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Memmr Anzeiger Erscheint Dienstag, Donnerstag u. Sonnabend. Abonnementspreis einschließlich zwei illustrirter achtseitigen Beilagen sowie eines illustrieren Witzblattes 1,50 Mk. Zeitung für WM, Skisresdors. Inserate kosten die Spaltenzeile oder deren Raum 10 Pf., für auswärtige Inserenten 15 Pf., Reklamen 20 Pf. Annahme von Anzeigen für alle Zeitungen. 13. Jahrgang. Nummer 141. Donnerstag, den 29. November 1900 Bekanntmachung, — Nach einer von der Königlichen Amtshauptmann- schafl Dresden-Altstadt erlassenen Verfügung vom 6. dss. Mts. hat° dieselbe beschlossen, auch in diesem Jahre für die 4 Adventssonntage — 2., 9., 16. und 23. Dezember — und den Sonntag vor Neujahr in denjenigen Gemeinden ihres Bezirkes, in welchen die örtlichen Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, eine Vermehrung der Stunden, während welcher- Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe an Sonntagen beschäftigt werden dürfen, eintreten zu lassen. Es wird daher für hiesige Stadtgemeinde die Verkauss- zeit an den obenangeführten Sonntagen auf die Dauer von 10 Stunden, jedoch mit Ausnahme der für die öffentlichen Gottesdienste bestimmten Zeiten, festgesetzt und zwar a) für den Verkauf sämmtlicher Eß- und Material- waaren, einschließlich des Verkaufs von Tabak und Cigarren, von früh 7 bis 9 Uhr und von Vorm. 11 bis Abend 7 Uhr, b) für den übrigen Kleinhandel von Vorm. 11 bis Abend 9 Uhr. Rabenau, am 28. November 1900. Der Bürgermeister. Wittig. Aus Nah und Fern. — Nach längerer Pause hält der hiesige Dram. Wohl- thätigkeitsverein „Frohsinn" kommenden Sonntag im Saale des Amtshofes einen Theaterabend ab. Zur Aufführung gelangt der vieraktige Schwank „Die treulose Philippine" von R. Kneisel. Die Wahl desselben, als auch die Mitwirkung hiesiger guter Kräfte dürfte dazu beitragen, zur Unterstützung hilfsbedürftiger Arinen einen ansehnlichen Reingewinn abführen zu können. — Für das nächstjährigeHeeresersatz- geschäst wird denjenigen jungen Männern, welche in dem Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1881 geboren sind, in Erinnerung gebracht, daß sie zur Vermeidung von Nachtheilen und Weiterungen sich mit Geburtsscheinen oder sonstigen Ausweismitteln über die Zeit und den Ort ihrer Geburt zu versehen haben. Die für diesen Zweck aus den Geburtsregistern der Standesämter zu ertheilenden Bescheinigungen werden kostenfrei ausgefertigt. Der Zeit punkt für die Anmeldung zur Rekrutirungs-Stammrolle wird in der ersten Hälfte des Monats Januar k. I. bekannt gemacht werden. — Im Gasthofe zu Niederhäslich fand letzter Tage eine Protestversammlung statt gegen die Amtsenthebung der Hebamme Ehrhardt daselbst. Diese Versammlung war von ca. 1000 Personen besucht, vorwiegend Frauen, während Hunderte keinen Einlaß mehr bekommen konnten. Die ge flogenen Auseinandersetzungen fielen sämmtlich zu Gunsten der abgesetzten Hebamme aus und wurde schließlich eine Protest- Resolution einstimmig angenommen. Dieselbe soll außer der Königs. Amtshauptmannschast auch den Gemeinderäthen zu Deuben und Niederhäslich zugesendet werden. Mit einem Hoch auf Frau Ehrhardt fand die Versammlung ihr Ende. — Der seit Juli 1897 bei der König!. Amtshaupt- mannschafl Dippoldiswalde amtirende Sekretär Henke ist vom I. Januar 1901 ab unter Beförderung zum Ober sekretär an die König!. Amtshauptmannschast Meißen