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Uabemuer Anzeiger und Zeitung für Seifersdorf, Groß- und Klemölsa, Obernaundorf, Hainsberg, Eckersdorf, Coßmannsdors, Lübau, Borlas, Spechtritz ete. Nummer 9. ^unabeyd, den 23. Januar 1897. 10. Jahrgang. Aus unserer Gegend. Füttert die hungernden Vögel! „Schützet, o Menschen die Vögel, Die lieblichen Sänger der Flur, Füttert die harmlosen Wesen, Das nützlichste Thier der Natur. Trachtet zu fristen ihr Leben, Steht ihnen bei in der Noth! So Ihr die Vögel beschirmet, Giebt Gott Euch das tägliche Brot!" Vielorts bedarf es zwar keiner Mahnung, denn die Zeiten fangen doch an, sich zu ändern, und ist die Fütterung der Vögel während des Winters da und dort schon mehr volksthümlich geworden. Immer giebt es aber noch sehr viele Ortschaften und ganze Gaue, in denen niemand dran denkt, während der Jahreszeit der Entbehrung den Vögeln Futter zu streuen oder gar Obdach zu bieten. Wir sprechen daher wieder obige Mahnung in einem Augenblicke aus, wo die Erde in Eis gehüllt ist, und bitten alle Freunde und Liebhaber der nützlichen Vogelwelt dringend, in Stadt und Land, in Hof und Garten Futterplätze für dieselben herzurichten. Deckt den Tisch für unsere kleinen Freunde, wo immer möglich. Sie lohnen es mit ihrer Sangeskehlc und noch weit mehr durch ihre Jagdzüge ans allerlei schäd liche Insekten. Streuet aus mit vollen Händen Der Winter ist im Land! — Das nächtliche Heulen der Kettenhunde kann als Erregung ruhestörenden Lärms betrachtet und nach K 360 Ziff. 1 des N.-Str.-G.-B. bestraft werden. Eigentlich sollten aber die Besitzer der oft jämmerlich heulenden Kettenhunde wegen Thierquälerei bestraft werden, denn diese ärmsten Thiere leiden häufig entsetzlich durch Kälte, Nässe, Hunger, Durst, Ungeziefer und Mangel an Beweg ung und bringen ihr Leid durch Heulen deutlich genug zum Ausdrucke. Und doch giebt es so viele hartherzige Menschen, die ihre Hunde Tag und Nacht an der Kette hängen lassen, ohne daran zu denken, wie sehr diese darunter leiden. — In der Arrestzelle des Gemeindehauses in Deuben erhängte sich in der Dienstag Nacht der ca- 40 Jahre alte Jnhaftirte Benke aus Potschappel, nachdem derselbe erst Abends zuvor in Döhlen entlassen worden war. — In Braunsdorf ist der Typhus zum Ausbruch gekommen. Es sind bis jetzt 8 Erwachsene und 7 Kinder erkrankt. Von feiten des Bezirksarztes sind alle Vorsichts maßregeln und Verordnungen erlassen worden. — Die Locomotive der Zukunft. Der Erfinder der ersten für Vollbetrieb geeigneten elektrischen Locomotive, Herr Heilmann, hat eine neue verbesserte Locomotive nach seinem System gebaut. Dieses besteht bekanntlich in der Bewegung einer Dynamo- durch eine Dampfmaschine und der Bewegung eines Electromotors, der die Räder dreht, durch die Dynamomaschine. Die zweite Locomotive wiegt 120 Tonnen gegen höchstens 100 der bis heute üblichen und hat eine Zugkraft bis zu 300 Tonnen gegen 180 Tonnen der bisherigen, und zwar bei einer dauernden Ge schwindigkeit von 100 Kilometer in der Stunde. Sie ist auch mit ihren 1350 Pferdekräften über doppelt so stark als ihre Vorgängerin. Ihr äußerer Anblick ist ganz ver schieden von unseren Locomotiven. Auf einem vorn nnd hinten von je acht mittelgroßen Rädern getragenen Gestell erhebt sich ein Bau, der in seiner geschlossenen, vorn zu gespitzten Form einem modernen Panzerschiff nicht ganz unähnlich ist. Der Maschinist steht vorn und der Schorn stein hinten, was gewiß eine zweckmäßigere Anordnung ist als die umgekehrte. Die Vortheile des neuen Systems sind die vollständige Ausbalancirung der hin- und hergehenden Massen, die sonst bei einer hohen Geschwindigkeit gefähr liche Erschütterungen verursachen, und das ökonomische Ar beiten der Dampfmaschine, die auch während der Halte zeiten arbeiten und dabei Accumulatoren für die Beleuch tung des Zuges und für vorübergehende Steigungen oder Geschwindigkeitserhöhungen laden kann. Trotz der bei den heutigen modernen Locomotiven wegfallenden Umformung von mechanischer Kraft in Elektricität und dieser rückwärts in mechanische Kraft, was einen Verlust von ca. 12 