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Rabemuer Anzeiger Erscheint Dienstag, Donnerstag u. Sonnabend. Abonnementspreis einschließlich zwei illuslrirter achtseitigen Beilagen sowie eines illustrirlen Witzblattes 1,50 Ml. Zeitung sm Wrand, Seisersdors. Inserate kosten die Spaltenzeile oder deren Raum 10 Pf., flir auswlirtige Inserenten 1b Pf., Reklamen 20 Pf. Annahme von Anzeigen siir alle Zeitungen. Nummer 138. Mittwoch, den 21. November 1900. 13. Jahrgang. Aus Nah und Fern. — Der Buß- und Bettag, dessen kirchliche Feier morgen begangen wird, ist ein überaus ernster Tag, denn er mahnt einen Jeden von uns zu wichtiger Prüfung, zur inneren Einkehr bei sich selbst und zur — Umkehr. Wer von uns könnte wohl von sich behaupten, in dem Treiben und Hasten des alltäglichen Lebens mit seinen Sorgen und Kümmernissen stets so gehandelt zu haben, stets seine Pflichten so erfüllt zu haben, wie man es bei reiferer, ernster Prüfung für wünschenswerth hält und wie man es mit seinem Gewissen vereinbaren kann! Dieser Tag aber mahnt nns nun ganz besonders zu einer solchen Einkehr bei uns selbst und wohl dem, der sich der Mahnung dieses Tages nicht verschließt und bei dem unbefriedigenden Ergebniß einer solchen ernsten Selbstprüfung sich zu dem festen Entschluß der Umkehr aufzuraffen und damit einen echten, rechten Bußtag zu feiern vermag! — Die Haltbarkeit von Schuhsohlen wird wesentlich erhöht, wenn man die neuen Sohlen zwei- bis dreimal mit Terpentin durchtränkt. Es ist dies ein so einfaches und zugleich billiges Mittel, daß jedermann, welcher viel Schnhwerk abnutzt, es anwenden kann. Außerdem werden die Stiefelsohlen dadurch auch wasserdicht. — Wie wir erfahren, wird der seil 5^/z Jahren auf Bahnhof Hainsberg amtirende Bahnhofsinspektor 2. Klasse, Herr Otto, ab 1. Januar 1901 unter Beförderung znm Bahnhofsinspektor 1. Klaffe nach Priestewitz versetzt. Der Amtsnachfolger des Genannten, Güterverwalter 2. Klaffe, Herr Zschörnig, war bisher in Chemnitz stationirt und wnrde vom genannten Tage ab zum Bahnhofsinspektor 1. Klasse ernannt. — Am Sonntag Abend wurde in der Kirche zu Tharandt die elektrische Lichtanlage in Betrieb ge nommen. Die Lichtanlage der Kirche umfaßt einschließlich der Außenbeleuchtung 1455 Kerzen ---- 137 Lampen, wo von 35 fünfkerzige Lampen ans den Kronleuchter entfallen. Das Werk ist dnrchgeführt von der einheimischen Firma Ellinger und Geißler. — Der Waldarbeiter Ernst Ludwig Mißbach in HerzogswaIde ist seit 50 Jahren ununterbrochen als ständiger Arbeiter auf dem Spcchtshausener Staatsforstrevier beschäftigt. Vom Königlichen Finanzministerium ist ihm aus Anlaß dieses Jubilänms ein ansehnliches Geldgeschenk bewilligt worden. — Der seinerzeit verhaftete Gemeindevorsteher Ernst Julius Wendler in Trönzig hatte amtliche Gelder unter schlagen und außerdem zwei Einbruchsdiebstähle begangen. Er wnrde deshalb am 12. d. M. von der Strafkammer in Zwickau zu 1 Jahr 2 Monaten Gefängniß und 3 Jahren Ehrenrechtsverlust verurtheilt. — Ein Leben der erfährt, daß er amtlich todt ist. Eine Ueberraschung seltener Art wurde einem Gärtner in Eppendorf bei Hamburg bereitet. Der Mann hatte in frühester Jugend seinen im Königreich Sachsen be legenen Heimathsort verlassen und seit dieser Zeit mit seiner Mutter infolge eines Zerwürfnisses keinerlei Verkehr gehabt. Er hatte sich dann später in Eppendorf niedergelassen. Kürz lich fühlte