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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonntag, den 25. Dezember 1966, 19.30 Uhr Montag, den 26. Dezember 1966, 19.30 Uhr 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Heinz Bongartz, Dresden Solist: Lew Oborin, Sowjetunion, Klavier Engelbert Humperdinck Vorspiel zur Oper „Hänsel und Gretel“ 1854-1921 Fryderyk Chopin 1810-1849 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll op. 21 Maestoso Larghetto Allegro vivace PAUSE Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 Allegro con brio Adagio Allegrctto grazioso Allegro tna non troppo PROF. LEW OBORIN wurde 1907 in Moskau geboren. Er studierte am Musikinstitut Gnessin und am Konservatorium seiner Heimatstadt bei Prof. K. N. Igumnow. Als Zwanzigjähriger gewann er 1927 beim internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau den ersten Preis. Damit begann die Karriere eines der hervorragendsten sowjetischen Pianisten der Gegenwart. Neben seiner Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium wurde Lew Oborin 1943 Mitglied eines Sonatenduos mit David Oistrach und eines Klavicrtrios wiederum mit David Oistrach und mit S. N. Knuschewitzki, dem 1963 ver storbenen Meistercellistcn. Als Mitglied beider Kammermusikvereinigungen und vor allem als Solist er rang Prof. Oborin in der UdSSR sowie im Ausland (u. a. in Prag, Bukarest, Warschau, Sofia, Helsinki, London, Paris, Tokio) größte Erfolge. Der Künstler, Träger des sowjetischen Staatspreises, des ehren vollen Titels „Volkskünstler der RSFSR“ und des Lenin-Ordens, trat neben seiner Pflege von Werken der russischen und westeuropäischen Klassik häufig als erster Interpret neuer Kompositionen sowjetischer Meister wie Prokofjew, Mjaskowski und Chatschaturjan hervor. Oborin besitzt ferner den Ruf, einer der besten Chopin-Interpreten zu sein. PROF. HEINZ BONGARTZ ZUR EINFÜHRUNG Engelbert Humperdinck trat schon während seiner Studienzeit in Köln und München als ein verheißungsvolles Talent hervor. Später wurde er Lehrer am Hochschcn Konserva torium in Frankfurt/Main und danach Leiter einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Nach dem Welterfolg seiner Märchenoper „Hänsel und Gretel“ (1893) wandte er sich mehr und mehr der kompositorischen Arbeit zu, erreichte aber mit Opern wie „Die Königskinder“, „Dornröschen“, „Heirat wider Willen“, „Die Marketenderin“ und „Gaudeamus“ niemals wieder den Triumph seines dramatischen Erstlings. Humperdinck vertrat in seinem Schaffen die Wagner-Nachfolge: Seine Liebe zur deut schen Märchenwelt und zum Volkslied bewahrte ihn jedoch davor, Wagners Stil unselb ständig nachzuahmen. Zwar übernahm er die Kunst des Satzes und der Orchesterbehand lung von diesem, lockerte aber dessen Pathos durch innige volkshafte Weisen (besonders in „Hänsel und Gretel“) auf, mit denen er sich viele Freunde erworben hat. Mit der ihm eigenen Naivität und Liebenswürdigkeit gelang cs Humperdinck, wegführend von der konfliktgeladenen Atmosphäre der Wagnerschen Musikdramen einen eigenen Weg ein zuschlagen ins Reich märchenhaften Spiels. Schon das Vorpiel zur Oper „Hänsel und. Gretel“ läßt die unverkennbar persönliche Note des Humpcrdinckschcn Stiles offenbar werden. Mit dem volksliedhaft schlicht harmoni sierten „Abendsegen“ beginnt das reizvolle Stück. Im lebhaften Mittelteil treten in höchst anschaulicher Weise Personen und Motive des Märchens in Erscheinung: die Kinder Hänsel und Gretel — teils zaghaft, teils munter, die Hexe, der Wald mit dem Knusper häuschen. Ein fröhliche Tanzweise leitet schließlich über zur Anfangsstimmung und -thematik, mit der das Vorspiel verklingt. Sein K.lavierkonzert-f-Moll op. 21 vollendete Fryderyk Chopin (ebenso wie das e-Moll- Konzert op. 11) im jugendlichen Alter von kaum 20 Jahren. Die Uraufführung des Wer kes, bei der der Komponist den Solopart selbst übernommen hatte, fand am 17. März 1830 in Warschau statt. Obwohl das f-Moll-Konzert bei seiner späteren Veröffentlichung im Jahre 1836 der polnischen Gräfin Delfina Potocka gewidmet wurde, war es ursprüng lich unter dem Eindruck seiner Jugendliebe zu Konstancja Gladkowska, einer Opernsän gerin am Warschauer Nationaltheater, entstanden. Das Konzert, mit dem Chopin übrigens auch in Paris debütierte, knüpft zwar in seiner formalen Anlage und in technischer Hin sicht an die virtuosen Klavierkonzerte der Zeit an, zeigt sich aber in seiner Tiefe des Gefühls, seiner Poesie, seiner reich figurierten typischen Melodik und in seiner bezaubern den jugendlichen Frische und Leichtigkeit bereits als echtes Werk seines Schöpfers. Der erste Satz (Maestoso) entwickelt sich in seinem Verlauf zu einem ausgeprägt vir tuosen Musikstück. Auf zwei kontrastierenden Themen, einem betont rhythmischen und einem eher lyrisch-ausdrucksvollen, aufbauend, bringt der Satz in seiner Durchführung statt einer Verarbeitung dieser Themen im Sinne dramatischer Spannung und Entspannung eine reiche Ausdeutung des thematischen Materials durch die Erzeugung wechselnder Stimmungen, wobei das Soloinstrument mit glitzernden Passagen, brillanten Läufen und feinen, arabeskenhaften Ornamenten die Grundgedanken virtuos umspielt. Das folgende Larghetto gehört zu Chopins poetischsten Einfällen überhaupt. Dieser schwärmerisch-innige Satz, der von einem bezaubernden Nocturne eingeleitet wird, scheint in seiner wundervollen, liedhaften Melodik, seiner damals ganz neuartigen harmonischen Sprache den von verhaltener Erregung durchglühten Ausdruck reinster, zärtlichster Ge-