Proc. bedingt, liefert die Heilmann-Locomotive mit derselben Kohlenmenge etwa das dreifache der Leistungen. Eine ge wöhnliche Locomotive mit einem Zuge von 20 Wagen ver brennt etwa 10 Kilogramm Kohlen auf das Kilometer, während die neue Maschine mit 6 Kilogramm nahezu das Doppelte an Zugkraft entwickelt. Diese Angaben rühren von der ausführenden Gesellschaft her, und wir möchten sie daher nicht als unbedingt sicher hinstellen, die größere ab solute Stärke der Heilmann-Locomotive ist aber auch in Amerika bereits praktisch erprobt worden. Auch verliert der beachtenswerthe Einwand, daß unser Schienenbau für eine so schwere und so geschwind fahrende Maschine nicht fest genug sei, durch ihr außerordentlich ruhiges Fahren viel an seiner Bedeutung. Außerdem kann es sich zunächst wohl nur um die versuchsweise Einführung bei einigen Schnellzügen handeln, denn die neue Maschine ist etwa doppelt so theuer wie eine alte. Es ist nicht ohne In teresse, daß Herr Heilmann, in dem vielleicht der Refor mator des Eisenbahnwesens seit Stephenson erstanden ist, überhaupt kein technisches Examen gemacht hat. Seifhennersdorf. Dieser Tage fiel der Zimmer mann Müller in Folge der Glätte so unglücklich auf den Kopf, daß der außerordentlich kräftige und starke Mann an den Folgen einer Gehirnerschütterung starb. (Nachdruck verboten.) Meine officiette Fran. Roman von Col. Richard Henry Savage. „Ich das russische Herz nicht kennen!" fuhr Helene «ms und in ihrem Auge loderte ein Zorn, den ich mir nicht erklären konnte. Noch größer aber war mein Staunen, als sie diese Aufwallung rasch unterdrückte und mit ihrer naiven, kindlichen Stimme lispelte: „In St. Petersburg lehreit Sie mich dann das russische Herz kennen, nicht wahr? Wir hoffen, dort Ihre heutige Gastfreundschaft erwidern zu können." „In Bälde werde ich Ihnen dort meine Aufwartung machen," sagte der Oberst, als er seinen kostbaren Mantel über den Arm warf, seinen Säbel faßte und mit feier licher Anmuth der gnädigen Frau die Hand küßte. In diesein Augenblick wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Ich bot der bezaubernden Frau meinen Arm, und mit klirrenden Sporen und rasselndem Säbel geleitete uns Petroff an den Zug. Ein eiliges Lebewohl, und wir waren schon in Bewegung, als »ins der verliebte Russe noch nachrief: „Ich werde das Hotel de l'Europe ganz gewiß nicht vergessen." „Hotel de l'Europe — ich wohne aber bei meinem Verwandten Constantin Weletsky, am Englischen Quai Nummer 5, meine hübsche kleine Verführerin," lachte ich und kniff Helene scherzend in den Arin — ich war so vergnügt, daß wir endlich den alten Oberst los und allein bei einander waren! „Sie sind mit der vornehmen Familie Weletsky ver wandt?" fragte meine Gefährtin nachdenklich, ohne das Kneifen irgendwie zu beachten. „Gewiß, durch Heirath." „Das wird uns vielleicht nützlich . . ." sagte Frau GaineS ungestüm, brach aber plötzlich ab und rief: „Wie nett, daß wir nun den alten, greulichen Russen los und allein sind!" Sie äußerte dies in einem so befriedigenden Ton, daß ich den Augenblick segnete, wo ich mit ihr zu sammengetroffen war, und ihr zuflüsierte: „War's nicht ein Glück, daß Dick vorausgereist ist und Sie ohne Paß zurückgclassen hat?" „Bst! Der Schaffner kommt, um Licht anzuzünden," gab sie zurück und legte mir warnend einen Finger auf die Lippen, worauf wir schweigend zum Fenster hinaus- sahen, bis der Schaffner unser Gelaß erleuchtet hatte. Wir befanden uns jetzt in voller Bewegung und mußten innerhalb weniger Stunden nach Wilna kommen, wo Dick Gaines uns erwartete; beinahe thut es mir leid, daß sich Dick nicht in St. Petersburg befand, denn in dem milden Schein der Lampe, der gerade auf sie fiel, erschien mir meine Gefährtin schöner als je. Während aus den anderen Wagenabtheilungen lautes Schwatzen und Lachen zn uns herttberklang, wurde ich düster und still, allein Helene wendete sich zu mir und sagte: „Seit ich Sie kennen gelernt habe, habe ich ein lebhaftes Interesse für Sie gefaßt, mein gütiger Beschützer. Er zählen Sie mir bitte von Ihnen und Ihrer Familie, dann kann ich es Dick