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Rabemuer Anzeiger und Zeitung für Seifersdorf, Groß- und Kleinölsa, Obernaundors, Hainsberg, Eckersdorf, Coßmannsdorf, Lübau, Borlas, Spechtritz etc. Nummer 140. Dienstag, den 26. November 1895. 8. Jahrgang. Für den Monat Oyember nehmen alle Postanstalten und Briefträger, sowie sämmtliche Zeitungsboten Bestellungen auf diese Zeitung entgegen. Das bürgerliche Gesetzbuch und der Reichstag. Unter den Aufgaben, die an den Reichstag in seiner nächsten Tagung herantreten, ist die Berathung des bürger lichen Gesetzbuches zweifellos die wichtigste. Im nationalen Interesse muß es gewünscht werden, daß dieses große Werk nach seiner zwanzigjährigen überaus dornenvollen Vorbe reitung nunmehr baldigst zum Abschluß gebracht wird. Ueber die NothwendigkeU eiues einheitlichen bürgerlichen Rechts herrscht wohl auf allen Seiten Uebereinstimmung. Daß in den neuen Provinzen Preußens ein anderes Recht gilt als in den alten, in der Rheinprovinz ein anderes als im Osten, in Neupommern ein anderes als in Hinter pommern, ist ein widersinniger und nachtheiliger Zustand. Daß in einem großen Theile Deutschlands ein Gesetzbuch, daß der byzantinische Kaiser Justinian vor dreizehnhundert- sechzig Jahren in lateinischer Sprache nnd in sehr un- fhstematischer Form hat ausarbeiten lasten, die Kraft eines verkündeten Landesgcsetzes hat, wird, sobald wir nns nur diesen Sachverhalt recht vergegenwärtigen, als unerhört empfunden. Diesen unwürdigen Znständen mnß ein Ende gemacht werden nnd es ist »nr die Frage, ob unser Reichstag der großen Frage sich gewachsen zeigen wird oder ob, znm Nachtheil für die Nation, auch hier wieder einmal nach dem Worte des Dichters „der große Moment nur ein kleines Geschlecht finden" soll. Will der Reichstag das bürgerliche Gesetzbuch durch arbeiten, so muß er einige besondere Sessionen dafür an setzen. Mck dem Fortschreiten dieser Arbeit würde aber die Anssicht auf ihr Zustandekommen immer schwächer werden. Jede Partei hat grundsätzliche Svnderwünsche, und jeder Rechtsgelehrte im Hause nimmt das Recht für sich in Anspruch, einen Standpunkt zu vertreten und den Entwurf zu verbessern. Wenn nicht die Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten über ihre Meinungen die patriotische Pflicht setzen, für die Reichseinheit Wünsche und Zweifel zu opfern, so kommt die deutsche Reichseinheit nicht zu Stande. Man faste große Dinge gros an; man lasse sich das Beispiel des ansgezeichneten Code NapolÄn znm Muster dienen, welches von den französischen Volksvertretern gleich falls in Bänsch nnd Bogen angenommen worden ist. Man überlaste es der goldenen Praxis, die Prüfung zu über nehmen, wie weit das bürgerliche Gesetzbuch der Verbesserung bedarf. Ei» Gesetz zu machen, das den Wünschen aller vollkommen entspricht, ist unmöglich; ein bürgerliches Ge setzbuch herzustellen, das in der durchschnittlichen Meinung der Mehrheit geringere Bedenken gegen sich hat, als der vorliegende Entwurf, würde, wenn es überhaupt möglich sein sollte, noch einen großen Zeitraum und eine über mäßige Arbeitslast erheischen. Der Reichstag möge be denken, daß auf dein Entwurf durch volle 20 Jahre ein großes Maaß von Fleiß, Kenntniß, guten Willen und Treue verwendet worden ist. Sollte daher das Werk abgelehnt werden oder liegeil bleiben, so wird der Erfolg nicht etwa der sein, daß nnn nach weitern fünf oder zehn Jahren ei» besserer Entwurf zustande kommt, sondern alsdann muß auf viele Jahr zehnte Hinans auf die Hoffnung verzichtet werden, ein einheitliches Recht für Deutschland zustande zn bringen. Ein solches Scheitern wäre ein Mißerfolg, dessen moralische Bedeutmig man nicht hoch genug anschlagen kann, nnd das Volk würde es feinen Vertretern nicht verzeihe», wenn diese dein Zustandekommen des großen nationalen Werkes Hindernisse in den Weg legten. Aus unserer Gegend. — Der Winter ist da! Ueber ein Monat früher als im vorigen Jahre giebt diesmal der Winter seilte Karte ab. Nachdem cs in den letzte» Tagen ziemlich stark gefroren hatte, begrüßten wir am Sonntag früh den ersten Schnee, der laitgsam in dünnen Flocke» hcrmederrieselte. Selbst das Weihnachtsfest trug im Vorjahr »och nicht die Physiognomie, mit welcher wir es zu sehen gewohnt sind. Bei einem echten und rechten Weihnachtsfest dürfe» Schnee, Schlitten und Eisbahn doch nicht fehlen; von all dem war aber nichts zu sehen, nicht einmal die ersten Schnee flocken hatte Fra» Holle a»sgeschüttelt; statt dessen hatte ein trübes lind nasses Herbstwettcr geherrscht. In diesem Jahre scheint es anders zn werden. Fluren und Felder sind bereits mit einer glänzenden Schneedecke zugedeckt, die jungen Saaten gegen den eisigen Hauch des Winters schützend. Vielfach prangen »och Bam» und Strauch im schönsten grünen Blütterschmuck und wmken uns, die glitzernden Eiskrystalle von ihren Wipfeln schüttelnd, die letzte» Grüße des geschiedenen Sommers zu. — Bei der am Svmitag erfolgte» Wahl der Kirchen- vorställde wurde» gewählt: für Rabenau Herr Bürger meister Wittig Mld Herr Louis Hamann; für Ober naundorf Herr Ortsvorsteher Keilig und Herr Keßner. Die Betheiligung an der Wahl war eine sehr rege. — Wir wollen nicht unterlassen, nilsere Leser schon jetzt darauf aufmerksam zu machen, daß die Forderungen der Kaufleute, Krämer und Handwerker für gelieferte Waaren und Arbeiten mit dem Ablauf von 2 Jahren verjähren. Wer in solchem Falle nicht die Klage vor dem 31. Dezember einreicht, hat alle seine Rechte verloren. Die Ansicht, der man hänfig begegnet, daß eine statt gehabte Mahnung die Verjährnng unterbreche, ist voll ständig unrichtig. Wenn die Forderungen in Bezug auf den Gewerbetrieb des Schuldners entstanden sind, so tritt die Verjährung erst nach 30 Jahren ein. — Am letzte» Montag verunglückte der Bergarbeiter Liebschner von Ob er Hermsdorf in der Grube dadurch, daß ihm der Brustkorb in der linken Achselgegend ein drückt wurde. Besagter hat die Feldzüge von 64, 66 und 70/71 mitgemacht und ist ihm da nichts passirt. l Nachdruck verboten.) Glück auf! Roman aus dem Harze von O. Elster. (Fortsetzung.) Frendiges „Glückauf" vou einen, Schlitten znm andern, scherzhafte Zurufe, Lachen, Plauder», Peitschenknalle», Schnaube» der Rosse, Klirren und Klingen der Schellen geläute — dahin flogen die Schlitten, begleitet von den Hurrahs nnd Hussah der eine Zeit lang nebenher traben den Schuljugend. Die Fröhlichste von Allen war Ella. Ihre Ange» leuchteten, ihre Wangen glühten, und kaum eine Minute stand ihr rothes Plappermäulchen still. Bald neckte sie sich mit Frederigv, bald ärgerte sie durch ihre ttbermülhigeu Bemerkungen die brave Tante Lore, bald summte sie ein lustiges Stuben sied vor sich. „Nnn Tante Lore?" rief sie nach einiger Zeit fröhlich, „gefällt Dir die Fahrt? Sitzest Du auch wann?" „Ja, ja Kind, ich danke," erwiderte die alte Dame. „Ach, Herr Prado, zu meiner Zeit gab es solche groß artigen Vergnügungen noch nicht. Jetzt ist die Jugend verwöhnt. Die Welt ist ganz anders geworden." Ella gefielen die mahnenden Worte der Tante durch aus nicht. „Wenn man alt ist, kann man noch genug hinter dein Ofen sitzen," meinte sie schnippisch. „Ich freue mich meines Lebens und will meine Jugend genießen. Wer weiß, wie es später wird? Du, Tante Lore, und Fredda, Ihr kämet gut mit einaiider aus! Fredda hatte auch stets Bedenken, wenn es galt, einmal so recht fröh lich zu sein." Als sie Fredda's Namen genannt, erschrak sie inner lich, dein, sie fühlte, wie Frederigv leicht zusammenznckte. Sie war unvorsichtig gewesen, ihn an Fredda zu erinnern; die Unvorsichtigkeit mußte auf alle Fälle wieder gut gemacht werden. „Haben Sie schon Nachricht von Fräulein Fredda?" fragte Frederigv leise, und Ella erwiderte leicht hin „Nein, "och nicht. Wir werden auch wohl noch eiuige Zeit ivarwu müssen. Das ist ja auch ganz natürlich, die große Stadt bietet so viel Abwechslung, daß die frühere» ^»drücke rasch verwischt werde»." „Ich danke, Fräulein Fredoa's Mama ist krank?" „Ja, sie war krank, aber das giebt sich schnell wieder, flch kenne den Zustand der Tante ganz genau. Das ist IW so schlimm!" „Meinen Sie wirklich, daß Fräulein Fredda so rasch vergißt?" „Nun sicherlich, bester Herr Prado. Mein Onkel macht ein großes Haus; es verkehren bei ihm viele interessante Künstler und Fredda ist der Stern dieser Kreise. Ich kenne auch ein kleines Herzensgeheimniß von ihr," setzte sie ein wenig maliliös hinzu, „die 'Neigung zu einein jungen Schriftsteller — doch nein — ich darf nichts ausplaudern." Aufmerksam