Da ich jetzt nicht imstande war, von dem eigentlichen Zwecke meines Besuches zu sprechen, so entschloß ich mich, auf seine letzten Worte zu antworten und versetzte: „Nein, ich hatte von dem Verschwinden Hhres Gärtners nichts gehört; doch hörte ich gestern zum ersten Mal von dem Diebstahl, der vor etwa einein Monat begangen worden." „Ja; das war ebenso geheimnisvoll und unerklärlich wie das Verschwinden meines Gärt ners ; aber das letztere hat mich dermaßen auf geregt, daß ich an das eiste Ereignis kaum noch denke." „Wie sah denn Ihr Gärtner aus?" fragte ich, da ich nicht wußte, was ich sagen sollte, doch aber nicht schweigen mochte. „Er war nicht groß, etwas unter Mittel größe; aber einer der stärksten Menschen, den ich je gesehen habe. Ich kann Ihnen übrigens den Mann im Bilde zeigen; da, sehen Sie her!" Mit diesen Worten stand Mr. Hammond auf, ging in die Ecke des Zimmers und kehrte, eine Photographie seines Hauses in der Hand haltend, zu mir zurück. Der Gärtner stand vor der Thür desselben — es war derselbe Mann, den ich im Walde gesehen und der den Koffer vergraben hatte. Ich konnte mich im Gesicht nicht irren; er war's. Mr. Hammond beobachtete mich einige Minuten und fragte dann: „Haben Sie den Mann schon einmal ge sehen, Mr. Brainard?" „Ja," sagte ich, „und zwar unter so eigen tümlichen Umständen, daß ich eigentlich hierher gekommen bin, einzig und allein, um Ihnen das zu erzählen." „So!" „Ich wußte bis jetzt nicht," fuhr ich fort, „daß der Mann Ihr Gärtner war, oder daß er verschwunden ist; aber an dem Tage, nach dem der Diebstahl in Ihrem Hause sich er eignet hatte, sah ich diesen Mann" — dabei tappte ich, während ich sprach, auf die Photo graphie, und außerdem noch einen andern in einem ziemlich nahe gelegenen Walde; sie trugen einen Koffer, der irgend etwas Schweres enthielt, und ich sah, wie dieser Mann ein Loch grub und den Koffer darin versenkte." „Noch ein anderer, sagen Sie?" Wie sah dieser andere aus?" fragte Mr. Hammond schnell. „Er hatte nichts besonders Auffälliges an sich," erwiderte ich. Er war größer als der Gärtner . . ." „lind sein Gesicht? Sahen Sie das? Könnten Sie ihn wiedererkennen?" „Nein," antwortete ich rasch, „ich sah die ganze Sache mit meinem Fernrohr von meinem Observatorium in R . . . . aus. Ich hatte Sonnenflecken studiert, und zufälligerweise sah ich auf die Erde, und bei dieser Gelegenheit ward ich Zeuge der erwähnten Scene." „Was Sie mir db erzählt haben," fuhr Mr. Hammond fort, „ist geeignet, etwas Licht in den Diebstähl und in das Verschwinden meines Gärtners zu bringen. Nur seltsam, daß wir nicht daran gedacht haben, beide Er eignisse könnten mit einander in Verbindung stehen. Aber wir hatten auf John auch nicht den geringsten Verdacht. Allerdings war er erst seit einigen Monaten hier im Dienst; aber er war nüchtern, fleißig und anscheinend auch durchaus zuverlässig. Wir waren umso' be stürzter, als der Diebstahl augenscheinlich ohne Anwendung von Gewalt erfolgt ist. Nach dein, was Sie mir erzählt haben, ist der Grund dafür allerdings, leicht ersichtlich. Ich wußte nicht, was ich von Mr. Ham monds Ruhe denken sollte. War sie nur er heuchelt, oder träumte ich damals? Ich be gann sogar daran zu zweifeln, daß ich über haupt den Gärtner gesehen hatte; doch ich hatte ja den Beweis in der Hand, und außerdem saß der andere Mann vor mir. Vielleicht hatte Mr. Hammond Grund, die Juwelen ver schwinden zu lassen, und vielleicht hatte er selbst seinen Gärtner heimlich fortgeschickt. „Apropos, Mr. Brainard, glauben Sie, daß Sie die Stelle im Walde auffinden könnten?" „Gewiß; ich kenne dort jedes Fleckchen und bin selbst häufig an jener Stelle gewesen. Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen den Ort zeigen." „Darum wollte ich Sie eben bitten. Ich möchte mit Ihnen gehen und mir die Stelle ansehen, wo die Schurken meine Juwelen ver graben haben. Ach, Sie glauben gar nicht, wie mich der Verlust schmerzt. Nur ein Sammler kann mir das nachempfinden." Seine Angen strahlten vor Begeisterung, als er von seiner Sammlung sprach. „Natürlich," fuhr er fort, „werde ich wohl nie wieder zu meinem Eigentum kommen, aber vielleicht finden wir einen Schlüssel, der uns auf die Spur der Diebe leiten kann. Können wir hinfahrcn?" „Nein, das beste ist — meiner Ansicht nach — ein Boot zu nehmen und hinzurudern; bis zu der besagten Stelle führt dann ein Fuß pfad von einigen Minuten." Gesagt, gethan;mnd als, wir an dem Platze angekommen waren, an dem ich das Boot ver laßen wollte, rief Mr. Hammond: „Sieh da, hier ist ja das Boot gefunden worden, als wir nach dem Gärtner suchten! Wir hatten daraus geschloffen, John