und Expedient Schu in a n n in gleicher Eigenschaft von dem selben Tage ab zur Amtshauptmannschast Dippoldiswalde versetzt worden. — Letzter Tage brannten die drei mit Ernte- vorräthen gefüllten und mit Stroh gedeckten Scheunen der Herren Pietzsch, Benedix und Schreiber in Krebs bei Pirna vollständig nieder. Den Klammen sielen auch mehrere Gänse, sowie viele Wirthschaftsgegenstände, Maschinen rc. zum Opfer. — Bei einem Brande auf dem Gehöft des Guts besitzers Schwedter in Eichwalde, Kreis Marienburg, kamen 85 Stück Rindvieh und alle Pferde in den Flammen um. — Der Raubmörder Gönczh scheint sich in sein Geschick zu fügen- Er ist jetzt viel ruhiger und gefaßter als früher und wartet ab, was mit ihm geschehen wird, ohne jeden Tag nach neuen Ausflüchten zu suchen. Der „Giftmörder vom Teufelssee" Jänicke spricht mit sich selbst den ganzen Tag kaum ein Wort, fragt niemals nach Diesem oder Jenem, sondern giebt nur auf Fragen ruhig und be scheiden Antwort. — EinKinderspiel mit tragischemAus- gang. In Sokolnik bei Kempen spielten dieser Tage ungefähr 40 Knaben Krieg. Die eine Partei bildete die Chinesen, die andere die Russen. Letztere siegte und nahm einen der Chinesen gefangen. Dem Gefangenen wurde ein Strick um den Hals geschlungen. Der Gefangene wurde hierauf an einen Baum gebracht und heraufgezogen. Dabei streckte er die Zunge heraus. Die Knaben achteten jedoch darauf nicht; als sie den Gehängten aber nach einer Weile herabließen, war er eine Leiche. — Das Gewehr im Postpacket! Dieser Tage wurde beim Postamte in Zabern ein Packet aus Thorn nach Bruinath übergeleitet, welches ein Gewehr enthielt. Dieses Gewehr war so verpackt, daß man den Hahn und die Ladevorrichiung sehen konnte. Zufällig besah sich der Packkammerunterbeamte das Gewehr genauer und erkannte zu seinem Schrecken, daß dasselbe scharf geladen war. Seine Beobachtung theilte er sofort dem diensthabenden Beamten mit, welcher dann die Entladung vornahm. Die Patrone war eine scharfe Centralfeuerpatrone und hätte sich bei einem Druck auf den Hahn sofort entladen. Jedenfalls hat da ein glücklicher Zufall vielleicht sehr großes Unheil Verhütet. Die amtliche Untersuchung wurde sofort eingeleitet. Der Herr von Neurode. Von Josephine Gräfin Schwer,». (Nachdruck «erboten.) Sie gingen schweigend neben einander; Gert in ge spannter Erwartung; es schien, als ob sie ihm Wichtiges zu sagen habe, was könnte es sein? Gert und Elisabeth hatten bald eine Bank erreicht, und wie sie Platz genommen, begann sie: „Es wird Ihnen vielleicht sonderbar und aufdringlich scheinen, was ich Ihnen sage» will, Herr von Meinhardt, doch an zu ängst licher Zurückhaltung scheitert so manches, was für zwei Menschen gut und heilsam sein konnte. Ich hoffe, vor einer falschen Bcurthcilung Ihrerseits sicher sein zn dürfen?" Das war wie eine Frage ausgesprochen, und so be eilte Gert sich, zu erwidern: „Es wäre mir unmöglich, gnäoigste Frau, irgend etwas, was Sie mir zu sagen haben, anders als mit Dank und Verehrung für Sie anszufassen." Sie neigte leicht den Kopf. „Ich danke Ihnen." Er fühlte sich erregt und beklommen zugleich, diese Einleitung — was konnte sie meinen? „Sie sprachen öfter und besonders heute von Ihrer Mutter," fuhr sie fort; „ich habe durch Ihre Mittheilungcn ein reges Interesse für die Dame und ihr trauriges Leiden gewonnen. Sie erwähnten heute, daß sie dringend eine helfende Gefährtin