er das Verlangen, seine Heimalh wieder einmal aufzusuchen. Dort erfuhr er nun, daß seine im Jahre 1857 verstorbene Mutter ihm eine Erbschaft hinterlassen hatte. Da sich der Sohn jedoch in der ganzen Zwischenzeit nicht zum Antritt der Erbschaft gemeldet hatte, so war er bereits im Jahre 1889 amtlich für todt erklärt worden. Eine Anfrage bei dem zuständigen Amtsgericht bestätigte zwar das Vorhandensein der Erbschaft, aber auch die Thatsache der Todeserklärung. Jetzt hat er nun der sächsischen Ver waltung einen überzeugenden Beweis über seine Persön lichkeit geliefert und das sächsische Ministerium ersucht, ihm nachträglich die Erbschaft auszuliefern. — Die Ausreise nach China treten am 25. d. Mts. 6 Postassistenten, 6 Postillone und 8 Schaffner an. Sie sind aus verschiedenen Städten des Reichs in Berlin eingetroffen. — Eine großeBauernhochzeit, welche hin sichtlich der Zahl der Theilnehmer und der aufgebrauchten Speisen und Getränke alles bisher Dagewesene übertreffen dürfte, fand dieser Tage in Drakenburg bei Nienburg statt. An der Hochzeitsfeier nahmen nämlich nicht weniger als 450 Personen theil, die insgesammt 225 Quadratmeter Butterkuchen, 15 Ochsen, 25 Schweine, 150 Hühner und Gänse, sowie 310 Liter Branntwein, 20 Hectoliter Bier und 450 Flaschen Rothwein vertilgt haben. — Heute r ot h, morgen todt! In Worla bei Danzig stürzten von einer Anzahl aus der Fabrik heim kehrender Arbeitsmädchen beim Ueberschreiten eines Bret tersteges fünf ins Wasser. Nur drei Mädchen konnten ge rettet werden. — DieKrisis in derKrankheitdesZaren scheint bevorzustehen, und wenn auch bisher der Verlauf in jeder Hinsicht günstig war, so trifft man doch alle nöthigen Vorkehrungen, um für eine unglückliche Wendung gerüstet zu sein. Wie aus Kopenhagen berichtet wird, reiste am Sonntag der dort weilende Großfürst-Thronfolger in Be gleitung des Obersten Daschkoff und des Professors Frolowsky über Gjedser-Berlin-Wirballen nach Petersburg. — Am eri ka n i s che Lh n chj u stiz. In Colorado ist ein junger Neger an einem Pfahle verbrannt worden. Der Vater eines von demselben ermordeten Mädchens zündete mit einer Fackel die nm den Pfahl aufgehäuften Brenn stoffe an. Daß der Neger gelyncht werden sollte, war im ganzen Districte wohl bekannt. Eine große Volksmenge wohnte dem Lynchverfahren bei und benahm sich sehr ordentlich. — Aus der Schule. Lehrer: „Was gehört vor allen Dingen zum täglichen Brot?" Schüler: „Butteri" Der Herr von Remo-e. Von Josephine Gräfin Schwerin. — (Nachdruck verbot«,,.) Noch gingen die Wogen der Erregung über den un erwarteten Wechsel hoch in Neurode, als eine zweite, tief erschreckende Nachricht eintraf: Gert, ein leidenschaftlicher Reiter und Jagdliebhaber, war bei einer Schnitzeljagd ge- gestürzt und ein schwerer Beinbruch war die Folge davon. Eine wochenlange Niederlage im Krankenhause und eine tiefe Verstimmung waren die natürlichen Folgen davon- Aus den dringenden Wunsch von Mutter und Bruder willigte er ein, sobald er überhaupt erst transportabel war, nach Neurode überzusiedeln. Werner selbst reiste, um ihn zu holen, und die zärtliche Sorgfalt des Bruders that Gert sehr wohl. Es wurde ihm auch in Neurode bald heimisch und angenehm. Hatte er anfangs die abwechselungslose Stille des winterlichen Landlebens gefürchtet, so wirkte sie im Gegentheil beruhigend auf seine angegriffenen Nerven; die verwöhnende Liebe der Mutter hatte