beobachtete sie sein Antlitz, das sich ver düstert hatte. Ella's Worte berührten ihn schmerzlich; aber mußte er sie nicht für wahr halten, da Fredda bis jetzt »och nicht einmal auf seinen Brief gecmtwortet hatte? Und wurde Ella, welche mit Fredda so innig befreundet schien, olme Ursache in solcher Weise von ihrer Consine sprechen? Das war nicht anzunehmeu. Er seufzte leise ans und machte sich mit den Zügeln zu schaffen, um seine schmerzliche Bewegung zn verbergen. „Ja, ja Herr Prado," begann jetzt auch Tante Lore, scheinbar die Worte Ella's bestätigend, „Fredda ist ein seltsames Mädchen. Man wird nicht recht klug aus ihr, sie ist still und verschlossen, aber im Grunde ihres Herzens ein gutes Kind. Längst schon könnte sie verheirathet sein; aber an allen jungen Herren hat sie etwas auszusetzen. Ihr Papa hat sich schon oft darüber geärgert. Ich kenne ihren Papa nämlich ganz genau. Wie Sie wissen, bin ich die Cousine des Majors und seines Bruders . . ." „Ja, ja, Tante Lore. Das ist eine alte Sache, das wissen wir," unterbrach Ella die Tante. Denn nichts konnte das lebhafte Mädchen ungeduldiger mache», als die lange» Auseinandersetzungen Tante Lores über die verschiedenen Verwandtschaften. Jetzt tauchten die Gebäude der Festenburg aus dein weißschimmerudeu Nebel auf. Die Ruinen der allen Burg selbst bekam man allerdings nicht zu Gesicht. Sie lagen weiter in de» Wald hinein, an dessen Sanin ein Gehöft, das Wirthshaus zur „Festenburg", sich erhob. Das Gasthaus war ein einfaches, einstöckiges, langgestrecktes Gebäude, berühmt durch seinen vorzüglichen Kaffee und den prächtigen goldgelben, selbstgcbackenen Napfkuchen. Der Wirth, die Wirthin nnd mehrere Aufwärterinncn in Feiertagsgewand empfingen die Schlitten vor der Hansthür. Gewandt sprangen die Studenten heraus und Hobe» die Dame» zur Erde. Jetzt kam auch Ellas Schlitten au die Reihe. Langsam schälte sich Tante Lore aus den vielen Umhüllungen heraus, während sie schon dieser und jener älteren Dame grüßend zuwinkte. Ella war behende an der anderen Seite des Schlittens heraus- gesprnngen und begrüßte mehrere Freundinnen, die nicht ohne Neid sie auszuforschm suchten, ob die Fahrt schön gewesen sei. Demi im Grunde ihres Herzens hatte» sie alle es Ella eigentlich übel genommen, daß sie die Aus erkorene des schönen Pcrlnmers gewesen war. Ella be friedigte mit schnippischer Schadenfreude die Wißbegierde der gute» Fre»»din»e», nur da»» am Arme Frederigo's stolz »nd strahlend in das Gastzimmer zu treten. Hier fand die allgemeine Begrüßung statt. Tante Lore sollte hier — Tante Lore sollte dort Platz nehmen. Schließlich fand die würdige Dame einen behaglichen Sitz in der Nähe des großen Kachelofens zwischen der Frau Bergrath Schlegel und der Frau Direktorin Stammer. Da gab es denn Vieles zn erzähle»! Neulich der veruuglückte Kaffee bei der Frau Direktorin, als der Kuchen nicht ansreichte! Uno daun der Kaffee bei der Frau Postdirektor, welche »och nicht einmal goldene Mokkalöffel besaß! Und erst der Thee bei der jungen Frau Assessor! Das war doch recht alberu von der jungen Frau, daß sie jeden Augenblick nach der Thür sah, ob ihr theurer Gatte, der Herr Assessor noch nicht nach Haus käme! Na, der Herr Assessor würde sich schon nicht ver lieren. Als Junggeselle hatte er es toll genug getrieben, wie wenigstens die Frau Direktorin zu erzählen wußte. Während dieser höchst angenehmen Gespräche der älteren Damen halte die junge Welt an der langen Kaffeetafel im Tanzsaal Platz genommen. Jede Danie erhielt einen Strauß frischer Blumen in den Farben der verschieden Verbindnngen. Am prächtigsten nahmen sich die blau-weiß-rothen Hyaziuthensträußchen der Montanen aus, so meiute wenigstens Ella, die Blumen mit schelmischem Seitenblick auf Frederigv an ihr keckes Stumpfnäschen führend. Der ganze Saal duftete »ach frischem Kuchen und Kaffee, sowie »ach de» grüne» Tan»e»zweige», mit denen die Wände verziert waren. Auf der mit Tannen geschmückten Estrade stimmten die Musiker ihre Instrumente. Ais die erste Fanfare ertönte, öffnete» sich die Flügel- thüre» »»d Wirth »»d die Wirthin, gefolgt von den frischen, feiertäglich geputzten Mägde» trugen die mächtigen, mit dem braiine» duftenden Trank angefülllen Kaffee kanne» herein. (Fortsetzung folgt.)