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Uabenmm Anzeiger 13. Jahrgang. Nummer 111. Donnerstag, den 20. September 1900. Inserate kosten die Spaltenzeile oder deren Raum 10 Pf., für auswärtige Inserenten 15 Pf., Reklamen 20 Pf. Annahme von Anzeigen sür alle Zeitungen. Erscheint Dienstag, Donnerstag u. Sonnabend. Abonnementspreis einschließlich zwei illustrirter achtseitigen Beilagen sowie eines illustrirten Witzblattes 1,50 Mk. Zeitung für WM, Seisersdorf. Aus Nah und Fern. — Die tiefe Trauer, in welche das gesammte königliche Haus durch das plötzliche Hinscheiden des Prinzen Albert versetzt worden ist, veranlaßte die Riesaer Pionier-Kapelle, das für Dienstag Abend im hiesigen „Amtshof" ge plante Coucert abzusagen. Noch in letzter Stunde gelang es Herrn Frenzel, zu demselben die Stadtkapelle von Dippoldis walde zu gewinnen, welche sich mit ihren Darbietungen sehr Vortheilhaft bei uns eingeführt hat. Das gut gewählte Programm wurde von den jugendlichen Musikern ganz vorzüglich wiedergegeben und sämintlichen Nummern von der Zuhörerschaft wohlverdienter Beifall gezollt. Besonders war dies der Fall bei dem Marsch „Unsere Flotte" wie auch bei der „Herzklopfen-Polka" für Xylophon, die von einein 15 jährigen Lehrling meisterhaft zum Vortrag kam. Die Concertgeber mußte» sich wiederholt zu Extranummern herbeilassen, welcher Aufforderung dieselben, wie es schien, nicht ungern nachkamen. Der Besuch des Concertes war ein guter zu nennen. — Die Manöver nahen jetzt dem Ende, und wenn die Regimenter nach Beendigung des Krieges im Frieden wieder in die Garnison eingerückt sind, geht es bald an ein Abschiednehmen von den Kameraden, dann hat die Reserve Ruh' und sagt der Caserne Adieu, dem Exercier- Platz, auf dem bei langsamen Schritt und Parademarsch so mancher heiße Schweißtropfen vergossen worden ist, viel leicht auch der Garnison, die außerdienstlich den jungen Vatcrlandsvertheidigern gar oft frohe und vergnügte Stunden bereitet hat. Vorbei ist es bis zur nächsten Uebung mit .der strengen Disciplin, und der entlassene Krieger beginnt allmählich wieder sein eigener Herr zu werden. Vor allen Dingen aber ist dem Reservemann die Meldepflicht ins Gedüchtniß zu rufen und scharf einzuprägen, die folgende!« Passus enthält: „Die Mannschaften, welche aus dem activen Dienst entlassen werden, haben sich spätestens 14 Tage nach ihrer Entlassung bei der Controlstelle anzumelden, welcher der von ihnen gewählte Aufenthaltsort unterstellt ist" rc. — In der Ritter'schen Möbelfabrik hier verunglückte der Tischler Grohmann. Er gerieth mit der linken Hand in die Abrichtmaschine, wobei ihm drei Fingerspitzen abge rissen wurden. — Für Stotterer eröffnet Dir. C. Denhardt's Anstalt in Dresden-Loschwitz Anfang Oktober die dies jährigen Freikurse, in welchen unbemittelte Stotterer un entgeltliche Heilung ihres Uebels finden. Anmeldungen nimmt die Anstalt entgegen. — Der Uebergangswäcter Hermann aus Dorfhain der am Freitag. 