Volltext Seite (XML)
ANNELIES BURMEISTER, die zu den promi nentesten Sängerinnen unserer Republik gehört, wuchs in Schwerin auf. Nach ihrem Studium an der Franz-Liszt-Hochschule Weimar bei Prof. Helene Jung wirkte sie ab 1956 an den Städtischen Bühnen Erfurt, seit 1958 am Deut schen Nationaltheater Weimar und seit 1961 an der Staatsoper Dresden. 1964 wurde sie an die Deutsche Staatsoper Berlin verpflichtet. In diesem Jahr singt die Künstlerin erstmalig zu den Bayreuther Festspielen. von Ludwig Jacobowski) ihn gerade angesichts des Völkermordens jener Zeit zutiefst ergriff, handelt es sich doch um einen „Hochgesang auf die versöhnende, einigende Macht der Menschenliebe“ (F. Stein). Die Musik atmet ein edles Pathos, sie verströmt sich am Schluß in einen harmoniegesättigten, melodisch weit ausladenden Gesang. Eine verhaltenere Innerlichkeit herrscht dagegen in dem Hölderlin-Hymnus „An die Hoffnung“ op. 124 für Alt und Orchester (1912), den Reger mit einer „schmerzvoll-sehn süchtigen, schönheitstrunkenen“ Musik versah, deren harmonische Sprache, Klanglichkcit und formale Geschlossenheit von suggestiver Wirkung sind. Im Schaffensprozeß fügte der Komponist der Hölderlinschen Dichtung noch einige eigene Worte hinzu. Die „Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart“ op. 132 sind neben den Hiller- Variationen rasch zu Regers berühmtestem und volkstümlichstem Orchesterwerk auf ge stiegen. Das im Sommer 1914 entstandene Werk mutet in der umfassenden Überschau der Regerschen Kunst wie ein testamentarisches Vermächtnis an. Der Komponist hat hier den Gipfelpunkt seines jahrelangen Ringens um Einfachheit, Klarheit und Durch sichtigkeit des Ausdrucks und der Orchesterbehandlung erreicht. Sein reifstes, schönstes und bedeutendstes Orchesterwerk müssen wir also in den Mozart-Variationen sehen, denen das bekannte 6/8-Thema aus Mozarts Pariser A-Dur-Klaviersonate zugrunde liegt. Mit einem harmonischen Raffinement ohnegleichen, einer hochgesteigerten Chroma tik und differenzierten Rhythmik, einer stark kontrastierenden Dynamik wird der groß artige Cantus firmus des Mozart-Themas, das hier nur als Phänomen, nicht als stilisti sche Vorlage, dient, wundersam zu etwas völlig Eigenem und Neuem umgeformt. Regers Werk reicht also weit über den Begriff „Mozart“ hinaus. Seine überlegene Phantasie und Gabe zu konzentrierter Ausdrucks Verdichtung ließen ein Werk entstehen, dessen gestal terische Vielfalt, dessen schöpferischer Reichtum scheinbar alle Formen sprengt und das doch in die Formen der Klassik und des Barocks, Variationen und Fuge, wie wir sie bei Reger oft begegnen, hineingepreßt ist. Das Mozart-Thema erklingt zunächst in Originalgestalt, von Holzbläsern und Streichern vor getragen. Dann folgen acht Variationen, deren größter Teil das Thema oder Ausschnitte aus diesem unangetastet lassen. Im Sinne des barocken Figurationsprinzipes werden da ¬ bei neue Stimmungen durch andere Harmonisierung (auch Mollversetzung), kontra- punktische Gegenstimmen, Umkehrungen, Veränderungen der Rhythmik und der Instru mentation usw. erreicht. In der 4. und 5. Variation verwandelt Reger auch den Charakter des Themas völlig, wie cs in der Romantik üblich war. Die 8. Variation ist eine unge mein ausdrucksstarke Fantasie über das Thema. Dann setzt als überwältigende Krönung des Werkes eine Doppelfuge ein. Das erste Thema wird in leichtflüssigem Staccato ange stimmt. das zweite besitzt einen mehr gesanglichen Charakter. Beide Themen werden ver knüpft, als Kontrapunkte treten Reminiszenzen aus den Variationen hinzu. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung erklingt zu den beiden Fugenthemen (in den ersten Vio linen und in der Klarinette) mit strahlend-festlichem Hörner- und Frompetenkiang das originale Mozart-Thema gleichsam als fixe Idee. Der Kreis dieses einzigartigen Varia tionszyklus hat sich geschlossen. HYMNUS DER LIEBE (aus ..Vom Geschlecht der Promethiden“ von L. Jacobowski) Höre mich, Ewiger, höre mich, Ewiger, Allerbarmer, der du vom Dunkel der liefe emporwächst in des Äthers leuchtende Sphäre, Ewiger, der du mit deiner Alliebc die ganze wogende Menschheitsflut umarmst, wo ist die Liebe, wo ist die Liebe, die Menschenliebe? Ewiger, Ewiger, gib sie uns wieder, die Hohe, die Reine, daß sic mit erbarmender Seele, mit milden, doch mächtigen Händen die klaffenden Wunden schließt, und in der bangen, bangen Seele der ihm im starren Herzen einst wohnte, als die grauen Gespenster der Selbstsucht und Gier noch nicht regierten die Seelen der Menschen. Wüßt ich, o Ewiger, wo ich sic fände, die erhabene Göttin. Siehe, ich nähme noch einmal das hehre Martyrium des Genius, griff noch einmal, noch einmal mit kühner Hand an die Fackel des Ewigen und schleuderte Funken hernieder, heiligen Feuers voll. Und zermalmte strafend die gewaltige Himmelswölbung mir die glühende Stirn, mir den trotzigen Nacken; dennoch rüttelt ich wieder an die zitternde Veste der Welt, kämpfte gigantisch, wider die wimmernden Geister der Nacht, holte aus ihren Schattenarmen die Liebe, reichte mit sterbenden Händen hernieder die Hohe, die Hohe der jauchzenden Menschheit. Säh ich vernichtet alle Gespenster des Staubes, säh ich auf seligem Antlitz den ersten Schimmer erwachenden Weltcnglücks und Elysium siehe ich stürbe, stürbe, stürbe so gern! AN DIE HOFFNUNG (Friedrich Hölderlin) O Hoffnung! holde! gütiggeschäftige! Die du das Haus der Trauernden nicht xcrschmähst, o Hoffnung! o Hoffnung! und gerne dienend, Edle, zwischen Sterblichen waltest und Himmelsmächten. Wo bist du? Wo bist du? Wo bist du, o Hoffnung! Wenig lebt’ ich, doch atmet kalt mein Abend schon, und stille, den Schatten gleich, bin ich schon hier, und schon gcsanglos schlummert das schauernde Herz im Busen. Im grünen Tale, dort, wo der frische Quell vom Berge täglich rauscht und die liebliche Zeitlose mir am Herbstlicht aufblüht, dort, in der Stille, du Holde, will ich dich suchen, oder wenn in der Mitternacht das unsichtbare Leben im Haine wallt, und über mir die immerfrommen Blumen, die sicheren Sterne glänzen, o du Holde, Holde, dich, ja dich will ich finden. O du, des Äthers Tochter! erscheine dann aus deines Vaters Gärten, und darfst du nicht mir sterblich Glück verheißen, schreck’, o schrecke mit anderem nur das Herz mir, O Hoffnung, o Hoffnung, holde Hoffnung, o Hoffnung! Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1965/66 - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Forstet Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 111 9 5 39/88 566 1,3 It G 009/36/66 10. ZYKLUS-KONZE 1965/66