungemein typi sche scharfe Kontrastierung von Gut und Böse begegnet. Auch wo Mahler sich der Kunstdichtung zuwandte — beispielsweise in den Rückertschen ,.Kindertotenliedern“ —, übernahm er in Melodik, Harmonik und Klang wirkungen Entscheidendes von der Volksliedmethode der „Wunderhorn“- Gesänge. Ein herzlicher, warmer Humor, eine „wienerische“ Fröhlichkeit lebt in vielen Mahlerschen Tonwerken. Gern singt er von der Liebe und der Natur. Sein Naturgefühl hat Rousseausche Hingabe. Die reine, unverfälschte Natur — im Gegensatz zur Unreinheit und Lüge der ihn umgebenden menschlichen Welt gesehen — sah Mahler gewissermaßen vermenschlicht, von menschlich leidenden und empfindenden Wesen belebt, wie den Tieren und Blumen im Wald seiner 3. Sinfonie. Um Fragen der Menschheit, um eine tiefe Auseinandersetzung mit den Fragen des menschlichen Daseins geht es in jeder seiner Sinfonien, deren Begriff er von Beethoven übernahm. Sich zum Inhaltswert, zur großen Idee in der Musik bekennend, schrieb er: ,,... auch die Beethovenschen Sinfonien haben ihr inneres Programm, und mit der genaueren Bekanntschaft mit einem solchen Werk wächst auch das Verständnis für der Ideen richtigen Empfindungsgang. So wird es endlich auch bei meinem Werk sein.“ Er bekannte sich zum Primat der Melodie und verlangte „Themen klar und plastisch, daß man sie in jeder* Umgestaltung und Weiterentwicklung doch wieder deutlich erkennt — und dann eine wechselvolle und vor allem durch logische Entwicklung der inneren Idee — andererseits durch echte Gegensätzlichkeit der gegenüberge stellten Motive fesselnde Ausführung“. Die lyrischen langsamen Sätze der Mahlerschen Sinfonien künden häufig naturhaft, voller Glauben von Menschenglück und Harmonie. Jene an Volksliedthemen gereiften Sinfonien geben sich zart und innig, überschäu mend lustig oder* sind auch von dunkler, schmerzvoller Tragik und