Durchs Fernrohr. Novellen? noch dem Englischen des Charles Kendall. .Mines Tages, als ich mit meinem Fernglas W Sonnenflecke studierte, richtete ich nach einiger Zeit das Glas der Erde zu und fing an, die Gegend zu betrachten. Ich hatte schon häufig die Güte meines Fernrohrs erprobt, indem ich die Tageszeit an einer .Kirchenuhr des Nachbarortes las oder die Laternen in einer Straße zählte; was ich aber jetzt sah, übertraf doch alles, was ich bis her geschaut. An diesem Tage hatte ich das Glas mög lichst hoch geschraubt, und bemerkte in einem entfernten Walde zivei Männer, die einen kleinen, aber anscheinend sehr schweren Koffer trugen. Ich kannte den Wald ganz genau, und ich Möchte sagen, fast jeder Baum war mir bei meinen Spaziergängen bekannt geworden. Der Anblick zweier Männer, die an solchem Orte einen Koffer trugen, war seltsam genug, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich erin nerte mich nun, daß eine Eisenbahnstation in der Nähe lag und dachte mir, daß sie beab sichtigten, zum Zuge zu gelangen. Die beiden Männer setzten den Koffer nieder, benutzten denselben als Sessel und be gannen eine lebhafte Unterhaltung, die einem Wortwechsel nicht unähnlich zu sein schien. Diese meine Ansicht gründete sich auf ihre Gesten und ihr Mienenspiel, das ich deutlich wahrnehmen konnte. Einer von den Männern ivar größer als der andere, besser gekleidet und hatte feinere Gesichtszüge. Der andere, der eine ziemlich untersetzte Statur hatte, aber sehr kräftig aus sah, war wie ein Arbeitsmann gekleidet. Ich konnte die Männer so deutlich sehen, daß es mir beinahe seltsam vorkam, daß ich ihre Stimmen nicht hären konnte; und ich hatte mich so in meine „Lauscherrolle" ver senkt, daß, als sie plötzlich aufstanden und in Meine Richtung blickten, ich unwillkürlich zurück wich, um mich einer etwaigen Beobachtung zu entziehen. Sie mußten irgend ein Geräusch gehört haben, das sie stutzig machte, denn sie erhoben sich schnell und standen mit abwartenden Mienen da. So blieben sie, anscheinend auf etwas horchend, einige Augenblicke, und nahmen dann ihre Sitze wieder ein, als wenn das, was sie gestört halte, nicht der Beachtung lohnte. Kurze Zeit darauf erhob fick der große Mann mit entschlossener Miene, und der andere ging unwillig, wie es mir vorkam, von dannen. Ich vermutete, der große Mann hätte ihn zu rückgeschickt, um irgend ein vergessenes Gepäck stück zu holen. Es kam mir ganz natürlich vor, daß die Beziehungen der beiden Männer die von Herr und Diener waren; doch ich konnte nicht begreifen, warum sie beide einen Koffer trugen, auch erschien mir die anscheinend vertrauliche Art und Weise der Unterhaltung sonderbar. Nein, ich hatte mich zu meiner Ueberraschung gröblich getäuscht; der Diener, wenn es ein solcher war, war nur ein paar Schritte weit gegangen; denn er erschien wieder, mit einer Hacke und einem Spaten bewaffnet. Der große Mann war mittlerweile umher gegangen, als suche er einen Platz, um den Koffer zu vergraben, denn er zeigte auf eine tiefe Grube, nachdem er die Blätter wegge scharrt, die den Platz bedeckten. Während der Diener grub, stand der Herr daneben, beobachtete die Arbeit und rauchte dazu eine Zigarrette, die er aus einer Zigarren tasche genommen hatte. Als das Loch fertig war, senkten die beiden Männer den Koffer hinein, der Kleine bedeckte es mit der Erde, die er ausgeschaufelt hatte und dann bestreuten sie sorgfältig den Platz mit Blättern. Der ausgesuchte Ort war zu dem Zwecke ausnehmend geeignet, da man die Grube gar nicht bemerkte. Nachdem der Kleine die Werkzeuge sorg fältig hinter einem Felsenvorsprung versteckt, unterhielten sich die beiden noch eine kurze Zeit und trennten sich dann — der große ging der Eisenbahnstation zu, während der andere sich der Richtung zuwandte, aus der sie mit dem Koffer gekommen waren. Gerade als die Männer verschwanden, hörte ich Schritte die Treppe heraufkommen und sich meinem Obser vatorium nähern. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, wie Jemand, der eben ein Kapitel in einem inter essanten Buch beendet hat; und erblickte, als ich die Augen von meinem Fernglas erhob, einen Diener, der mir ein Telegramm brachte. Dasselbe enthielt die Nachricht von dem Tode eines nahen Verwandten, und verscheuchte alle meine Gedanken von dem Vorfall, der meine Aufmerksamkeit in so hohem Maße erregt hatte. Sobald ich einen Zug bekommen konnte, war ich auf dem Wege nach einer ziemlich ! weit entlegenen Stadt, wo ich bei dem Be gräbnis meines verstorbenen Verwandten meine Familie vertreten mußte. Umstände, die ich hier nicht näher berühren will, fügten eö, daß ich erst nach einer Abwesenheit von vier Wochen heimkehrcn konnte. Gleich nach meiner Zurücktünft hörte ich von einem Diebstahl, der vor etwa einem Mo nat in der Nnchbarstadt M . . . . begangen worden. Mr. Hammond, einem reichen Rentier, waren Juwelen im Werte von 7000 Lstr. ge stohlen worden, darunter eine sehr schöne Sammlung echter Steine. Von den gestohlenen Gegenständen hatte sich auch nicht die geringste Spur gefunden; ebensowenig hatte man die Verbrecher entdecken können. Als ich die Daten verglich, fand ich, daß der Diebstahl gerade in der Nacht, bevor ich mein Haus verließ, begangen worden, und bald entdeckte ich auch noch mehr. Die Männer im Walde, die den Kösser vergraben hatten, waren die Räuber und hatten ihre Beute augenschein lich am nächsten Tage versteckt. Da ich es für meine Pflicht hielt, Mr. Hammond von dem, was ich gesehen, in Kennt nis zu setzen, so fuhr ich am nächsten Tage nach M . . . ., und sprach in seinem Hause vor, obwohl wir uns persönlich vollständig fremd waren. Ich wurde von einem Diener ins Sprechzimmer geführt; meine Karte wurde dem Hausherrn überbracht, und ich wartete eine Zeitlang auf sein Erscheinen. Während ich noch darüber nachdachte, was ich zur Ein leitung meiner Erzählung sagen sollte, ging die Thür auf, und ich fuhr vor Erstaunen zurück, denn vor mir stand einer jener beiden Männer, die den Koffer vergraben hatten — und zwar der größere, fcingekleidcte. Bevor ich mich noch von der Ueberraschung erholt hatte, trat er mit der Ruhe eines feinen Maunes auf mich zu, hieß mich willkommen und sagte, sich neben mich setzend: „Es thut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen, Herr Brainard, aber ich hatte mit einigen Leuten zu thun, die ich nach meinem Gärtner ausgeschickt hatte, der vorvorgestern auf ganz geheimnisvolle Weise verschwunden ist. Sie haben wohl schon davon gehört." Kein Zweifel, der Mann, der da vor mir stand, war Mr. Hammond, der Eigentümer des Hauses; aber was Mte ich ihm sagen? Sollte ich ihm mitteilen, daß ich ihn an jenem Tage im Walde gesehen, als er den Schatz vergraben half, der ihm gestohlen worden? Nein, der Mann hätte mich für toll gehalten.