20. Juli, den Dienst am Bahnübergang nach der Bauhütte von Zechel u. Hänsel in Deuben ver sah und sich infolge des Krauße'schen Unglücksfalles Ver letzungen am Halse beibrachte, ist wieder hergestellt. Er ist jetzt von Neuem bei der Streckenarbeit beschäftigt. — Am Sonnabend Abend brannte in Schmiede berg das init Erntevorräthen angefüllte Scheunengebäude des früher Büttnerschen jetzt Herrn Klotz gehörigen Gutes nieder. Hierbei wurden auch 25 Schock unversichertes Ge treide, die Herr Wolf in der abgebrannten Scheune unter gebracht, ein Raub der Flammen. — Aus Liegnitz wird gemeldet: Am Sonntag Mittag urn 1 Uhr ist ein Wagen der elektrischen Straßenbahn in eine militärische Ablösung des Postens vor der Fahne bei dem Generalmajor von Eichhorn hineingefahren. Der Füsilier wurde schwer verwundet und ist im Lazareth seinen Verletzungen erlegen. Der Grenadier Zabel erlitt leichtere Verletzungen. — In Mügeln verunglückte tödtlich der Zimmer mann Knauthe auf dem dortigen Postneubau. — Mit einem echten Schildbürgerstücklein ist kürzlich die Polizei in Des Moines, Ja., hervorgetreten. Ein Pferd war in einen 20 Fuß tiefen Brunnen gefallen, und zur Rettung des Thieres wurde die heilige Hermandad gerufen. Zwei Blauröcke warfen dem Pferde eine Schlinge um den Hals, banden das andere Ende an einen Wagen, und als sie das Pferd glücklich herausgebracht hatten, war es natürlich — erwürgt. — Fürstliche Spende. Fürst Ferdinand von Bulgarien hat dem Deutschen Locomotivführerverein für das zu gründende „Erholnngs- und Genesungsheim" 1000 Mark überwiesen. — Das ist die Antwort auf das Vor gehen der bayerischen Eisenbahnverwaltung, die bekanntlich das Maschinenpersonal, welches den Fürsten auf einer Loco- motive mitfahren ließ, rügte und die dein Locomotivführer und Heizer vom Fürsten überreichte baare Anerkennung wieder einzog, um sie dem Geber zurückstellen zu lassen. — Mord im Irrsinn. Der Direktor des archäologischen Museums in Rom ist von einem wahn sinnig gewordenen Pförtner ermordet worden. Der Pförtner zerstörte einen großen Theil der werthvollen Sammlungen im Museum. Gva's Aache. Historische Erzählung von A. Berthold. iRachLruä Vtrdoien.) Schluß. Eva verließ das Zimmer, und die Katastrophe, deren Hereinbrechen Zander jeden Augenblick erwartet hatte, war wieder abgelenkt. Aber auf wie lange? Eva wollte der Dame wahr scheinlich Alles enthüllen, und es war ihr nur peinlich, dies in Gegenwart des Mannes zu thun, dessen Todcs- urtheil sie damit aussprach. „Wir «vollen nun die Festungswerke besichtigen, ehr würdiger Vater!" »«ahnte der Fürst, nachdem das Frühstück beendet war. „Du liebe Adelheid, kannst Dir unterdeß von Eva Näheres über unseren Gast erzählen lassen. Sorge, bitte, für eine gute Mahlzeit, wenn wir zurückkehren!" Einige Minuten später schritt Zander mit dem Kom mandanten von Brieg durch die Straßen nach den Wälle», um sich die Vertheidiglmgsanstalten unter der Führung des Generals anzusehen. Der alte Herr war jedenfalls ein sehr gutmüthiger, aber auch ein sehr unvorsichtiger Mann, und daß er dem Mönch, den er gar nicht kannte, selbst seine ganze» Vertheidigungsanstalten zeigte, will Einem saft nicht in den Kopf, aber die Thatsache ist vollauf bestätigt. Diese Vertrauensseligkeit des alten Herren erleichterte dein Spion seine Aufgabe natürlich ungemein. Unter anderen Verhältnissen wäre er auch recht erfreut darüber gewesen, jetzt aber hatte er kaum Auge und Ohr für das, was ihm Piccolomini zeigte. Gewaltsam mußte er sich aufraffen, um seinen Auftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Aber was nützte es ihm, daß er alle Schwächen der Festung kennen lernte? In einigen Stunden wurde er wahrscheinlich gehängt, und zwar dem alten Gebrauch gemäß an einem Galgen, der auf