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Rabenauer Anzeiger und Zeitung für Seifersdorf, Groß- und Kleinölsa, Obernaundors, Hainsberg, Eckersdorf, Coßmannsdorf, Lübau, Borlas, Spechtritz ete. Nummer 149. Dienstag, den 17. Dezember 1895. 8. Jahrgang. Aekanntmachlmg. Die Besitzer der in hiesiger Stadt gelegenen Haus- grnndstücke werden hiermit an die Erfüllung der ihnen obliegenden Pflicht, die längs ihrer Grundstücke führenden Fußwege bei eintretender Glätte gehörig zu bestreuen, er innert, mit dem Bemerken, daß die Unterlassung des Streuens nicht nur Haftpflicht für etwa dadurch entstehende Unfälle sondern auch Ordnungsstrafe bis zu 10 Mark nach sich zieht. Rabenau, am 9. Dezember 1895. Der Bürgermeister. Aus unserer Gegend. — Was ist traurig? Weihnacht ist da. Tief liegt der Schnee, weit und breit und kalt, bitter kalt ist die Luft. Und drinnen in dem schmucklosen Stübchen der Armen und Aermsten kauert die Noth, die nackte Noth frierend am brandlosen Heerd. „Mutter, kommt zu uns das Christkind nicht?" — „Nein!" murmelt die Mutter und preßt den blaffen, zitternden Jungen ans Herz. — „Mutter, warum kvmmt's nicht auch zu uns?" — „Warum?" Die Mutter schaut irren Blicks durch den kahlen freudlosen Raum. „Warum?" Eine Thräne rollt langsam über ihre magere Wange. „Es kommt nur — in warme Stuben —! Das Christkind!" seufzt sie. „Warum haben wir nicht auch eine warme Stube, Mutter ? Mich friert so! Und ich bin hungrig — gieb mir Brod! Es ist doch heute Weihnacht ..! — — Der arme, blasse Junge birgt seinen Kopf in den Schooß seiner Mutter und weint leise und bitterlich. Und die arme Mutter starrt durch die zerbrochenen Scheiben hinaus auf die schnee verwehte Straße und hinüber nach dem hohen Haus. Da sind die Fenster hell erleuchtet. Es ist kein Lampenschein. Sie zählt die Lichter, langsam traumverloren, gedankenlos — Es sind zehn, zwanzig dreißig Ein wildes iNachdmck verbvlen.) Glück auf! Noma» aus dem Harze von O. Elster. (Fortsetzung.) Am Peinlichsten waren ihr die Mitleidsbczeugungen der sogenannten guten Freundinnen, welche ihre Schadenfreude kaum verbergen konnten. Denn wahr hafte Freundinnen besaß Ella nur sehr wenige, da sie durch ihr übermüthiges Benehmen oft verletzt hatte. Auch ihr Vater, der alte Major, war mit der Wendung der Dinge durchaus nicht einverstanden. „Da sieht mau nun," so brummte er, „was dabei herauskommt, wenn man solchem überseeischen Millionär allzuviel Vertrauen schenkt. Wir hätten klüger sein sollen, mein armes Kind, und abwarten, bis der Herr Prado aus seiner Heimath hierher zurückgekehrt wäre. Dann wäre es noch immer früh genug gewesen, ja oder nein zu sagen. Was ist jetzt zu machen, so oder so, die Blamage bleibt dieselbe." Ella mußte im Innern ihres Herzens ihrem Vater Stecht geben, aber sie wagte doch nicht in Worten ihre Zustimmung zu äußern. Tante Lore indessen fuhr ent rüstet auf: „Du solltest Dich schämen, Vetter, solche Worte über den armen Frederigo in Gegenwart Deiner Tochter laut werden zu lassen. Frederigo ist ein Ehrenmann und wenn es möglich wär, Hütte ich ihn jetzt noch lieber, als früher, wo er als Nichtsthuer und Millionär in der Welt umherlief." „Du hast gut reden, Tante Lore," meinte mit in- grimungen Lachen der Major, „Du brauchst diesen Herrn von Habenichts nicht za heirathen." Tante Lore verbat sich ganz ernsthaft solche albernen Scherze und vergrub sich in ihre Küche. Der Major streichelte mitleidig das dunkle Lockeuköpfchen Ellas, die leise vor sich hinweinte, und ging brummend rind knurrend in die „Krone", um dort seinen alltäglichen Scat zu spielen. Die Tage und Wochen vergingen; allmählig ward Ella ruhiger und nahm wieder mehr Antyeil an dem gesellschaftlichen Leben der Stadt, nachdem sie sich einige Wochen hindurch ganz von demselben zurückgezogen hatte. Frederigo kam außerordentlich selten auf Besuch. Er hatte nur alle 14 Tage einen freien Tag und auch diesen konnte er nicht immer bei Ella verleben, da ihm seine Weh krampft in ihr auf, sie sinkt zusammen und schluchzt: „Warum haben wir nicht auch eine warme Stube ...?" Das ist traurig. Und nun