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Zur Einführung In wenigen Tagen, am 11. Juni, jährt sich zum einhundertsten Male der Geburtstag von Richard Strauss. Am 8. September kehrt sein Todestag zum fünfzehnten Male wieder. Die musikalische Welt gedenkt eines Man nes, der gleichermaßen Konzertsaal und Opernbühne, in ebenso reicher Weise Interpreten und Publikum mit einer Vielzahl meisterhafter Werke beschenkt hat. Es ist unmöglich, in wenigen Worten das ungemein viel schichtige Gesamtwerk dieses Meisters zu würdigen, unmöglich auch, die Widersprüchlichkeiten seiner Entwicklung, die die Widersprüchlichkeiten seiner Epoche waren, aufzudecken und zu werten. Doch mögen wenigstens einige Sätze eines hervorragenden Strausskenners, seines Biographen Ernst Krause einige wesentliche Hinweise zu seiner Betrachtung geben. „Das Werk von Richard Strauss, das Romain Rolland einmal das ,letzte große europäische Ereignis der Musik’ nannte, gehört bereits der Musik geschichte an. Strauss stand am Ende einer bürgerlichen Kunstepoche, nicht am (Beginn einer neuen Zeit. Der Meister - des psychologischen Zeit alters, der bestechende Klangzauberer und Alleskönner war zugleich der letzte in der Reihe jener Musiker, die in ihrem Denken und Fühlen alle Kräfte vergangener Jahrhunderte in sich vereinigten. Das Werk von Strauss ist, vergleichbar dem Geheimnis Ariadnes, tatsäch lich: Verwandlung. Man sieht in ihm, dem Programmsinfoniker und Musikdramatiker, einen Hauptvertreter des aufkommenden Naturalismus. Aber ebensogut lassen sich in seinem Werk Züge des Realismus aufdecken, welche die gesellschaftliche Wahrheit bestimmter kulturgeschichtlicher Epochen widerspiegeln. Die Ebene seines dem Eros zugewandten Werkes ist die ,Sympathie mit dem Leben’, ist das Diesseits. Er zeigte, daß man gegen den Strom schwimmen kann, wenn man die Kraft dazu hat. Strauss hat in seinem langen Leben siebzehn Bühnenwerke, Opern und Ballette, vierzehn Orchesterwerke, sechs konzertante Werke, Kammer musik und eine große Anzahl von Liedern, gültige Zeugnisse und ,Zwi schenarbeiten' geschrieben. In seinem Schaffensdrang unermüdlich, im Handwerklichen unantastbar, im Gefühlsmäßigen ehrlich, im Leben selbst sicher und im Inhaltlichen subjektiv und zeitgebunden, war er ein echt deutscher Komponist in der schwierigen Zeit des sozialen Umbruchs und der Stilübergänge. Das .verkannte Genie' der Wilhelminischen Epoche, als Avantgardist zu nächst gefürchtet und dann gepriesen, aber schon 1919- von der vorwärts- stürmenden Jugend als .unmöglicher Erzreaktionär' verdächtigt und fast völlig isoliert von den ungeheuren sozialen Veränderungen der Jahre nach dem zweiten Weltkrieg — so spannte sich der Lebensbogen dieses Musikers, der sich im musikalischen .Fortschritt' der bürgerlich-imperialistischen Zeitwende bildete, später wandelte und doch gleichblieb.“ Macbeth — die Tondichtung für großes Orchester (nach Shakespeares Drama) op. 23 steht eigentlich am Wegbeginn des jungen Programmusikers Richard Strauss. Schon vor dem „Don Juan“ hatte sich der zu jener Zeit in München wirkende Kapellmeister mit dem psychologisch reizvollen Stoff beschäftigt und 1886 eine erste Fassung hervorgebracht. Hans von Bü low riet Strauss zu einer Umarbeitung, die außer instrumentatorischen Fra gen vor allem die Schlußlösung betraf. Kühn hatte der unkonventionell denkende junge Komponist das düstere Gemälde mit einem Triumphmarsch des Macduff beendet, hatte in optimistischer Weise die Kräfte des Lebens über die des Todes und der Inhumanität hinwegsteigen lassen. Doch schien diese Version doch zu gewagt, dem Stoff nicht recht angemessen, und so kam das Werk erst nach erheblicher Überarbeitung im Oktober 1890 in Weimar zur ersten Aufführung. Gleich den anderen frühen programmati schen Kompositionen ging es Strauss bei der musikalischen Widerspiege lung des finsteren