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Rabemuer Anzeiger und Zeitung für Seifersdorf» Groß- und Kleinölsa, Obernaundorf, Hainsberg, Eckersdorf, Coßmannsdorf, Lübau, Borlas, Spechtritz ete. 10. Jahrgang Nummer 11. Donnerstag, den 28. Januar 1897. Aus unserer Gegend. — Der lang ersehnte Schnee ist nunmehr und zwar in recht ergiebiger Weise eingetroffen, sodaß die Schlitten bahn perfect geworden ist. Schon am Sonnabend und Sonntag wurde bei noch mäßigem Schnee der Schlitten benutzt. Der Verkehr gestaltete sich letzter Tage zu einem recht lebhaften in unserm Orte. Von allen Seiten ver nahm man lustiges Schellengeläute. Hoffentlich bleibt uns dieser Genuß wenigstens auf einige Wochen. — Nun ist die Zeit vorbei, an welchem sich die todt- bringenden Feuerrohre auf eines unserer schmackhaftesten Wildprets, den Hasen, richten konnten, denn mit nächsten Sonntag wird die Schonzeit für Meister „Lampe" begin nen, welcher nun Zeit und Muße finden wird, seine Fa milienangelegenheiten zu ordnen, ohne befürchten zu müssen, daß er durch eine blaue Bohne den „Garaus" erhält. — Die Schwiegermutter des Herrn Stadtverordneten Einert, welche im April 1895 mit ihrem noch lebenden Ehemann das goldne Ehejubiläum gefeiert hat, ist in einem Alter von 78 Jahren am Dienstag verstorben. — Für den deutschen Gastwirthstag, der bekanntlich in diesem Jahre in Gotha stattfindet, sind nunmehr die Tage vom 14. bis 18. Juni festgesetzt. — Der frühere Maschiuenführer der Thodeschen Pa pierfabrik in Hainsberg, Heinrich Conrad, welcher vor vier Jahren sein 50jähriges Arbeitsjubiläum feierte, beging am Sonntag seine goldene Hochzeit. Der noch rüstige und beinahe 80jährige Greis, welcher bei Ausübung seines Berufes vielmals, darunter zwei Mal schwer verunglückte, geht heute noch auf Arbeit. — In Großöl sa hat Herr Gutsbesitzer Bruno Reichel sein an die Dippvldiswalder Haide angrenzendes Gut verkauft, um im Februar als Hotelier nach Altchemnitz zu verziehen, — Seit einiger Zeit treibt ein „Gelegenheitsdieb" in der' Umgegend sein Wesen. Es sind in letzter Zeit einige Fälle von Diebstählen, wenn auch nur bis jetzt von geringfügiger Art, hier vorgekommen. Es ist daher ge- rathen, namentlich in den Abendstunden ein wachsames Auge zu haben. — Der Maurer Ernst Julius Bürger aus Nickern verunglückte vorige Woche bei einem Bau in Dresden, in dem ihm eine schwere Kette auf den Kopf fiel. Die dabei erlittene Verletzung führte leider den Tod des Bedauerns- werthen herbei. Bürger, 46 Jahre alt, war Vater von 6 Kindern. — Wie oft hat man schon die Bemerkung gehört, daß es nicht mehr all zu lange dauern wird, daß das Pferd nur noch in Menagerien zu sehen sein wird. Wenn man die heutige Entwickelung der Fahrzeuge betrachtet, so muß man fast zu dieser Ansicht kommen, denn nicht nur zwei- und mehrsitzige Fahrräder werden gebaut, sondern in neuester Zeit auch elektrische Luxuswagen. Es sind dies vierräderige Wagen, deren Steuerung durch eine gleiche Lenkstange, wie die eines gewöhnlichen Zweirades bewirkt wird und sind die Räder in hohlen Gabelscheiden gelagert und mit Pneumatikreifen umspannt. Das Gewicht dieser Wagen ist verhältnißmäßig äußerst gering und erfolgt der Antrieb von einem elektrischen Motor aus auf die Hinter räder. Die veranstalteten Probefahrten haben sehr gute Resultate ergeben und stellen sich derartige Wagen und ihre Betriebskosten auch nicht theuer, auf keinen Fall so theuer, wie Pferd und Wagen. — Eine lustige Spitzbubengeschichte hat sich dieser Tage in einem Dorfe bei Dresden zugetragen. Als die dortigen Wirthsleute ihre Gäste verabschiedet und ihre im ersten Stock gelegene Schlafkammer aufgesucht hatten, hörten sie plötzlich in den unteren Gasträumen seltsamen Lärm. Da in letzter Zeit verschiedene Diebstähle in der näheren und weiteren Umgebung ausgeführt worden waren, so kam man natürlich auf den Verdacht, daß Diebe in die Parterreräume eingedrungen seien und bereits auszuräumen begönnen. Da aber einer Räuberbande gegenüber immer die größte Vorsicht am Platze ist, so wurden zunächst in aller Stille die Nachbarn, sowie die Dienstboten zur Hilfe herbeigeholt und mit Mistgabeln, Dreschflegeln und