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1 • i/^ß/izert Freitag, den 29. Oktober 1965, 19.30 Uhr Konzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Horst Förster Dresden Solist: Karl Suske, Berlin JOHANNES BRAHMS 1833-1897 Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur op. 56a Konzert für Violine und Orchester Allegro non troppo Adagio Allegro, giocoso ma non troppo vivace PAUSE 1. Sinfonie c-Moll op. 68 Un poco sostenuto - Allegro Andante sostenuto Un poco Allegretto e grazioso Adagio - Allegro non troppo ma con brio ZUR EINFÜHRUNG Mit seinen Serenaden und besonders mit den Variationen über ein Thema von Joseph Haydn in B-Dur op. 56a schul Johannes Brahms gleichsam Vorstudien für seine vier Sinlonien, deren erste er 1876 vollendete, übte er sich in den Serenaden in der Beherrschung klassischer Formen im Sinne Haydns und Mozarts, so brachten ihm die Haydn-Variationen aus dem Jahre 1873 - unter dem Einflüsse der Beethovenschen Sinfonik - weitere Sicherheit in der thematisch-motivischen Arbeit. Brahmsens klassische Haltung hatte sich also um diese Zeit - das Deutsche Requiem und viele seiner meister lichen Liedschöpfungen waren schon entstanden - wesentlich gefestigt. Auch räumlich war er der Welt der Wiener Klassik nähergekommen, hatte er sich doch in der Donau metropole niedergelassen. Aber noch ein weiteres Kennzeichen der Brahmschen Ton sprache soll hier vermerkt werden, weil es in den Haydn-Variationen bereits ausgen^ta ist: die Neigung und Fähigkeit des Komponisten zu barock-klassischer Form- und Synthese, seine Gabe, sinfonische Entwicklungen bei kontrapunktischer Anlage geradezu kammermusikalisch subtil zu gestalten. Das Thema, das den Haydn-Variationen zugrunde liegt und am Beginn des Werkes in seiner reizvollen Originalgestalt erklingt, entnahm Brahms dem zweiten Satz von Haydns Feldpartita B-dur für zwei Oboen, zwei Hörner, drei Fagotte und Serpent: eine Andante-Melodie mit der Überschrift »Choräle St. Antoni«, die vermutlich von einem alten burgenländischen Wallfahrtslied stammt. Mit den Variationen über dieses Thema schuf Brahms eines der bedeutendsten Variationenwerke der deutschen Musikliteratur überhaupt, dessen Anregungen bis hin zu Reger und Hindemith spürbar bleiben. Das Werk wurde übrigens in zwei Fassungen geschrieben, für zwei Klaviere und für Orchester. In acht Variationen, die satztechnische Kabinettstücke sind, wird eine Fülle herrlichster Musik verströmt, deren phantasievoller Einfallsreichtum, Formvollendung und gedanklich-geistige Tiefe auch den Hörer fasziniert, der den Variationentzyklus nicht rationell aufnimmt, sondern die Ausdruckskraft dieser Musik gewissermaßen »unbelastet« auf sich wirken läßt. Der Höhepunkt der Kompositon ist das Andante-Finale, eine Chaconne, in der siebzehnmal ein aus dem Thema entwickelter Baßgang wiederholt wird, über dem sich neue Tonfiguren und Melodien erheben bis das Hauptthema den festlichen Ausklang herbeiführt. Clara Schumanns Worte über das Werk, die sie anläßlich einer Leipziger Aufführung Anfang 1874 dem Dirigenten Hermann Levi schrieb, sind symptomatisch für die Begeisterung, die diese Komposition auslösen kann, und seien darum hier wiedergegeben: »Die Variationen sind zu herrlich! Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Charakteristik einer jeden Variation, die prachtvolle Abwechs lung von Anmut, Kraft und Tiefe oder die wirkungsvolle Instrumentation - wie baut sich das auf, mit welcher Steigerung bis zum Schluß hin! Das ist Beethovenscher Geist von Anfang bis zu Ende.« Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Violinkonzert D-Dur op. 77 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solostimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). »Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.«, können wir in einem Brief vom August 1878 an 6111111 lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violin- me schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, »daß das . . . herauszu- gen« und ein Teil sogar »recht originell violinmäßig« sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode ent standene Werk (auch die 2. Sinfonie D-Dur und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violinkonzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahmsens Leitung in Leipzig uraufgeführt. Das Konzert, das sich in be zug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlidi vom Typ des zeitgenössischen Vir tuosenkonzertes unterscheidet, war vom Komponisten zuerst viersätjig geplant worden. Da Brahms aber »über Adagio und Scherzo gestolpert ist«, komponierte er den Adagio- Satj neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätje wegfallen. Trotjdem ist die ausge sprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem Kennenlernen des ersten Satjes, »daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt«. Niemals ist die virtuose Violin- technik hier Selbstzweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestaltung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahmsens Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten ge stellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grundstimmung, seiner klassisch ausgewogenen Form gehört das Brahmssche Violinkonzert zu den schön sten, vollendesten und berühmtesten Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des groß angelegten ersten Satjes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboen melodie. In der ausgedehnten sinfonischen Orchestereinleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf seljt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seitenthema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam Eirovisat' rischen Umspielungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigent- e zweite, sehr kantable Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im nnungsvollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in mannig. fachsten Ausdrucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschließende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Lagen der Vio line ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangsmelodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satj. Ein wunderschönes, echt »Brahmssches« Adagio bildet den Mittelsatj des Werkes. Der poesievolle dreiteilige Satj wird von den Bläsern eingeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das liebliche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline aufgegriffen und variierend weiterge sponnen wird. Nach einem leidenschaftlichen, weitgehend vom Solisten getragenen fis- Moll-Mittelteil wird das Anfangsthema wieder aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstruments den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt sogleich mit dem durch den Solisten erklingenden, ein wenig ungarisch gefärbten tänzerischen Hauptthema, das durchweg in Doppelgriffen erscheint. Von den Seitenthemen des Final-