Shakespearestoffes um die kompositorische Umsetzung der zentralen Idee, um die Zeichnung großer — wenn auch negativer — Charaktere; Illustratives lag ihm — noch — fern. So kennzeichnet er mit begleitenden Worten auch nur zwei thematische Erfindungen. „Macbeth“ schreibt Strauss in den 6. Takt der Partitur, wo düstere, markante Sekund schritte der schaurig klingenden Baßtrompete und der Hörner mit wild zerklüfteten Streicherfiguren verbunden sind. Dennoch wohnt dieser fin steren Themenkombination auch Größe inne, entsprechend dem Charakter bildnis, das der große Brite darstellt. Zur Zeichnung der Lady Macbeth zitiert der Komponist einige Verse des machthungrigen Weibes: „O eile! Eile her. Damit ich meinen Geist in deinen gieße, Durch meine tapfere Zunge deine Zweifel Und Furchtgespenster aus dem Felde schlage, Die dich wegschrecken von dem goldenen Reif, Womit das Glück dich gern bekrönen möchte.“ Verführerisch taucht in den Holzbläsern in verwirrendem Wohlklang von Terz- und Sextgängen das Lady-Thema auf, um in der Folge immer mehr Einfluß auszuüben. Eine lyrische Weise gaukelt Liebesglück vor, charakte ristischerweise stetig von den gleisnerischen Terzketten der Lady umwoben. Aus der Verführung ergeben sich neue Bilder, harte, wilde, brutale, die der Rache, des Krieges, des Mordes. Strauss malt mit den vielfältigen Farben seiner reichen Orchesterpalette das kompromißlos herbe Bild des dämo nischen Paares und seiner Bluttaten, steigert in großen dramatischen Strichen das Geschehen bis zum Aufschrei des Orchesters, bis zur blutig grausamen Konsequenz. Dann muß dem Verbrechen die Sühne folgen. In Düsternis und Nacht erscheint noch einige Male das Macbeth-Thema, auch jetzt noch der Größe nicht ganz entbehrend, und in das Grauen mischt sich cler Schmerz der Tragödie. Eine spätere Entwicklungsphase des Komponisten wird uns in seinem „Don Quichote“ offenbar. „Phantastische Variationen über ein Thema rit terlichen Charakters“ überschreibt Strauss sein Opus 35, das 1898 in Köln seine Uraufführung erlebte. Auch in dieser Komposition erkennen wir seines Schöpfers Bestreben, Programmatisches in vorhandenen musikali schen Formen wiederzugeben, der Gefahr des Auseinanderfließens durch Bindung an die gewählte Form zu begegnen, wie das im Rondo des „Till Eulenspiegel“ oder in der frei behandelten Sonatenhauptsatzform des „Don Juan“ geschehen war. Doch konnte man in den frühen Tondichtungen, im „Macbeth“ oder im „Don Juan“, auch in „Tod und Verklärung“ seine Bin dung an ein Programm im Wesentlichen als eine Bindung an eine Idee verstehen, galt hier noch mehr das Beethovensche Wort über die Pastoral sinfonie. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“, so erweist sich der Strauss des „Don Quichote“ — so wie später der der „Sinfonia domestica“ oder der „Alpensinfonie“ — als artistischer Beherrscher musikalischer De tailzeichnung, mehr als Illustrator denn als Programmatiker. Aber spürt man auch die offensichtliche Freude des Komponisten an der musikalischen Schilderung äußerer, manchmal sogar äußerlicher Geschehnisse, so bewun dert man darüber hinaus die Meisterschaft, mit der Strauss es versteht, den kauzigen, zutiefst tragikomischen Charakter des „Ritters von der trau rigen Gestalt“ plastisch wiederzugeben, in den verschiedenen Situationen zu variieren, ihn mit der erdverbundenen Schläue der Sancho-Pansa-The- matik zu kontrastieren und ihn zudem — besonders am Schluß — mit der Warmherzigkeit mitfühlender Empfindung zu überglänzen. So wächst ge rade der „Don Quichote“ über zweifellos vorhandene filmisch illustrierende Momente zur gleichsam sinfonischen Charakterkomödie hinaus. Aus der Vielzahl der Episoden, die den herrlichen Roman des Cervantes so prall füllen, wählt Strauss zehn aus, denen er jeweils eine Variation widmet. Die Introduktion zeigt — nach Straussens eigenen Worten — „Don