den« Walle, nach den« feind lichen Lager zu, errichtet war, damit der Feind sehe, daß seine Spionage mißglückt sei. Allerlei verzweifelte Pläne gingen durch Zander's Kopf, während er den Erklärungen des Generals lauschte. Wenn er mit einem Satz vom Wall in den Graben hinuntersprang und an das andere Ufer zu kommen suchte, wenn er sich mit der Kraft dec Verzweiflung über die Palissaden schwang, ob er dann vielleicht entkam ? Und wen«« ihn auch die aufmerksam gewordenen Posten auf bei« Ruf des Generals hin erschossen, war das nicht besser als der Tod am Galgen?" 4. Frau v. Schulenburg kümmerte sich nach der Sitte der damaligen Zeit selbst um den Haushalt und die Küche. Heute galt es, Ehre einzulegen, es war ein Gast iin Hause. Frau v. Schulenburg hatte aber doch noch während ihrer Beschäftigung Zeit, um mit Eva zu plauder», die bei ihr fast die Stelle einer jüngeren Freundin und nicht einer Dienerin inne hatte. Die Dame hatte es nicht zu bereue», daß sie bei ihrer damaligen Anwesenheit in Berlin z» sich gcuomnien hatte. Sie war mit ihr nach Breslau gegangen und hatte dort gelebt bis der Krieg kam. Frau v. Schulenburg erinnerte sich alsdann, daß der Fürst Piccolo mini, ihr Onkel mütterlicherseits, Kommandant von Brieg sei und flüchtete zu ihin, um in seiner Nähe Schutz gegen die Unbilden des so unerwartet eingetretenen Krieges zu finden. Die Vorbereitungen zum Mahle nahinen die Dame so in Anspruch, daß sie durch die Rückkehr des Generals und seines Gastes überrascht wurde. Der General ging nach seinem Arbeitszimmer, der Mönch nach dem Gastzimmer, das man ihm eingcräumt hatte. . . . Zander saß dort an« Tisch, den Kopf in die Hand ge stützt nnd wartete auf den Augenblick, in welchem die her beigerufene Wache in das Zimmer treten würde, um ihn zu verhaften. Die Flucht war unmöglich geworden, er hatte zu lange gezögert, den verzweifelten Sprung zu wagen. Als er ihn endlich aussühren wollte, wendete sich der General der zweiten Vertheidigungslinie zu, und von hier aus war an ein Entwischen nicht zu denken. Schritte tönten draußen auf dein Gange. Es wurde an die Thür geklopft. Auf den Ruf Zander's trat Eva ein. Sie schloß die Thür und trat auf den überraschten Mann zu- „Ich konnte nicht," sagte sie halblaut und mit zu Boden geschlagenem Blicke, „ich konnte nicht den Mann einem schimpflichen Tode überliefern, den ich einst geliebt habe. Aber schwöre «nir, daß den Leute«« hier in« Hause kein Unglück geschieht durch mein Schweigen." „Ich schwöre es Dir, Eva. Mit Frauen und Civilisten führen die Preußen keinen Krieg." „Nicht fo laut, mal« kam« uns hören. Hier auf diese«« Zettel habe ich ausgeschrieben, was ich der gnädigen Frau über unsere frühere Bekanntschaft erzählt habe. Lies Dir das durch, damit Du Dich nicht verräthst." Zander nahm den Zettel und ergriff ihre Hand. „Du hast mir das Leben geschenkt, Eva, dieses Leben hat keinen Werth für mich, wen«« Du mir nicht sagst, daß Du mir verzeihen kannst — daß Du mich noch liebst." Eva schien einen Augenblick mit sich zu kämpfen. Ihr Blick war auf dei« Boden geheftet. „Ich verzeihe Dir! Ich — ich Haffe Dich nicht! Im Speisezimmer erwartet man dei« Gast." Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Zander entfaltete mechanisch den Zettel und las. Eva hatte angegeben, sie habe ihn in Westfalen kennen gelernt, als er noch ein Klosterschüler war. Ihre Eltern hätten damals in Westfalen, in Münster, gelebt. Eva hatte ihn gerettet, sie hatte ihm verziehen. Dann liebte sie ihn auch noch! Er hätte aufjubeln mögen vor Freude! Aber er mußte sein Gesicht in ernste Falten legen und zum Fürsten eilen, wo man ihn erwartete. . . . Ain Abend brachte der General Piccolomini seinen Gast selbst bis auf das Glacis, damit er sich in der Dunkel heit durch die preußischen Vorposten schleiche. Eva hatte Zander nicht wieder gesehen. Er verabschiedete sich von dem General und verschwand bald in der Dunkelheit. Eine Stunde später stand er in dem Mollwitzer Bauernhause wieder vor dein Preußenkönige. „Die Ueberraschung der Festung Brieg", so erzählt ein Augenzeuge dieser Begebenheiten, „geschah mit fünf Bataillonen von den Grävenitz'schen, Finkenstein'schen und Glasenapp'schen Jnfanterieregimentern. Das ganze Be lagerungskorps mußte abends nach zehn Uhr (es war in der Nacht zuin 4. Mai 1741) in aller Stille in das Ge wehr treten. Die Laufgräben und Batterien wurden stark besetzt, damit, wenn der Sturm mißlänge, der Feind keinen schädlichen Ausfall thun könne. Bei Lebensstrafe durfte Niemand Tabak rauchen oder laut sprechen, und die Wacht feuer wurden wie gewöhnlich unterhalten, damit der Feind keine Veränderung im Lager bemerke. Jedes der fünf Bataillone bekain eine Anzahl von neuen starken Sturm leitern. Zuin Tragen und schnellen Ansetzen einer jeden Leiter waren drei Mann kommandirt. Mit dem Schlage elf Uhr wurden die meisten Leitern da an den Wall angelegt, wo keine Walzen waren. Mit uilglanblicher Geschwindigkeit stiege»« je drei Mann die Leitern hinauf. Die beiden ersten waren Fürst Leopold von Dessau und — Zander. Jeder stieg auf den dicht nebeneinander stehenden Leitern ii« die Höhe und rasch und still folgten die Freiwilligen, die das Gewehr über die Schultern gehängt hatten. Sobald sie auf dem Wall standen, warfen sie das Gewehr herum, steckten das Bajonett auf, stießen die auf dem Wall stehenden Wachen nieder, eilten nach den von Zander gezeigten Wachthäusern und Batterieplätzen und nahinen die ganze Mannschaft gefangen, bevor die Garnison noch auf die Lärmplätze kommen konnte." Die Ueberrumpelung Briegs glückte ohne alle Verluste. Die Besatzung erhielt sehr günstige Kapitulationsbedingungen. Die Offiziere wurden auf Ehrenwort entlassen. Fürst Piccolomini mit seiner Nichte verließ schon am nächsten Tage die Stadt, um sich auf seine Güter in Böhmen zu begeben. Eva blieb in Brieg und zwar als die Verlobte Zander's, an dessen Liebe sie jetzt, als er seine Werbung wiederholte doch glaubte- Ueber das fernere Schicksal des Paares meldet der oben erwähnte Zeitgenosse: „Der König gab dem Unteroffizier Zander eine Kom pagnie bei dem in Breslau stehenden Garnisonregiment. Da aber eingeschobene Offiziere immer einen schweren Stand haben, so wurde er von den übrigen Offizieren um so un gebührlicher behandelt, da er aus dem niederen Stande schnell zum Hauptmann erhoben war. Zwar nahm sich der alte Fürst von Dessau seiner an, auch der König gab ihm stets Merkmale seiner Huld, deinohngeachtet sah er sich endlich genöthigt, seine Entlassung zu fordern. Der König genehmigte seine Bitte, gab ihm zweihundert Thaler Pension, nebst anderen Emolumenten und freier Wohnung auf der Citadelle zu Magdeburg, wo er in einem hohen Alter 1792 ruhig gestorben ist." Ende.