für sie wünschen, und Sie haben recht, sie bedarf einer solchen. Sie meinten, es sei schwer, eine geeignete Dame zu finden; wie wäre es, wenn Frau von Meinhardt es einmal mit mir versuchte? Ich habe die Ueberzeugung, daß wir uns verstehen würden." Das hatte Gert nicht erwartet, er fühlte sich bestürzt, fassungslos. „Sie, das ist ja unmöglich," stammelte er. „Sie halten mich für durchaus ungeeignet?" fragte sie. „Mein Gott, es wäre ja wundervoll, ideal, der Ge- i danke, Sie in Neurode zu haben — doch es ist unmöglich, eine Dame in Ihrer Stellung, Ihren Verhältnissen." — Alles das kam stockend, dann wieder überstürzt hervor, er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen und starrte > sie an, als müßte er sich überzeugen, daß er nicht träume. „Was wissen Sie denn von meinen Verhältnissen?" ! sagte sie, „daß ich nicht arin bin und nicht gezwungen, . des täglichen Brotes willen eine Stellung zu suchen ? Das i Ungefähr, weiter doch nichts. Ich stehe ganz allein, nie mand braucht mich, ich habe keine Verpflichtungen, keine ! ausfüllende Thätigkeit und habe mich oft und oft danach . gesehnt, einem Menschen nützlich sein, etwas leisten und thun zu können. Dazu bietet sich mir jetzt Gelegenheit, und ich wollte mein Bestes versuchen, Ihrer Frau Mutter liebevoll zu dienen, komme doch auch nicht als eine völlig Fremde nach Neurode, da ich durch Sie ein wenig von iJhrer Heimath und den Ihren weiß. Also überlegen Sie «meinen Vorschlag." „Was ist da zu überlegen," rief er, wenn ich glauben darf, daß sie gern zu uns kommen, daß es Ihnen lieb sein würde, meiner Mutter eine Stütze zu sein, o gnädige Frau, was könnte es Schöneres geben, als Ihr gütiges Auge über ihr wachend zn'wissen." „So wäre vielleicht beiden Theilen gedient," er widerte sie, „es bleibt nur noch die Frage, ob Ihre Frau Mutter einwilligcn wird. Wollen Sie ihr deswegen also schreiben?" Gert erhob abwehrend die Hand. „Nein, gnädige Frau, das nicht, lassen Sie mich offen sein: auf eine Frage würde meine Mutter nie eine zustimmende Antwort geben, sie hat durch jahrelanges Stillleben Scheu vor der Verbindung mit Fremden und will — wie das so geht, jetzt ihre Hilflosigkeit nicht zugcstehen, so würde sie ab wehren; wir müssen ihr mit einer vollendeten Thatsache entgegenkommen. Wenn Sie also wirklich entschlossen sind, zu uns nach Neurode zu kommen — überlegen Sie es noch einmal, gnädige Frau, das einsame Landleben, das Zusammensein mit einer alten kränklichen Frau, für Sie, der doch Welt und Leben nach jeder Seite offen stehen, ich kann's nicht glauben, und Sie sind ja auch voll kommen frei —" „Es ist überlegt, sonst hätte ich nicht mit Ihnen ge sprochen," entgegnete sie. Er zog ihre Hand an seine Lippen- „Haben Sie tausendfachen Dank, ich schreibe noch heute an meinen Bruder, er —" „Ihr Bruder," unterbrach sie ihn, „wie wird er da von denken, wird es dem recht sein?" Sie hatte versucht, in einem leichten Ton zu sprechen, ihr Herz klopfte stärker. „O, mein Bruder wird sehr glücklich sein," versicherte Gert, „noch kurz vor meiner Abreise sprachen wir von der Nothwendigkeit unserer Mutter eine gütige Helferin zu schaffen, er ist nun mit der Zeit ein wenig schwerfällig geworden, der Gedanke des Suchens schreckte ihn ab, ihm kann nichts Erfreulicheres begegnen, als wenn ich ihn dessen auf diese wundervolle Weise enthebe." „Hoffen wir es," sagte Elisabeth mit