die andere Frage: Was ist gut? Materialismus, roher Materialismus wuchert heutzutage hier und dort wie Unkraut- Der Kampf um das Dasein wird immer mehr gemüthsmordend und idealverscheuchend, der Egoismus, die Gewinnsucht, die Rücksichtslosigkeit wächst mit dem Jammer, dem Elend und der Noth. Und den noch! Die Menschheit von heute ist wie eine von Stüm pern gespielte Harie. Sie scheint nur auf Dissonanzen gestimmt zu sein. Aber nur her mit einem wahrhaft großen ilnd edlen Meister er greift in die Saiten, erst leise, zögernd, dann sicherer, immer sicherer, kühner, kräftiger — und hört! Noch immer haucht und rauscht dieses göttliche Instrument „Menschheit" eine erhabene Tonfülle aus. Und solcher Meister größter und edelster ist die Humanität, die werkthätige Menschenliebe! Jetzt wieder, da der eisig erlödtende Sturm durch die Gassen jagt, wärmt dieser herzliche Meister die Finger an der milden Flamme der Barmherzigkeit und greift in die Saiten, in die Herzen derer, die da am warmen Kamin im wohnlichen Gemach sitzen — — Er greift hinein mit Macht, uns es rauscht und klingt und mahnt und fleht: Gedenket der Armen! Denkt an Weihnachten! Dieses Hohelied — es ist das köstlichste Präludium zu dem schönen Feste der herzerfreuenden Weihnachtszeit! Und Ihr, die Ihr davon ergriffen werdet, Ihr, bei denen noch eine verwandte Saite anklingt und mittönt in dem sieg haften Choral der Menschenliebe — Ihr öffnet die Hände! Viel Weihnachtsbitten ertönen jetzt, es wird gesammelt für die Aermsten, für ihr Weihnachtssest und ihre W-ihnachts- freude... Es sind die Geistlichen und andere berufene Kräfte, die Apostel des Mitleids, der Barmherzigkeit! Ihnen gebt, was Ihr geben könnt! Es ist für die armen, für die armen Kinder der Stadt! Und — — — das ist gut! — Bibliothek des Gewerbevereins zu Ra benau. Nach des Tages Arbeit sehnt sich an den laugen knappen Mittel die öftere Reise nicht gestatteten. Zu Fuß den weiten Weg von „Glück aus" nach dem Bergstädtchen zu machen, ging nicht immer an, da er von der Arbeit zu angestrengt rind müde war, sodaß er sich an dem freien Tage der Ruhe and Erholung hingebcn mußte. Sollte Ella deßhalb aber allen Vergnügungen entsagen? Dazu fühlte sie sich nicht im Stande und auch Frederigo ver langte dies nicht, wie er in jedem seiner Briefe betonte. Aber eine arge Enttäuschung für Ella war es, als Frederigo auch ablehnte, an dem jedes Jahr stattsindenden großen „Berg- und Hütten feste" theilzunehmen. Freilich, er trauerte noch um seinen Vater, aber ihr zu Liebe hätte er doch wohl auf ein Stündchen herüberkommen können. Wie hatte sich Ella auf dieses Fest gefreut! Ihr weißes Battistkleid mit schottischen Schleifen geschmückt, lag bereits seit Wochen fertig oben im Fremdenzimmer. Sie trollte einmal wieder bewundert und beneidet werden von ihren Freundinnen, wie in früherer Zeit. Mit all den kostbaren Geschenken, welche ihr Frederigo früher gemacht, wollte sie sich schmücken. Solche Armspangen und solche Perlenhalskettcn besaß keine ihre Freundinnen, und der brasilianische Lenchtkäferschmuck fland ihrem dunklen Lockenkopf entzückend schön. Und alles das sollte jetzt in der dunklen Tiefe der Schublade liegen bleiben? Nein, sie brachte es nicht über's Herz, und wenn auch Tante Lore ein bekümmertes und bitterböses Gesicht machte, so hatte Ella doch den Vater auf ihrer Seite, der gut- müthig meinte: „Weshalb soll man dem Kinde das harm lose Vergnügen nicht gönnen." Wohl oder übel mußte Tante Lore sich fügen, zumal sie ihre kleine Ella, welche sie doch auch zärtlich lieble, nicht nur in Begleitung des Papas zu dem Feste gehen lassen konnte, da sie wußte, das Papa Major sehr bald in irgend einer Ecke hinter einer Flasche Wein sitzen würde, ohne sich um das Kind zu bekümmern. So richte sie ebenfalls ihre Toilette her, ein grau und schwarz gestreiftes Seidenkleid mit steifen Falten lind bauschigen Acrmeln, den längst aus der Diode gekommenen schwarzen Spitzenumhang und den mit lila Bandschleifen garnirten Capvthut. In dem mächtigen Pompadour ruhte neben dem Strickstrumpf eine große Düte mit feinem Backwerk, und so