berichten, den es lebhaft interessiren wird." „Bah," entgegnete ich, „Ihre Geschichte würde viel interessanter sein." „Wohl möglich," sagte sie mit einem leichten Seufzer, „aber erst die Ihre, dann die meine — wir haben ja Zeit genug. Also bitte!" Dies wurde mit dem Schmollen eines verwöhnten Kindes geäußert, worauf ich mich fügte, und ihr meine Geschichte seit der Trennung von ihrem Dick in kurzen Zügen entwarf. Offenbar fühlte sie ein lebhaftes Interesse für meine Familienangelegenheiten, ich setzte ihr daher meine Beziehungen zu den Weletsky auseinander und gab ihren ernsten Fragen gar manche Einzelheit meines häus lichen Lebens preis. Vielleicht war es im Interesse meiner Pflicht gegen meinen alten Kameraden am besten, wir beschäftigten uns in dieser Weise — die Zeit ging doch herum! „Und nun," sagte ich, als ich mit der geheimen Ge schichte der Familie Lenox zu Ende war, „bitte ich um die Chronik des Hauses GaineS!" Zu meiner großen Verwunderung erwiderte sie, daß sie eigentlich nicht viel davon wisse — „Dick und ich sind schon so lange fort in Europa," murmelte sie. „Aber Sie müssen doch etwas von Mamie, seiner Schwester wissen," sagte ich. „Ach ja, Mamie," erwiderte sie. „Mamie ist ver- heirathet — Gott weiß wie lange schon, und lebt in — in Mexiko." „Wie heißt denn ihr Mann?" fragte ich weiter. „Smith — glaube ich," erwiderte sie rasch. „Sie können sich gar nicht denken, wie oft Dick von Ihnen zu sprechen Pflegte," rief sic, von dem Gegenstand unseres Gespräches alsspringend. „Mein lieber, alter Arthur, sagte er oft und streichelte dabei seinen schwarzen Schnurrbart." „Seinen schwarzen Schnurrbart!" stammelte ich. „Aber früher war Richard ja blond!" „Freilich," entgegnete sie verblüfft, fuhr aber dann eilig fort: „aber er ist in der letzte» Zeit grau geworden und färbt sich die Haare." Im nächsten Augenblick sagte ste lachend: „Ihr Haar ist ist noch so dunkel, daß Sie vorderhand Dick's Beispiel nicht zu folgen brauchen! Sie haben wundervolle Haare" und dabei tätschelte sie mich auf den Kopf wie ein muthwilliges Kind. Diese unschuldige Schmeichelei bezauberte mich vollends ganz. „Welch glücklicher Kerl ist doch Dick, daß er Sie be kommen hat! Wie haben Sie denn geheißen, ehe Sie ihm die Erde zum Himmel machten?" „Aus dieser etwas übertriebenen Umschreibung glaube ich zu entnehmen, daß Sie sagen wollten, ehe ich ihn ge- heirathet habe?" fragte sie und lachte hellauf dazu. „Gewiß — Ihren Mädchennamen!" „Da! Nun sind wir in Wilna," sagte sie, denn die Lichter dieser Stadt tauchten eben aus der Dunkelheit vor uns auf. „Dick wird im Augenblick hier sein." „Ja, aber Ihren Mädchennamen! Ich möchte Sie mir gerne als Mädchen denken können," drängte ich von einer Art romantischem Dusel befallen, denn wir hatten dicht nebeneinander gesessen und uns flüsternd unterhalten, und jeder Hauch von ihr hatte mein Herz höher schlagen machen. „Ich lasse Sie nicht gehen, ehe Sie mir geantwortet haben," erklärte ich, denn mittlerweile hatte der Schaffner die Thür aufgemacht und gerufen: „Wilna — zwei Stunden Aufenthalt!" „Dick wird uns sehen," flüsterte sie, denn ich hatte einen Arm um den Elfenleib geschlungen: „bitte, bitte, ich muß sofort in den Gasthof gehen — er könnte sich ängstigen. Er kann fortgehen — ich nichts erfahren — und dann bin ich verloren!" „Wer kann fortgehen?" fragte ich besorgt, denn ihre Stimme klang angstvoll. „Dick, natürlich — ich muß gehen!" „Ihr Mädchennamen?" „Vanderbilt-Astor," rief sie und sprang aus dem Wagen, während ich höchst verwundert über diese Ver bindung von zwei der bekanntesten amerikanischen Namen ihre Sachen zusammenlcgte und ihr dann folgte. Viertes Capitel. Auf dem Bahnsteig holte ich sie ein, während sie sich im Weitereilen hastig in ihre pelzbesetzte Schuba hüllte. „Sie scheinen cs ja sehr eilig zu haben, Frau Gaines geborene Vanderbilt-Astor," sagte ich und half ihr zärtlich beim Anlegen ihrer Schuba. Inmitten eines Theiles unseres Mitreisenden schritten wir, von der scharfen, schneidenden russischen Luft zur Eile angetrieben auf das Portal des Gasthofes zu. (Fortsetzung folgt.)