etwas Rührendes und Besänftigendes für ihn und mit Werner plauderte es sich so gut. Wenn Annemarie herüber kam, und das ge schah fast täglich, so gab es auch etwas Lustiges. Als sie zuerst Gert in seinem hilflosen Zustande sah, traten ihr Thränen in die Augen, sie konnte nur mühsam ein Auf schluchzen unterdrücken, als er aber sagte: „Kleiner Kamerad, sehen Sie nicht so tragisch aus, noch geht es nicht an's Sterben, ich engagire Sie zum Ball im nächsten Winter zum ersten Walzer," da wurde sie schnell ganz vergnügt. Sie brachte an jedem Tage irgend welche lustigen Geschicht- chen mit, und wenn sie neben Gerts Chaiselongue saß, so nahm das Lachen, Scherzen und Necken kein Ende- „Ihr seid wie die Kinder," sagte Frau von Mein hardt mit einem zufriedenen Lächeln. „Weißt Du, Mamachen," meinte Gert, „wenn ich mit Annemarie so schwatze, dann glaube ich immer noch, der große Junge zu sein, der sich mit ihr durch den Garten jagte. Wissen Sie noch, Annemarie?" „Ach Gert, ob ich es weiß! Wie oft habe ich mich über Sie geärgert, wenn Sie mit Ihren langen Beinen immer eher als ich die große Kastanie in der Ecke am Zaun, die unser Anschlagsziel war, erreichten." „Nicht immer," widersprach er, „manchmal warfen Sie mir auch irgend ein Hinderniß in den Weg, daß ich stolperte und fiel. Damals ging es aber immer glücklicher ab als diesmal der dumme Sturz." Er seufzte. „Nicht traurig sein, Gert," tröstete Annemarie, „sind die paar Wochen hier bei uns nicht nett? Es muß doch reizend sein, sich einmal so bedienen und verwöhnen zu lassen, und bald sind Sie wieder ganz gesund." „Und wenn ich lahm bleibe, was dann?" fragte er. „Annemarie sah ihn erschrocken an. „Lahm bleiben, das wäre ja schrecklich!" Nun mußte er lachen- „Was Sie für ein entsetztes Gesicht machen! Nun, hoffentlich ist's nicht so schlimm, junge Knochen heilen ja gut." „Pfui, Gert, wie abscheulich, mich so zu erschrecken," schmollte Annemarie. „Würden Sie sich darum grämen, Annemarie? Was geht es Sie am Ende an!" neckte er- Sie wurde unter seinem sehr beredten Blick roth und rief: „Sie sind heute greulich, Gert, verdienen es gar nicht, daß man so nett zu Ihnen ist, zur Strafe gehe ich auch gleich fort." Sie sprang auf, er faßte nach ihrem Kleide. „Sie dürfen nicht fort, Sie sind erst eine halbe Stunde hier, damit laß ich mich nicht abfinden." „Lassen Sie los," befahl sie. „Ich denke nicht daran." „Sie zerreißen mein Kleid, lassen Sie los." „Das sollte mir fehlen " Er hielt fest, sie zerrte an den Falten und schlug ihn auf die Hand. „Das will nun ein Kranker sein, Sie — Sie —" In diesem Augenblick trat Frau von Meinhardt ein. „Ach, Mamachen, er ist unausstehlich," rief Annemarie, „stehen Sie mir doch bei." Frau von Meinhardt zwinkerte mit den Augen. „Was thut er denn?" fragte sie lächelnd. Sie sah augenscheinlich gar nichts von der Situation, obgleich sie nicht mehr als drei Schritte entfernt war, und gerieth eben in Gefahr, über einen im Wege stehenden Stuhl zu fallen. Gert streckte die Hand aus. „Um Gotteswillen, Mama!" Annemarie eilte auf sie zu und führte sie an Gerts Lager. Gerts frohe Stimmung war im Augenblick bei dem Anblick der Hilflosigkeit seiner Mutter verflogen. „Ach nichts, Mutti," sagte er, „wir machten ein bischen Unsinn." Frau von Meinhardt seufzte. Unsinn, nichts als Un sinn, dachte sie, könnte er denn nun nicht endlich Ernst machen; jetzt, wo Annemarie täglich kam, war