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PROGRAMM PETER TSCHAIKOWSKI (1840-1893) Fantasie - Ouvertüre „Romeo und Julia“ LUIGI BOCCHERINI (1743-180$) Konzert für Violoncello und Orchester B-Dur Allegro moderato Adagio Rondo-Allcgro JOHANNES BRAHMS (1833-1897) 2. Sinfonie D-Dur op. 73 Allegro non troppo Adagio non troppo Allegrctto grazioso (quasi Andantino) Allegro con spirito Peter Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ nach Shake speare, heute zu den beliebtesten Werken des Komponisten gehörend, hatte an fangs einen ausgesprochenen Mißerfolg und stieß überall auf Ablehnung. Nach der Uraufführung der im Herbst 1869 entstandenen Komposition, die 1870 in Moskau im Rahmen der Konzerte der Russischen Musikgesellschaft stattfand, schrieb Tschai kowski in einem Brief: „Meine Ouvertüre „Romeo und Julia“ hatte hier keinen Erfolg und fiel durch“, und auch weitere Interpretationen der Ouvertüre im Jahre 1876 in Wien und Paris wurden für den Komponisten deprimierende Mißerfolge. So schrieb der gefürchtete Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick nach der dortigen, von dem berühmten Dirigenten Hans Richter geleiteten Aufführung: „Das zweite philharmonische Konzert brachte eine Ouvertüre zu Shakespeares „Romeo und Julia“ von dem russischen Komponisten P. I. Tschaikowski. Diese Ouvertüre war neu. neu und befremdend, denn daß diese seelenlose, von grauen Dissonanzen und wildem Lärm durchtobte Tonschlacht eine Illustration der zartesten Liebestragödie sein soll, das hätten die wenigsten Zuhörer zu denken gewagt. Das Stück schien bereits mit völligem Stillschweigen übergangen, als einige Hände sich in heftigem Applaus regten und damit das Signal zu einem ziemlich allgemeinen und schnell obsiegenden Zischen gaben.“ Dennoch steht heute fest, daß die „Romeo und Julia“- Ouvertüre eines der ersten wirklichen Meisterwerke des zur Entstehungszeit knapp 30jährigen Tschaikowski darstellt, der die Komposition übrigens selbst sehr liebte und sie nach der Fertigstellung noch zweimal (1870 und 1879) umarbeitete. Er fühlte sich zu diesem Sujet so hingezogen, daß er auch eine Oper nach der Tragödie Shakespeares, dem berühmtesten Liebesdrama der Weltliteratur, plante, von der allerdings nur ein Duett erhalten ist. Die Ouvertüre, die sich durch melodische Erfindungskraft und Feinheit der Instru mentation. Klangschönheit und dramatischen Schwung auszeichnet und eine bemer kenswerte Geschlossenheit der Wirkung erreicht, folgt in ihrer Anlage nicht dem Handlungsverlauf der Shakespeare-Tragödie. Sie gibt vielmehr in ihrem sorgfältig gegliederten musikalischen Verlauf den Inhalt des Dramas durch eine sinfonische Darstellung des Schicksals der Handlungsträger, des dramatischen Grundkonfliktes wieder. Drei Hauptthemen tragen das musikalische Geschehen des Werkes. Feier lich, choralartig erklingt das auch später wieder erscheinende Thema der Einlei tung (Andante non tanto, quasi moderato), das den gütigen Pater Lorenzo, den Beschützer der Liebenden, charakterisieren soll. Im Hauptteil (Allegro giusto) wer den zu Beginn in temperamentvoller Weise die Kämpfe der beiden feindlichen Adelsgeschlechter geschildert, denen Romeo und Julia entstammen: energisch, rhythmisch prägnant ist das hier zugrunde liegende Thema. In starkem Gegensatz dazu steht das sehnsuchtsvoll-leidenschaftliche, lyrische dritte Hauptthema, das ausdrucksvolle „Liebesthema“ des durch Zwist der Eltern in den Tod getriebenen unglücklichen Paares. Nach der Gegenüberstellung dieser Themen in Durchführung und Reprise bildet ein ruhiger Nachsatz (Moderati assai), formal der langsamen Einleitung entsprechend, den Ausklang der Komposition. Luigi Boccherini, der als ein Charakter von großer Ehrlichkeit, Bescheiden heit, Geduld und Sanftmut geschildert wird und in seinem selbstlosen Dienst für die Kunst zu den edelsten Gestalten'der Musikgeschichte zählt, studierte Musik in seiner oberitalienischen Heimatstadt Lucca und in Rom. Als hervorragender Violon cello-Virtuose erntete er 1768 in Paris größte Erfolge. Ein Jahr später ließ er sich in Madrid nieder, wo er ab 1785 als Hofkapellmeister wirkte. Kompositorisch wid mete er sich dem Dienste des Cello spielenden preußischen Königs Friedrich Wil helm II., dem er — wie Mozart und Beethoven — Werke für sein Instrument zueig nete. Boccherini besaß eine erstaunliche Produktivität. Er schuf ungefähr 400 Werke, hauptsächlich auf dem Gebiet der Instrumentalmusik (ca. 30 Sinfonien, verschie dene Instrumcntalkonzerte, 125 Streichquintette, 90 Streichquartette, 50 Streichtrios u. a.). Boccherinis Musik huldigt mit ihren zärtlichen Figurationen, ihrer süßen Melodik, ihrem etwas „weichlichen* Charakter dem Stilideal des Rokoko. Seine Werke sind typisch italienische Instrumentalmusik und bezeichnender Ausdruck ihrer Zeit (das erklärt die enorme Beliebtheit Boccherinis zu Lebzeiten und das spätere verhältnismäßig rasche Vergessen seines Schaffens). Boccherini fand den Weg zum Streichquartett offne Bindung an Haydn, das Streichquintett ist seine Schöpfung, und auf Mozart hat er gewiß anregend gewirkt. Die „galante“ schlichte, sangliche und anmutige Thematik seiner Stücke wie ihre fein herausgearbeitete Dynamik und originelle Figuration verfehlen auch heute ihre Wirkung nicht. Die italienische Boccherini-Forschung hat in den letzten Jahrzehnten verstärkt ein gesetzt. Von seinen vier Cellokonzerten lebt vor allem noch das Konzert für Violoncello und Orchester B-Dur. das einzige aus jener Zeit neben dem Haydnschen in D-Dur. Das einfache Hauptthema des ersten Satzes (Allegro moderato) erklingt zunächst im Orchester, ehe der Solist mit einer umspielten Form beginnt, deren melodisches Filigran bezeichnend ist für Boccherinis Stil. Den lyrischen Charakter des Satzes unterstreicht ein zartes Seitenthema, ohne daß die virtuose Seite zu kurz käme.