anderen Waffen ausgerüstet. Dann wurde das Haus umstellt, so daß die etwa entfliehenden Spitzbuben auf keinen Fall ent rinnen konnten. Inzwischen rumorte es ungestört in der Gaststube weiter. Die beherztesten Männer gingen nun gegen die Thüre und postirten sich so, daß der Dieb, wenn er wirklich versuchen sollte zu entfliehen, sofort „aufgespießt" werden mußte. Nach allen diesen Vorbereitungen öffnete der Muthigste endlich die Thüre. Kaum war aber diese aufgemacht, als der Eindringling mit großen Sätzen her ausstürzte. Noch ehe sich die Leute von ihrem Schreck er holten, hatte er bereits das Weite gewonnen und lachte — wie aus dem munteren Bellen zu erkennen war, die Spitzbubenfänger aus. Der große Hund eines Gastes war hinter dem Ofen eingeschlafen und hatte das Fortgehen seines Herrn, sowie der anderen Gäste und des Wirthes verpaßt. Als er dann aufwachte, rumorte er im Dunkeln in der Gaststube herum und rief dadurch die allgemeine Aufregung hervor. — Die Sterbeziffer Sachsens ist mit Ausnahme des Jahres 1894 noch niemals so niedrig gewesen als im ver flossenen Jahre. Obwohl die im Vorjahre ganz außer gewöhnlich niedrige Zahl der Todesfälle — 87 097 — auf 90 757 gestiegen ist, kommen doch bei einer für die Mitte des Jahres auf 3 763000 Seelen berechneten Bevölkerung nur 24,1 Fälle auf 1000 Lebende. (Nachdruck verbale«.) Meine offieielle Frau. Roman von Col. Richard Henry Savage. Und damit begann das unschuldige Geschöpf mit der größten Freude im Zimmer herumzutanzen, bis der^Kellner ein lukullisches Abendmahl auftrug, über das sie mit einem wahren Kinderappetit herfiel, der mich entzückte, denn ich schloß daraus, daß sie meiner Weltersahrung vertraute und deshalb an einen guten Ausgang des Abenteuers glaubte. Aber während sie lachte, plauderte und aß, fing ich an zu überlegen, und als mir die Schwierigkeiten meiner Lage allmählich klar wurden, verging mir der Appetit, ich hörte auf zu essen, fing an zu trinken und wurde ein silbig, finster und trübsinnig. Sobald der Kellner draußen war, schmollte sie: „Sie sehen nicht aus, als wären Sie sehr entzückt darüber, mich noch ein paar Stunden länger unter Ihrer Obhut zu haben." „Das ist es nicht, aber nachher," murmelte ich. „Denken Sie, wenn die Weletsky mich an der Bahn ab holen und Sie an meinem Arm sehen; ach du großer Gott, und wenn ich denke, daß man vielleicht meiner Tochter telegraphirt hat, daß ich komme, und sie am Ende auch auf dem Bahnhof steht! Glauben Sie denn, sie werde nicht wissen, daß Sie nicht ihre Mutter sind, auch wenn alle Bahnbeamten darauf schwören, Sie seien mein rechtmäßiges Weib." „Ihre Tochter befindet sich in Rjäsan?" fragte sie. „Gewiß." „Und Sie haben heute von Eydtkuhnen aus tele graphirt?" „Ja." „Dann ist es gar nicht menschenmöglich, daß Ihre Tochter morgen zeitig genug nach Petersburg kommt." „Sie sprechen sehr bestimmt für jemand, dem Ruß land ganz unbekannt ist." „Ich weiß genug, um bestimmt sprechen zu können," rief sie heftig; dann schlug sie aber plötzlich einen anderen Ton an und stammelte: „Ich weiß übrigens ebenso be stimmt, daß Sie bereuen, mir beigestanden zu haben." „Durchaus nicht," sagte ich, stöhnte aber gleich daraus „ach Gott, unser falscher Paß!" Sie wurde sehr bleich und jammerte: „Sie wollen mich hier zurücklassen — hier ganz allein — Arthur, Sie mich — Sie!" Damit schwankte sie auf mich zu, ergriff meine Hand und streichelte sie wortlos, aber so ausdrucks voll, daß ich mich so stolz fühlte wie ein Indianer mit einem frischen Skalp. „Niemals!" rief ich. „Sie thörichtes Kind, ich er wähnte ja diese Schwierigkeiten nur, um Ihrer Unschuld all' die uns umgebenden Fallstricke zu zeigen, die ich aus Erfahrung kenne, und um Sie ein bischen zur Vorsicht zu mahnen." „Vorsicht," sagte sie verhältnißmäßig ernst, „fürchten Sie nichts von mir — ich will ganz Vorsicht sein." Dann wurde sie plötzlich wieder lebhaft und rief: „Ich muß ganz entschieden verlangen, daß Du heute Abend keinen Wein mehr trinkst, mein lieber Mann. Thust Du's doch, so laß ich mich von Dir scheiden, Du böser Mensch!" Dies sprach sie, während sie feierlich warnend den Finger emporhob und ein Paar lachender Augen zeigte, die