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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YGI E N E-M U S E U M Sonnabend, den 12. Februar 1966, 19.30 Uhr Sonntag, den 13. Februar 1966, 19.30 Uhr 6. ZYKLUS-KONZERT DAS KOMPONISTENPORTRÄT Dirigent: Horst Förster ANTON BRUCKNER 1824 - 1896 8. Sinfonie c-moll Allegro moderato Scherzo (Allegro moderato) Adagio (feierlich, langsam, doch nicht schleppend) Finale (feierlich, nicht schnell) ZUR EINFÜHRUNG Die Musikgeschichte nennt Anton Bruckner mit Recht einen Sinfoniker, „nicht weil er im wesentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl neun in Beethovens Nachbarschaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagt hat, daß wir cs aus der Entwicklungsgeschichte der Sinfonie nicht mehr wegdenken können. Bruck ner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumental solist oder Dirigent auf breiter Basis, sondern auf der Orgelbank, Er hatte musikalisches Kapital in kleiner Münze angehäuft, aber nicht, um cs wie ein Geizhals zu horten, sondern um Zinsen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe seiner Sinfonien begann, weder ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blinder Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen“ (M. Dehnert). Berechtigt weist Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementarer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdamm nis, Licht und Finsternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt.“ „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinn fällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Eindringlichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradition Beethovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hin blick auf kontrapunktische Arbeit erfundenen Themen nicht zu überhören. Bei alledem ist Bruckners Tonsprachc äußerst originell, und diese Originalität verdankt er gerade jener Fähigkeit, die von seinen Biographen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr auf schlußreicher Weise dargestellt wurde: seiner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirk lichkeit neue Intonationen zu gewinnen“ (G. Kneplcr). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistungen der Sinfonik des vergangenen Jahr hunderts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Becthovcnschen Sinfonie, die thematisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches gegen über, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Mclodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bau prinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Tonsprachc atmet echt romantischen, klang schwelgerischen Geist. Die Mclodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationcn“ genannt wur den, doch niemals sind sic formlos. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer intensivste Aufmerksamkeit und Hör bereitschaft. Bruckner hat an seiner 8. Sinfonie in c-Moll von 1884 bis 1887 gearbeitet. Doch erst am 18. Dezember 1892 gelangte das Werk - nach einer tiefgreifenden Umgestaltung - unter Hans Richter in Wien zur Uraufführung. Der Meister hatte an diesem Ereignis teilge nommen, obwohl ihm dies die Ärzte seiner Krankheit wegen nur ungern gestattet hatten, und wurde begeistert gefeiert. Hugo Wolf schrieb einige Tage nach der Uraufführung der „Achten“ folgende enthusiastischen Sätze: „Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien des Meisters. Der Erfolg war trotz der unheilvollsten Kassandrarufe, selbst von Seiten Eingeweihter, ein fast beispielloser. Es war ein vollständiger Sieg des Lichts über die Finsternis, und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung