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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIE N E - MU S E U M Freitag, den 23. September 1966, 19.30 Uhr Sonnabend, den 24. September 1966, 19.30 Uhr Sonntag, den 25. September 1966, 19.30 Uhr 1. Philharmonisches Konzert • Dirigent: Horst Förster Solist: Manfred Reichelt, Dresden, Violoncello Leos Janäcek 1854 - 1928 Suite aus der Oper „Das schlaue Füchslein“ Andante Andante Erstauffühtung Luigi Boccherini 1743 - 1805 Konzert für Violoncello und Orchester B-Dur op.34 Allegro moderato Adagio (non troppo) Rondo (Allegro) PAUSE Johannes Brahms 1833 - 1897 Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 Allegro non troppo Adagio non troppo-L’istesso tempo, ma grazioso Allegretto grazioso (Quasi Andantino) - Presto ma non assai Allegro con spirito MANFRED REICHELT wurde im Jahre 1935 in Rochlitz geboren. Von 1954 b,s 1959 studierte er an der Musikhochschule Weimar, insbesondere bei Prof. Neumann. In den Jahren 1959 h.s 1961 war er Solocellist am Rundfunkorchester Leipzig. Se.t 1961 wirkt er in gletchcr Funktion an der Dresdner Philharmonie und entfaltete eine rege solistischc Konzcrttatigkeit bei vielen Orchestern der DDR. ZUR EINFÜHRUNG Leos Janäcek, neben Bedrich Smetana und Antonin Dvorak eine der profiliertesten und eigenständigsten Persönlichkeiten der tschechischen Musikgeschichte, ist den deutschen Musikfreunden vor allem durch seine meisterlichen Opernschöpfungen - darunter „Jenufa“, „Katja Kabanowa“, „Die Ausflüge des Herrn Broucck“, „Das schlaue Füchs lein“, „Die Sache Makropulos“ und „Aus einem Totenhaus“ - vertraut geworden, aber auch durch verschiedene Instrumentalwcrkc wie die temperamentgeladene, trompeten überglänzte Sinfonictta, das humorvolle Klavierconccrtino, die Lachischcn Tänze und hochbedeutsame Kämmermusikwerke. Alle Kompositionen Janäceks künden von der überragenden schöpferischen Kraft und Originalität dieses mährischen Meisters. Die Quellen der Janäcekschen Musik liegen in der Volksmusik seines Heimatlandes. Er sammelte Volkslicdermclodicn und gab wertvolle Sammlungen heraus. In seinen neun Bühnenwerken gelangte der Komponist zu einem ganz eigenen realistisch-sensiblen Sprachgesang, der mit dem selbständig-sinfonischen Orchestergeschehen zu einer zwin genden Einheit verschmilzt. Auch impressionistische und expressionistische Einflüsse begegnen im urwüchsigen, vitalen Oeuvre Janäceks, der erst im siebenten Jahrzehnt seines erfüllten Musikerlebens internationale Anerkennung fand. Eine der hauptsächlichsten Inspirationsquellen seines Schaffens war die Natur, ganz ähnlich wie bei Smetana. Die wohl schönste Frucht der heimatlichen Naturstudien Janä ceks war die in den Jahren 1921 bis 1923 entstandene, 1924 in Brünn uraufgeführte dreiaktige Tieroper „Das schlaue Füchslein“, deren Text voller zauberhafter Naturpocsie sich der Komponist nach einer Novelle von Rudolf Tcsnohlidek selbst schrieb. Wir lernen in diesem symbolischen „Märchen für Erwachsene“ das kurze Leben der jungen Füchsin Schlaukopf kennen, wir erleben ihre Gefangenschaft beim Förster, ihre Aben teuer im Walde, ihre Liebe, ihre Hochzeit, ihre glückliche Mutterschaft und ihren Tod. Parallel zu dieser Handlung unter den sehr vermenschlichten Tieren läuft eine zweite unter den Menschen. Das Werk, das mit seiner tiefen Lebensweisheit, seinem ungewöhn lichen Thema und vor allem dank seiner genialen dichterisch-musikalischen