für mich weit berauschender waren als der Champagner, den ich zum Munde führte. Natürlich schlug ich nun alle Sorge in den Wind, und wir beendeten unser mitter nächtliches Mahl recht munter und vergnügt. Aber das Ticken der Uhr auf dem Kamin mahnte daran, daß die Zeit enteilte; ich klingelte dem Kellner, bezahlte und warf dem sich kriechend verbeugenden Men schen ein paar Rubel hin. Frau Dick sah dies und reichte mir schweigend ihr kleines Taschenbuch. „Wozu?" fragte ich überrascht. „Für meine Auslagen," gab sie rasch zurück. „Frau Dick Gaines bezahlt selbst für sich." „Aber Fran Arthur Lenox —" wendete ich ein. ,Mill ebenfalls bezahlen," flüsterte sie. „Bitte, weisen Sie das nicht zurück! Meine Lage bringt weiß Gott genug Verlegenheiten mit sich, auch ohne daß Sie mich zwingen zu erröthen, so oft Sie Ihr Taschenbuch öffnen. Nehmen Sie, bitte, das Geld! Sie müssen es durchaus — wenn nicht alles, so theilen Sie wenigstens mit mir." Dabei drückte sie mir gewaltsam eine Menge Bank noten in die Hand und sagte dann: „So, jetzt kann ich Sie doch morgen früh mit ruhigem Gewissen um ein Frühstück bitten." Gleich darauf standen wir auf, um zu gehen. „Und Sie sind wirklich nicht unglücklich darüber, daß Sie sich schon in Wilna von mir trennen?" fragte mein Schützling mit lächelndem Mund; dann warnte sie mich spöttisch: „Nicht, Arthur! Der Kellner sieht ja zu! Sie sind viel zu aufmerksam für einen echten Ehemann;" denn ich half ihr mit gemächlicher Beflissenheit, die mit ehelicher Gleichgiltigkeit nichts gemein hatte, in ihren Pelz. Einen Augenblick danach schritt ich, sie am Arm führend, die Treppe hinunter und durch eine Menge müßiger, bewundernder Gaffer zur Hausthür. Als ich am Büreau vorüberging, rief mich der Buchhalter an: „Bitte um Vergebung, Herr Oberst, wollen Sie sich gütigst hier einschreiben und mir einen Blick auf Ihren Paß gestatten? Eine reine Formsache, aber eben einmal Vorschrift," sagte er ehrerbietig. Natürlich blieb mir nun nichts übrig als „Arthur Lenox mit Frau" in das Fremdenbuch zu schreiben — ein weiterer schrecklicher Beweis gegen mich, falls das Unglück wollte, daß die wahre Frau Lenox einen Blick auf dieses Blatt werfen sollte. Bei dem Anruf des Buchhalters hatte Frau Dick plötzlich erschreckt meinen Arm fester gepackt, aber als ich mich nun einschrieb, rief sie dem Manne zu: „Ach, diese Pässe — diese Pässe! Wie haben den unseren schon so oft zeigen müssen, Arthur, daß er vsrmuthlich bald abge nützt sein wird." Dann nahm sie meinen Arm, hing sich fest an mich, und als wir in der Dunkelheit der Nacht nach der Bahn hinübergingcn, flüsterte sie: „Ich erschrecke jedesmal furcht bar, wenn man nach dem schrecklichen Paß fragt. Sie sind der liebste, beste Mann von der Welt, daß Sie so freundlich für so ein unerfahrenes, dummes Ding sorgen, wie ich eines bin." Auf dieses Compliment erwiderte ich nichts, obgleich es dem Mann von Welt in mir viel zu denken gab, sondern strich nur meinen Schnurrbart, der noch immer kohlpechrabenschwarz war — dank einer orientalischen Behandlung, die mir Ali Khan, Barbier in Alexandria, verrathen hatte, als ich noch bei der Armee des Khedive stand. In wenig Augenblicken hatten wir den Zug erreicht und stiegen in unsere Abtheilung ein, wo Frau Dick mit einem Seufzer der Erleichterung in die üppigen Kiffen sank, denn die verschiedenen Aufregungen unseres Aufent halts in Wilna schienen ihre Nerven denn doch ange griffen zu haben. Ein Blick auf meine Uhr belehrte mich, daß wir bis zur Abfahrt noch eine Viertelstunde Zeit vor uns hatten, und da die kalte Nachtluft auf Helene hereinströmte, schloß ich die Thür unseres Coupös und half ihr mit beflissener Zärtlichkeit Hut und Schuba ablegen. „Sie sind zu gütig ... ach, ich bin so müde!" sagte sie. „Kann ich sonst noch etwas für Sie thun?" fragte ich, denn sie lag wirklich völlig erschöpft und regungslos in den Kissen. „Meine Pantoffeln," flüsterte sie, und im nächsten Augenblick hatte ich aus ihrer Handtasche zwei winzige also benannte Gegenstände hervorgesucht und betrachtete sie mit Bewunderung, denn sie waren im feinsten fran zösischen Geschmack aus Goldlackleder gearbeitet. (Forts, f.)