ausgerüstet, erwartete sie im Zimmer auf und ab trippelnd Ella, welche mit ihrer Toilette noch nicht fertig war. Winterabenden so mancher nach einer billigen, nutzbringen den Unterhaltung am lieben heimischen Heerd. Was läge da wohl näher, als das Lesen von guten Zeitschriften. Diese sind in unserem „papiernen" Zeitalter sehr wohl feil, aber noch billiger und in reichster Auswahl bietet unsere vom Herrn 0. Burkhardt verwaltete, wohlgeordnete Volksbibliothek, welche für Jedermann zur fleißigen Be nutzung bereit fleht. In dem für 10 Pfg. vom Herrn Bibliothekar erhältlichen Kataloge sind die Titel aller Bücher, gewählt aus den verschiedensten Gebieten der Litteratur, verzeichnet. Sonnabends von 11—12 Uhr ist die Bibliothek geöffnet. Von den Schulkindern wird er freulicher Weise jetzt recht ausgiebiger Gebrauch dieser überaus segensreichen Einrichtung gemacht. — Die am 2. Dezember stattgefundene Volkszählung hat für Obernaundorf ergeben, daß die ortsanwcsende Bevölkerung 464 Seelen betrug. Da am 1. Dezember 1890 nur 443 Einwohner gezählt wurden, so crgiebt sich ein Zuwachs von 21 Seelen. Haushaltungen wurden am 2. Dezember 105 gezählt. — Obernaundorf. Gestern Abend gab der Artist Herr C. Belli eine äußerst interessante Vorstellung im Schubert'schen Gasthof. Die einzelnen Nummern und ihre wirklich gediegene Ausführung zu erwähnen wollen wir unterlassen, können aber unsern Lesern gern den Besuch der Vorstellungen des in Deuben jetzt wohnhaften Herrn Belli empfehlen. Infolge der schon so zahlreich allerorts abgehaltneu Konzerte wurden die Mühen des Künstlers sowohl als auch die des rührigen Wirthes bei dem schwachen Besuche nicht recht belohnt. — Die in letzter Nummer gebrachte Notiz, Militär- Verein Grvßölsa betr., ist dahin zu berichtigen, daß Herr Freigntsbesitzer Hamann nicht seine Erlebnisse vom 1870/71 Kriege, sondern seine Reiseeindrücke, die er als Theil nehmer an der Kriegerzusammenkunft auf den Schlacht feldern von 1870/71, zu Nüdesheim, Saarbrücken, Spicheren, Dietz und Straßburg empfangen, zum Besten gab. Jetzt that sich die Thür auf und Ella stand auf der Schwelle. Tante Lore mußte selbst zugebcn, daß Ella allerliebst, aussah. Die dunklen Augen, die in letzter Zeit allen Glanz verloren hatten, lachten die alte Tante wieder ebenso erwartungsvoll und freudig an, wie früher. Die Wangen glühten, nm die rothen Lippen schwebte, tvie irüher, ein halb übermüthiges, halb schalkhaftes Lächeln. Papa Major strich sich vergnügt schmunzelnd den greisen Schnauzbart und klopfte sein Töchterchen zärtlich auf die Wange. „Siehst Du, Tante Lore," rief er, „das ist doch einmal wieder unsere alte Ella! Und nun vorwärts, Ihr müßt gehen, damit Ihr nicht zu spät kommt. Ich werde gegen Abend Nachkommen." Vor der Thür trafen Tante Lore und Ella zufällig mit der Frau Pastorin und deren zwei Pensionärinnen zusammen, welche auch nach dem Festplatz gehen wollten. Dian begrüßte sich und setzte den Weg gemeinschaftlich fort. Die jungen Mädchen plauderten in ausgelassener Fröhlichkeit miteinander, Ella vergaß vollständig ihre Sorge und ihren Kummer und fühlte sich übermuthig nnd frei Ivie früher, als sie noch die gefeierte Königin aller Feste der Akademie und der Studentenschaft gewesen war. Plötzlich sprach eine der jungen Damen: „Wissen Sic denn schon, Fräulein Ella, daß wir heute wahrscheinlich eine interessante Verlobung erleben werden?" ,,Da bin ich doch neugierig!" „Sie kennen den Herrn auch, er gehörte ja früher, als Sie noch nicht verlobt waren, zu ihren eifrigsten Bewunderern. Aber seit einiger Zeit widmet sich Herr Lee nur noch der blonden Tochter des Oberförsters und heute wird wahrscheinlich die Verlobung veröffentlicht werden." Ella erbleichte. Schmerzhaft durchzuckte es ihr Herz. Jetzt vußte sie, weshalb John Lee sich die letzte Zeit nicht mehr hatte sehen lassen. Aber dann bäumte es sich in ihrem Herzen trotzig auf, sie empfand ihre Verlobung als eine unbequeme Fessel, welche sie daran hinderte, die siegreiche Macht ihrer Schönheit und ihres Geistes andere Herren fül len zu lassen. Doch sie wollte »och nicht ent sagen!