so schwerem Ton, daß Gert sie überrascht ansah. „Uebrigens können wir die Sache zunächst ja wie einen vorübergehenden Besuch behandeln," fuhr sie fort, „gleichsam wie eine Probezeit, fällt sie nicht günstig aus, nun dann ver schwinde ich eben wieder." „Gewiß, gnädige Frau, Ihnen bleibt jede Freiheit gewahrt," beeilte Gert sich, zu versichern. Sie lächelte. „Wie sie das einseitig auffassen! Nun, wir werden ja sehen. Bereiten sie also die Ihrigen auf diese» Besuch" — sie betonte das Wort — „vor." Sie erhob sich, grüßte Gert und ging allein weiter. Er konnte sich in dem eben Erlebten noch gar nicht zurechtfinden; er grübelte über die Gründe nach, die Frau von Stern zu ihrem Anerbieten getrieben haben könnten; nur der Wunsch nach einer nützlichen Thätigkeit, wie sie gesagt? Unmöglich, er hatte es noch nicht erlebt, daß eine Dame ohne die zwingende Macht der Noth in eine abhängige Stellung gegangen wäre, also blieb immer, so viel er auch grübelte, ohne daß er seiner Eigenliebe schmei cheln wollte, nichts anderes übrig, als ihr Wunsch, in seiner Nähe zu bleiben. Sein Herz schlug bei dem Gedanken höher, sie war von Anfang an gleichmäßig freundlich zu ihm gewesen, hatte wohl auch gezeigt, daß sie seine Ge sellschaft suchte, doch nichts mehr, immer dieselbe ungetrübte, kühle Ruhe. Wie wenig ahnte Elisabeth von den Stürmen, die sie in Gerts Herzen erregt hatte, für sie war er so jung, sie selbst erschien sich ihm gegenüber so alt, daß es ihr gar nicht einfiel, er könne das anders ansehen. Sie dachte übrigens auch gar nicht an ihn, sie hatte genug mit sich splbst zu thun, mit der immer neuen und immer unbeant worteten Frage: hätte sie recht gethan, sich in diesen Kon flikt zu bringen, dessen Ende nicht abzusehen war? Gleich viel, es war geschehen, und wie es auch enden mochte, sie meinte, es würde in jedem Fall ihrem Herzen Ruhe bringen. * Werner von Meinhardt saß nachdenklich, ja miß- muthig vor seinem Schreibtisch und überlas zum dritten Mal Gerts Brief, den er vor einer halben Stunde be kommen hatte. Dann warf er ihn ärgerlich fort und stand auf; der Junge war doch sonst leidlich verständig, das aber war eine Uebereilung sondergleichen. Eine Dame mit Vermögen und Stellung der Mutter als Gesellschafterin in's Haus zu bringen — eine wahrhaft horrende Idee! Entweder hatte Gert sich täuschen lassen und diese,Dame' war eine Abenteuerin, oder sie war ein überspanntes Frauenzimmer in zweifelhaften Jahren, das sich plötzlich von der Idee begeistert fühlte, sich fremdem Wohl zum Opfer zu bringen; beides fast gleich widerwärtig. Er neigte mehr für die erstere Anschauung und ihm graute, ein solches Geschöpf in's Haus zu bekommen, mit dem man Zank und Unannehmlichkeiten haben könnte- Am liebsten hätte er Gert ein energisches Nein geschickt, mochte er dann sehen, wie er den leichtsinnig geschürzten Knoten wieder löste. Doch wenn diese Frau von Stern nun wirk lich eine tadellose Dame war, durfte man ihr dann so scharf begegnen, durfte er überhaupt seinen Bruder in die Lage bringen, eine Dame, mit der er wochenlang in gesell schaftlichem Verkehr gestanden hatte, zu beleidigen? Man konnte nicht wissen, welche Verwickelungen das herbeiführte, was für Gert daraus entstehen mochte. Und im Fall die Dame wirklich so tvar, wie Gert sie sah, konnte sie ja ein Segen für seine Mutter werden. Im Fall — sehr unwahr scheinlich. — Fortsetzung folgt. —