Wie auch in anderen musikalischen Gattungen und Formen, stößt Ludwig van Beethoven auch in seinen Ouvertüren inhaltlich wie formal in neue musikalische Bereiche vor. War die Opernouvertüre noch bis zu Händel ein vom musikalischen Inhalt des nachfolgenden Werkes losgelöster Teil, der als italienische bzw. fran zösische Ouvertüre nach ganz bestimmten Schemen gebaut war, gingen Gluck und später Mozart durch die Ouvertüre stimmungsmäßig auf den Inhalt der be treffenden Oper ein, so erhält sie bei Beethoven einen ganz deutlich pro grammatischen Charakter. Zu seiner einzigen Oper „Fidelio" schrieb Beethoven allein vier Ouvertüren — die Fidelio-Ouvertüre und die drei Leonoren-Ouver- türen —, die deutlich das Ringen des Komponisten um eine immer sich steigernde inhaltliche und formale Präzisierung seines Programms widerspiegeln. Dabei vewendet er in ihnen auch thematische Anklänge, wenn nicht ganze Themen aus der Oper selber. Deutlicher aber fast noch in der Absicht mußten seine Ouver türen zu Dramen des Sprechtheaters sein. Hat d e zu dem Stück „Coriolan“ — einer Bearbeitung des Shakespeareschen Dramas - das Schauspiel selbst über dauert, so hat sich die heute erklingende Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel „Egmont" sowohl im Theater wie im Konzertsaal durchgesetzt. Entstanden in der Epoche des wachsenden Widerstandes Europas gegen die Unterdrückung durch Napoleon, in der patriotischen Periode auch des Komponisten, in der geistigen Nähe des „Fidelio", der 5. und der 7. Sinfonie, wurde die Schauspielmusik zu Goethes „Egmont", aus der Ouvertüre und neun weiteren Teilen bestehend, am 15. Juni 1810 das erste Mal gespielt. Beethoven erweitert diese, wie seine an deren Ouvertüren zu sinfonischen Dichtungen, die'die wesentlichen Konflikte des Dramas musikalisch schildern. Das Werk beginnt mit schweren, dumpfen Akkorden im Sarabandenrhythmus, die die Last des spanischen Unterdrückers, die dumpfe Figur Albas charakterisieren (die Sarabande war ein spanischer Tanz!) Klagende Seufzer der Holzbläser erheben sich aus dieser lastenden Stimmung. Sie werden dringender, treten auch in den Streichern auf, doch dann wechselt die Farbe: Aus Klage wird Anklage, aus Unterdrückung wird Kampf gegen die Unterdrückung. Ein Allegro schwillt an, ein stolzes Thema erklingt in den Celli, die Motive werden kürzer, härter, dann vereint sich das ganze Orchester im Kampf. In der Verkürzung, rhythmisch aber genau erkennbar, er scheint das Sarabandenmotiv aus der Einleitung — der Gegner ist noch da. Doch setzt sich die kämpferische Stimmung wieder durch, der Allegroteil wiederholt sich, wieder ertönt das gegnerische Sarabandenmotiv, diesmal schon fast trium phierend. Im Pianissimo der Holzbläser scheint der Freiheitswille zu ersterben, doch da bricht der Triumph des wahren Sieges hervor, leise zuerst, dann immer mehr sich steigernd, immer stärker werdend erheben sich die stolzen Siegesfan faren dieses Schlußteils, die nicht nur in dieser Ouvertüre, sondern gleichlaut in der Siegessinfonie am Schluß des gesamten Dramas verkünden: Wenn auch der Freiheitsheld Egmont fallen mußte, siegt die Freiheit des Volkes dennoch. Reinhard Schau