Gestaltungs weise zu den bedeutendsten Opernschöpfungen der Weltliteratur zu rechnen ist, hat in der Komischen Oper Berlin eine zauberhafte, bühnenwirksame, Inszenierung durch Walter Felsenstein erfahren, die gleichermaßen zur Tat für Janäcek wie zum Symbol Felsensteinscher Regiekunst überhaupt wurde. Die von Vaclav Talich behutsam eingerichtete und von Vaclav Smetäcek revidierte Suite für Orchester aus der Oper „Das schlaue Füchslein“ von Leos Janäcek bietet etwas mehr als zwei Drittel der Musik (Vorspiel, Zwischenspiele und verschiedene Szenen) des ersten Aktes - schon der Ausschnitt aus dem Gesamtwerk läßt spürbar werden, wie die Natur mit all ihren verborgenen Stimmen in dieser Partitur, die eine pantheistische, hymnische Verherrlichung der Natur darstellt, Klang geworden ist. (Janäcek verbrachte zur Zeit der Komposition nachts viele Stunden im Wald, belauschte die Tiere und hörte die unzähligen geheimnisvollen Stimmen der Natur). Die Musik ist knapp, klar, konzentriert, fast aphoristisch und immer logisch gestaltet. Erinncrungsmotive, die für das Verständnis der Bühnenhandlung wesentlich sind, schaffen thematische und stimmungs mäßige Beziehungen - das sich weitausbreitende Melos mit seinen beharrlichen Motiv- und Tonwiederholungen zeigt die unmittelbare Nähe der mährischen Volksmusik. Der erste Satz der Suite beginnt mit dem zauberhaften Vorspiel der Oper, dem sich weitere Teile des ersten Bildes anschließen. Eine sommerliche Waldlandschaft flimmert in der Nachmittagssonnc. Der Dachs steckt seinen Kopf aus dem Bau. Kleine Fliegen umtanzen ihn. Die blauen Libellen bieten ein Ballett. Im Walzerrhythmus umtanzt die Mücke den schlafenden Förster, der von einem Frosch aufgeweckt wird, gerade zur rechten Zeit, um das neugierige Füchslein Schlaukopf (durch ein zaghaftes Motiv charakterisiert), das sich in seine Nähe gewagt hat, zu packen und mit in die Försterei nehmen zu können. Traurig und vergebens sucht die blaue Libelle nach dem Füchslein. Dei zweite Satz der Suite bringt Musik aus dem zweiten Bild des ersten Aktes. Der Hof der Försterei liegt in der Nachmittagssonne. Ein Thema steht am Beginn, das die Sehn sucht des gefangenen Füchsleins nach dem Wald, nach Freiheit und Liebe ausdrückt. Es erklingt auch in dem - sich in der Suite unmittelbar anschließenden - nächtlichen Zwischenspiel, in dem das Füchslein die Gestalt des schönen jungen Mädchens Terinka annimmt. Die Morgendämmerung mit der aufgehenden Sonne hat Janäcek in einem packenden musikalischen Bild gestaltet, das zu den stärksten Teilen des gesamten Werkes gehört. Schließlich folgt die fesselnde Charakterisierung des „Arbeitsablaufs“ auf dem Hühnerhof und die dramatische Auseinandersetzung zwischen dem spottenden, geckenhaften, eitlen Hahn und dem aufgebrachten Füchslein, die mit dem Tod des ersteren endet, wofür das gefangene Füchslein unbarmherzig durch die Förstersleute gezüchtigt wird. Doch die Gelegenheit ist günstig: die Flucht in die Freiheit gelingt. - Der einzigartige Humor und die Anmut, mit der Janäcek dies alles musikdramatisch ausgewertet bzw. orchestral „gemalt“ hat, läßt uns zu Recht in dem „Schlauen Füchslein“ - dem lyrischsten und melodicnreichsten Bühnenwerk des Meisters — mit seinem sonnigen, optimistischen Lebensgefühl einen „beglückend sorglosen Ausflug der Phantasie - einen tschechischen Sommernachtstraum“ sehen, um mit den Worten des Janäcek-Biographen Jaroslav Vogel zu sprechen.