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Ich für meine Person werde mein Leben lang auf jedem Gebiet, zu jeder Zeit und auf jede Weise einem Ziel dienen: dem Wohle der ungarischen Nation und des ungarischen Vaterlandes. Bela Bartök Bartök gehörte zu jenem Menschenschlag, der, von ewiger Unzufriedenheit getrieben, alles auf Erden verändern, alles schöner und besser machen will. Aus dieser Gattung gehen die Größten der Kunst und Wissenschaft hervor, die großen Entdecker und Erfinder, in der Politik die großen Revolutionäre, Männer wie Kolumbus, Galilei, Kossuth, die alle eine andere Welt zurückließen, als sie vor gefunden hatten. Natürlich gibt es viele Unzufriedene, die die Welt verändern möchten, es aber nicht können. Bartök konnte es. Denn seine Werke hab eit jene unergründliche, lebendige und belebende Kraft, die vielen anderen, dem Äußern nach ähnlichen Werken fehlt. Viele versuchten in den letzten fünfzig fahren, neue Musik zu schreiben, das heißt, viele waren von dem allenthalben hervorbrech enden neuen Geist beseelt, der nach künstleri schem Ausdruck strebte, aber nur wenigen gelang es, ihm eine bleibende Form zu geben. Bartök zählt zu diesen wenigen, und darum ist er heute bereits einer der meistgespielten Komponisten der Welt. Und das, obwohl es viele Leute auf der Welt gibt, die sich an das Althergebrachte, Gewohnte klammern und den neuen Ton nicht gern vernehmen. Sooft eines seiner Werke auf geführt wird, denken die Menschen wohl einen Augenblick auch an Ungarn, vielleicht nicht mehr als das: Es kann doch kein so geringes Land sein, wo derartiges gedeiht. . . Bartöks Musikerpersönlichkeit wird durch die ganz individuelle Art des Zusammen schweißens von Urprimitiven mit hoch entwickelt er Kultur zu einer einzig dastehenden. Seine Musik ist ein einheitlicher, in sich geschlossener Organismus, aus einem Stoff. Vor fahren hat auch er, doch tritt die Beziehung nicht in Äußerlichkeiten zutage: Der Geist erhabener Musik der V ergangenbeit lebt in ihm, alles, was nicht zeit gebunden, was von ewigem Wert ist.. . Bartök beherrscht alle Schattierungen des Lebens vom tragischen Schauder bis zum simplen Spiel; allein das Sentimentale, die weichliche Liebkosung, das Einlullende geht ihm ab ... Zoltän Kodäly Bartöks künstlerische Entwicklung glich einer Spirallinie: auf immer höherem Niveau, immer vollkommener die gleichen zentralen Probleme zu lösen - dies empfand er als Leit satz seiner Entwicklung. So konnte es ihm gelingen, auf einer der höchsten Stufen die Musik des Jahrhunderts zusammenzufassen. Zu diesem Ergebnis bedurfte es auch eines Charakters und eines sittlichen Mutes, wie er sie besaß. Das musikalische Genie allein hätte nicht genügt: Sein Zeitalter hatte mit allen Mitteln der Feindseligkeit und Bitternis diesen kristallklaren, leuchtenden menschlichen Charakter geprüft und gestählt. Wenn die Menschen der Zukunft dereinst wissen wollen, wie der Mensch unserer Zeit gekämpft und gelitten und wie er schließlich den Weg der Befreiung, die Harmonie und den Frie den, den erhebenden Glauben an sich selbst und an das Leben gefunden hat, dann müssen sie Bela Bartöks Musik hören und stets von neuem zu dem Beispiel und Vorbild dieses großen ungarischen Meisters zurückfinden. Auf der Höhe seines Lebens konnte Bartök sagen, die Leitidee seines Wirkens sei „die Verbrüderung der Völker. . . trotz allem Krieg und Hader“. Für ihn ist der Mann aus demVolk nicht nur der reinere und einfachere, an Kraft und Aufrichtigkeit vollkommenere Mensch, nicht nur der Träger der Natur und der Tradition, sondern auch der Träger der Zukunft; und weil Natur, Wahrheit und Zukunft in Bela Bartöks Glaubensbekenntnis untrennbar zusammen geh Ören, kann ihr Träger gar nichts anderes sein als das, worin die drei am reinsten vereinigt sind: das Volk. Bence Szabolcsi ZUR EINFÜHRUNG Zwei Komponisten von Weltgeltung prägen in erster Linie das Gesicht der ungarischen Gegenwartsmusik: Bela Bartök undZoltän Kodäly. Beider Schaffen wurzelt zutiefst in der Volksmusik, ganz besonders in den urtümlichen Bauernliedern ihres Heimatlandes, die sie systematisch sammelten und zur Grundlage ihrer eigenen künstlerischen Aussagen mach ten. Vor allem Bela Bartök, eine überragende schöpferische Persönlichkeit, kam zu einer neuartigen, faszinierenden Tonsprache, in der er folkloristische Elemente mit dem klassi schen Formprinzip verschmolz. Die Werke des ungarischen Meisters gehören zu den stärksten musikalischen Leistungen unseres Jahrhunderts. 1881 in Nagyszentmiklös geboren, studierte Bartök an der Budapester Musikakademie und wurde dort im Jahre 1906 zum Professor für Klavierspiel ernannt. 1940 emigrierte er als leidenschaftlicher Gegner des Faschismus über Jugoslawien, Italien, die Schweiz in die Vereinigten Staaten von Amerika. Fünf Jahre waren ihm in den USA, namentlich in New York, noch zu leben und zu schaffen vergönnt, ehe ihn am 26. September 1945 der Tod von seinem heimtückischen Leukämie-Leiden erlöste. Die amerikanischen Jahre hatten dem Künstler mehr ideellen als materiellen Gewinn gebracht. Doch erst nach sei nem Tode errang sein schöpferisches Lebenswerk wahrhaftige Weltgeltung. In seinem Heimatlande kam es zur Gründung der Bela-Bartök-Union, der über 60 000 Musik freunde an gehören. Bartöks Weg als Komponist begann zunächst in den Bahnen der Wiener Klassiker; Brahms, Liszt und Richard Strauss traten danach in seinen Gesichtskreis. Da man damals in seinem Heimatlande auf allen Gebieten die Merkmale des typisch Ungarischen er forschte, ereignete es sich von ungefähr, daß auch Bartök begann, sich mit dem echten ungarischen Volkslied zu beschäftigen, weil er erkannt hatte, daß die bis dahin unter der Bezeichnung Volkslieder gepflegten ungarischen Weisen mehr oder weniger triviale volkstümliche Kunstlieder waren. Gestützt auf bisherige Untersuchungen, allein oder zu-