doch die günstigste Gelegenheit. Sie hoffte von Tag zu Tag, immer vergeblich, und Werner hatte es ihr verboten, ganz ernst lich verboten, daran zu rühren. Es war am Abend desselben Tages, als Gert zu Werner sagte: „Wie soll es nun mit der Mutter werden? Sie sieht viel weniger, als sie es -uns, vielleicht sich selbst glauben machen will, sie kann jetzt kaum mehr, in kurzer Zeit sicher nicht allein bleiben, Du mußt daran denken, ihr eine Hilfe und Gesellschaft zu schaffen-" Werner strich mit der Hand über die Stirn. „Mein lieber Gert, das ist leicht gesagt: Du mußt! Ich habe ja längst selbst daran gedacht, doch wo soll ich denn eine passende Persönlichkeit finden, hier in unserm einsamen und abgeschlossenen Leben? Irgend eine Fremde herbringen, die man gar nicht kennt, ist kaum möglich, Du weißt, wie abwehrend die Mutter sich gegen Fremde verhält, und es wäre ja auch wirklich eine Last, eine vielleicht unsympathische Persönlichkeit dauernd neben sich zu dulden-" „Dann heirathe," warf Gert leicht hin, „Deine Frau würde Mama natürlich eine liebe Genossin sein, es wäre der beste Ausweg." Werner hatte die Brauen gefaltet und sah finster vor sich. „Ich heirathe nicht — nie, verschone mich mit solchen Vorschlägen, bringe Du Mama die erwünschte Schwieger tochter." „Weil Du nicht willst, soll ich heran," lachte Gert, der Weruer's Verstimmung nicht zu bemerken schien, „doch da ich nicht ewig in diesem Nest hier zu bleiben hoffe, wird meine Heirath Mama wenig nützen — im Gegen- theil, sie möchte verlieren." Er sprach nicht weiter, doch ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Die Blicke der Brüder trafen sich und Werner ergriff Gerts Hand mit kräftigem Druck. „Mache bald Ernst, Gert," sagte er. „Es ist —" „Ich bitte doch, schweige still," unterbrach ihn Gert, „Du bringst mich sonst noch dahin, mich ebenso energisch wie Du gegen das Heirathen zu verwahren, denke lieber darüber nach, was für Mama thun- — Mich quält die Sorge um sie, und wenn sie erst ganz erblindet ist, ge wöhnt sie sich noch schwerer an eine Fremde." Werner zuckte die Achseln. „Ich gebe Dir ja Recht, doch guter Nath ist da theuer. Wir würden bei Mutter auch sicher auf Widerstand stoßen." „Wenn ich erst wieder gesund bin," sagte Gert, „will ich einmal mit der Majorin von Dallwitz sprechen, sie ist sehr Praktisch und kennt eine Menge Leute in aller Welt, vielleicht kann sie helfen." Damit hatte es freilich noch gute Wege; Gerts Ge nesung schritt nicht so rasch fort, als die Seinigen anfangs gehofft hatten, es vergingen lange Wochen, bis er die ersten Gehversuche an der Krücke machen konnte, und noch längere Zeit, bis er langsam am Stock humpelte. Dann ging es freilich stetig vorwärts, aber eine Schwäche des Beines wollte nicht weichen, so daß die Aerzte es für nöthig hielten, ihn noch in ein Bad zu schicken, und von den ängstlichen Wünschen der Mutter begleitet, reiste er ab. * Elisabeth von Meinhardt hatte leichte rheumatische Beschwerden, die sich im Laufe des Winters bei ihr ein gestellt und im Frühling vermehrt hatten, als eine will kommene Veranlassung zu einer Badereise betrachtet. Der Aufenthalt in Berlin war ihr unerträglich geworden, ebenso wiederstrebte es ihr, das alte Wanderleben von Neuem zu beginnen, da hatte sie dann wenigstens für einige Wochen einen Zweck und ein Ziel vor sich, weiter mochte sie zunächst nicht denken. — Fortsetzung folgt. —