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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YGI EN E - MU S EU M Sonnabend, den 25. Dezember 1965, 19.30 Uhr Sonntag, den 26. Dezember 1965, 19.30 Uhr 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 3. Sinfonie F-Dur op. 90 PAUSE Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg’ Allegro moderato Canzonetta Finale : Allegro vivacissimo Allegro con brio Andante Poco Allegretto Allegro Johannes Brahms 1833 - 1897 Peter Tschaikowski 1840 - 1893 Richard Wagner 1813 - 1883 Dirigent: Horst Förster Solist: Heinz Schunk, Berlin ZUR EINFÜHRUNG Seine 3. Sinfonie F-Dur op. 90 schrieb Johannes Brahms 1883 in Wiesbaden und bei Aufenthalten im Taunus. In diesem Werk fand der Komponist die künstlerische Synthese aus den Erfahrungen, die er während der Arbeit an den beiden vorausgegangenen Groß werken gesammelt hatte. Völlig zu Recht wurde die „Dritte“ als die „Brahmsischste“ bezeichnet, trägt sic doch am deutlichsten die Wesensmerkmale des Meisters: Herbheit und Innigkeit, die Liebe zum Volksliedhaften, kämpferischen Trotz ebenso wie den tröstenden Charakter seiner Tonsprache. Das schwermütige Pathos der 1. Sinfonie und die idyllische Heiterkeit und Musizierfreudigkeit der „Zweiten“ sind in Einzelzügen in die F-Dur-Sinfonie eingeflossen. Sie ist ein Werk höchster menschlicher Reife, die äußerlich knappste der vier Brahms-Sinfonien überdies. Im Formalen waltet Klarheit und Übersichtlichkeit, obwohl die „Dritte“ eine von der Tradition abweichende Eigen tümlichkeit zeigt. Der Höhepunkt, die dramatische Entladung, liegt im Finale. In den drei vorausgehenden Sätzen werden gleichsam Kräfte gesammelt, wird die innere Dyna mik aufgebaut, die sich dann im Schlußsatz stürmisch entfaltet. Es ist gesagt worden, daß der letzte Satz die eigentliche Durchführung der gesamten Sinfonie darstellc. Dennoch fand die Sinfonie, die zu den ganz großen Schöpfungen der musikalischen Kunst gehört, bei der Uraufführung am 2. Dezember 1883 in Wien unter Hans Richter nicht sofort den verdienten Anklang. Gegenüber Richard Heuberger, dem Wiener Kritiker und Komponisten, bekannte Brahms: „Es ist doch was Unangenehmes, wenn man so regelmäßig durchfällt, es macht einen trotz aller Grundsätze stutzig.“ Hinter solcher Ironie verbarg sich die Empfindlichkeit eines Meister, der sich des Wertes seiner Arbeit durchaus bewußt war. Vielleicht dachte er auch an die verletzende Rezension des jungen Hugo Wolf im „Wiener Salonblatt“, der als enthusiastischer Parteigänger Wagners die heftigsten Attacken gegen Brahms ritt, was uns heute unvorstellbar erschei nen will. Respekt- und verständnislos urteilte er über die 3. Sinfonie: „Als Sinfonie des Dr. Johannes Brahms ist sic zum Teil ein tüchtiges, verdienstliches Werk; als solche eines Beethoven Nr. 2 (Anspielung auf Hans von Bülows Bonmot, das die 1. Sinfonie von Brahms als die „Zehnte“ von Beethoven bezeichnete) ist sie ganz und gar mißraten, weil man von einem Beethoven Nr. 2 alles das verlangen muß, was einem Dr. Johannes Brahms fehlt: Originalität! Brahms ist ein Epigone Schumanns, Mendelssohns. Er ist ein tüchtiger Musiker, der sich auf seinen Kontrapunkt versteht, dem zuweilen gute, mit unter vortreffliche, zuweilen schlechte, hie und da schon bekannte und häufig gar keine Einfälle kommen . . . Die Führer der revolutionären Musikbewegung nach Beethoven sind an unserem Sinfoniker spurlos vorübergegangen; er war oder stellte sich blind, als der erstaunten Menschheit die Augen vor dem strahlenden Genie Wagners auf- und übergingen . . . Brahms kommt wie ein abgeschiedener Geist wieder in die Heimat zu rück, wackelt die schwankende Treppe hinauf, dreht mit vieler Mühe den verrosteten Schlüssel um . . . und sieht mit abwesendem Blick die Spinnweben ihren luftigen Bau betreiben und den Efeu zum trüben Fenster hineinstarren.“ Brahms hat es Hugo Wolf auf seine Weise vergolten, als er sich später einmal über dessen Kritikertätigkeit äußerte: „Damals haben wir viel über den närrischen Davidsbündler gelacht, wenn ich seine Kritiken, die ich Tag und Nacht bei mir trug, zum besten gab. Aber damals haben wir nur die Aufsätze gekannt - heute weiß man, daß er ein ernster Mensch war, der Ernstes gewollt hat, und die Hauptsache ist schließlich doch der Ernst, wenn auch Spaßhaftes dabei herauskommt.“ Der erste Satz (Allegro con brio) beginnt mit einem Motto-Motiv, das im ganzen Werk an wichtigen Punkten der Entwicklung eingreift. Aus dem dritten Takt geht das weit geschwungene, kraftvolle Hauptthema hervor, voll leidenschaftlichem Ausdruckscharakter, voll herber Wendungen. Diesem männlichen Gedanken folgt eine der wundersamsten Eingebungen des .Melodikers Brahms, das zweite Thema, das von der Klarinette vor gesungen wird. Nach heroischen, aber auch besinnlichen Auseinandersetzungen verklingt der Satz piano. Die frische, würzige Herbheit dieses Allegro ist zuweilen mit einer Bergwanderung durch den Hochwald verglichen worden. HEINZ SCHUNK wurde 1941 in Sonnebcrg/Thür. geboren und begann bereits 7jährig mit dem Violinspiel. Von 1955 bis 1958 besuchte er die Fachgrundschule für Musik und anschließend bis 1963 die Franz-Liszt-Hochschule in Weimar als Schüler von Prof. Ehlers. Nach dem Studium erhielt Heinz Schunk eine Aspirantur bei Prof. Igor Besrodni in Moskau sowie 1962 ein Diplom beim Internationalen Tschaikowski-Wettbewerb. 1964 wurde er Preisträger beim Internationalen Enescu-Wettbewcrb in Bukarest. Seit September des gleichen Jahres wirkt er als erster Konzertmeister an der Deutschen Staatsoper Berlin. Neben seiner Konzerttätigkeit im Inland gastierte der junge Künstler in der VR Polen, in der CSSR, in Ungarn, in der UdSSR und in Westdeutschland.