hätte sich hier gebadet, wäre vom Schlag getroffen worden und ertrunken." Ich wurde durch das Benehmen des Mannes immer mehr überzeugt, daß er an dem Betrüge unschuldig war. „Ich fürchte," sagte ich nun, in der That, daß wir Ihre Sammlung nie wieder zu Ge sicht bekommen werden. Das Verschwinden des Gärtners und das Auffinden des Bootes an dieser Stelle, beweisen meiner Meinung nach zur Genüge, daß er hierhergekommen, den Schatz ausgegraben hat und damit ausge rückt ist." „Gewiß, Sie haben recht; aber suchen wir immerhin; vielleicht finden wir eine Spur." Als wir an dem Platze angelangt waren, sah Mr. Hammond sich aufmerksam um, und bemerkte dann, sich zu mir wendend: „Welch' glücklicher Zufall, daß Sie an jenem Tage Sonnenflccken studiert haben, Mr. Brainard; aber trotzdem bleibt die Sache doch geheimnisvoll." Dann fragte er: „Ist dies der Ort?" „Ja," versetzte ich etwas überrascht, daß er danach noch fragte, denn ich war sicher, daß er der andere Mann gewesen. „Wir wollen den Platz erst genau unter suchen," sagte ich, „vielleicht finden wir etwas." Wir suchten, fanden aber nichts, und ich holte nun die hinter dem Felsvorsprung ver steckten Werkzeuge. Sofort ging ich ans Werk, und ich hatte noch nicht lange gegraben, als ich auf etwas stieß. Ich grub weiter, und stieß plötzlich auf den Nöckärmel eines Menschen. Entsetzt sprang ich laut aufschreicnd zurück, und in demselben Augenblick entrang sich ein gleicher Ausruf den Lippen des Mr. Hammond. Mein erster Gedanke, ich hätte den ver schwundenen Gärtner vor mir und stände dem Mörder desselben gegenüber. Aber konnte das möglich sein? Wenn dem so war, warum war er denn hierhergekommen und hatte alles ent decken lassen? Ferner, was konnte ihn bewogen haben, den Gärtner zu töten? Trotz dieser Gedanken setzte ich meine Ar beit fort, und bald halte ich den Unglücklichen vollends ausgegraben. Großer Gott! träumte oder wachte ich? Der Mann, der da vor mir lag, war nach Gesicht und Gestalt Mr. Hammond, während ein anderer Mr. Hammond lebend vor mir stand, der jetzt wie Espenlaub zitterte. Mit äußerster Kraftanstrengung betrachtete ich den Toten näher, und jetzt, da ich sein Gesicht sah, bemerkte ich auch, daß er älter als Mr. Hammond war. „Wer ist das?" fragte ich zitternd. „Mein Bruder!" „Den der Gärtner getötet hat," fügte ich hinzu. „Das fürchte ich auch; und das alles we gen dieser elenden Juwelen. Um Ihnen alles zu erklären, muß ich Ihnen eine sehr traurige Geschichte erzählen, Mr. Brainard. Mein armer Bruder hegte eine eben so große Leiden schaft für Juwelen, wie ich, und hatte eben falls eine höchst wertvolle Sammlung. Unsere Mutter, die — ich muß Ihnen das leider sagen — im Wahnsinn gestorben ist, hatte die selbe Leidenschaft, und ich glaube, wir haben sie von ihr geerbt. Ich zweifle keinen Augen blick, daß mein Bruder in seiner Manie, sich meiner Sammlung zu bemächtigen, meinen Gärtner bestochen hat, den er mir selbst — wahrscheinlich nur zu diesem Zwecke — vor Monaten zugeschickt und empfohlen hat. Nun hat John ihn getötet, um sich in den Besitz der Juwelen zu setzen." Mr. Hammonds unglücklicher Bruder wurde in der Familiengruft bestattet, nachdem die Leichenschau einen Mord konstatiert hatte. Von dem Gärtner oder den Juwelen hat man nie wieder etwas gehört. Privat-Detek- tivcs, die Mr. Hammond mit der Verfolgung der Sache betraute, erklärten, daß ein Mann in einem Schiffe, das unterwegs scheiterte, ver sucht hatte, nach Amerika zu entfliehen. Und so ruhen nun der Mörder und die gestohlenen Juwelen auf dem Grunde des Meeres. Ende. Vernardillö verbrechen. Novelle von Albert Delpit. (Nachdruck verboten.) I. <Mie saßen alle drei auf der Anklagebank. W Der Gatte, Jean Morel, ein gewöhnliches Gesicht: schwarze, starre Augen mit jenem blö den Ausdruck, der beschränkten Naturen eigen ist. Seine braunen, scharf geschnittenen Augen brauen hoben sich deutlich von dem blassen Gesicht ab. Die Frau, Micheline, eine Art pariser Grisette, blond und weich mit rosa Fleckchen auf den Wangen, wie sie die Schwind süchtigen aufzuweisen haben. Die schmalen Lippen zeigten, wenn sie sich öffneten, kleine, feine, scharfe und weiße Zähne. Sie war ein fach, aber kokett gekleidet. Der dritte Angeklagte, Bernardin Morel, war Jeans Bruder, Michelines Schwager. In dem großen Drama, das der Staatsanwalt jetzt entrollte, blieb der arme Bernardin das eigentliche Opfer. Er spielte eine „Verlrauten rolle", wie man in der Theatersprache sagt. Daher hatte das Publikum für ihn auch nur ein geringes Interesse. Jean und Micheline dagegen wirkten prickelnd und aufregend auf die Menge. Ein eifersüchtiger Gatte, der den 2