Volltext Seite (XML)
Im schlichten C-Dur des Andante-Satzes klingt es wie eine Volksweise auf. Variationen, in schlichtester Faktur, schließen sich an. Ein trauermarschähnlicher Seitengcdankc in der Klarinette wendet die Stimmung ins Melancholische. Auch später taucht er noch einmal auf. Mit schmerzvoll-chromatischen Gängen schließt der Satz. Einen eigenartigen Intermezzocharakter besitzt der dritte Satz (Poco Allegretto). Die Violoncelli beginnen mit einer weitgesponnenen, sehnsuchtsvollen Melodie, danach duettieren Violinen und Celli. Im Mittelteil (quasi Trio) wechselt satte Streichermusik mit tänzerischen Bläserrhythmen. Das Horn bringt die Anfangsmelodie. Die Grund haltung des Ganzen wird von einer gewissen tänzerischen Schwermut bestimmt. Den bedeutendsten Satz der Sinfonie stellt, wie schon angedeutet, das Finale (Allegro) dar, das im drohenden Unisono des f-Moll-Themas einsetzt, um rasch den ersten heftigen Steigerungen und Entladungen zuzustreben. Verschiedenste Motive werden miteinander gekoppelt. Auch das trauermarschähnliche Thema aus dem langsamen Satz erscheint wieder. Nachdem sich erregte Balladcnstimmung ausgebreitet hat, ertönt ein jubelnd sich aufschwingendes, befreiendes Hornmotiv in Trioien, das vom ganzen Orchester auf genommen wird. In trotziger Kampfcsstimmung bei meisterhafter Kontrapunktik, mit der die Themen miteinander verknüpft werden, geht die Entwicklung bis zur Reprise. Dann aber tritt eine lyrische Beruhigung der Stimmung ein, bei Tempoverbreiterung wird ungebrochenes F-Dur erreicht. Das Motto-Motiv und das ins Sanfte gewendete Haupt thema des ersten Satzes haben das letzte Wort. Pianissimo, träumerisch klingt die Sin fonie aus. Doch nicht Resignation, sondern Tröstenwollen ist das Fazit des Werkes, das durch die Schlichtheit seiner Sprache und Mittel so nachhaltige Wirkung erzielt. Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beethoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie deren Werke gleichfalls zu den Glanz stücken der internationalen romantischen Konzertlitcratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakteristische, eigcnwüchsigc Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und zwei Wochen später bereits vollendet. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosenstück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der cs aber zunächst als unspiclbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Uraufführung wagte schließlich Adolf Brodski am 4. Dezember 1879 in Wien unter der Leitung Hans Richters. Unfaßbar will es uns heute erscheinen, daß das Werk vom Publikum ausgezischt wurde! Die Presse war geteilter Meinung. Der gefürchtete Wiener Kritiker Dr. Eduard Hanslick, Brahms-Verehrer und Wagner-Feind, beging mit seiner Rezension des Tschaikowski-Konzertcs wohl einen seiner kapitalsten Irrtümer. Er schrieb u. a.: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebleut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträubenden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst . . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob cs nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken (!) hört.“ Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Kom ponist übrigens jederzeit auswendig aufsagen konnte, so sehr hatte er sich darüber ge ärgert, während das Konzert inzwischen längst zu den wenigen ganz großen Meister werken der konzertanten Violinliteratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder, daß das Hauptthema innigen Liedcharaktcr besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Scitcnthcma größeren Raum zu geben. Unmittelbar daran schließt sich das Finale (Allegro vivacissimo) an, das vom Solisten ein Höchstmaß an geigerischer Virtuosität in Kadenzen, Passagen, Flageoletts usw. verlangt. Das formale Schema des Satzes ist etwa mit ABABA zu umreißen. Beide Themen haben nationales russisches Profil. Das erste wächst aus der übermütigen Orchcstcreinleitung heraus, das zweite, tanzartige, wird von Baßquinten begleitet. Unaufhörlich stellt der Komponist die Themen vor, elegant und formgewandt variiert. Strahlend endet der tempcramcntgeladcne Schlußsatz des Konzertes, das zweifellos eine der überragendsten Richard Wagner hat dem Vorspiel seiner Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ (1867), C® mit der er eine deutsche Volksopcr von echter Volkstümlichkeit geschaffen hatte, selbst eine Erläuterung gegeben: „Die Meistersinger ziehen in feierlichem Gepränge vor dem Volke in Nürnberg auf; sic tragen in Prozession die ,leges tabulaturac', diese sorglich WB bewahrten altertümlichen Gesetze einer poetischen Form, deren Inhalt längst ver schwunden war. Dem hochgetragenen Banner mit dem Bildnis des harfespielenden Königs David folgt die einzige wahrhaft volkstümliche Gestalt des Hans Sachs. Seine eigenen Lieder schallen ihm aus dem Munde des Volkes als Begrüßung entgegen. Mitten aus dem Volke entnehmen wir aber den Seufzer der Liebe, er gilt dem schönen Töchterlein eines der Meister, das, zum Preisgewinn eines Wettsingens bestellt, festlich geschmückt, aber bang und sehnsüchtig seine Blicke nach dem Geliebten ausssendet, der wohl Dichter, aber nicht Meistersinger ist. Dieser bricht sich durch das Volk Bahn; seine Blicke, seine Stimme raunen der Ersehnten das alte Liebeslied der ewig neuen Jugend zu. - Eifrige Lehrbuben der Meister fahren mit kindischer Gelchrttucrei da zwischen und stören die Herzensergießung; cs entsteht Gedränge und Gewirr. Da springt Lians Sachs, der den Liebesgesang sinnig vernommen hat, dazwischen, erfaßt hilfreich den Sänger, und zwischen sich und der Geliebten gibt er ihm einen Platz an der Spitze des Festzuges der Meister. Laut begrüßt sie das Volk; das Liebeslied tönt zu den Meisterweisen. Pedanterie und Poesie sind versöhnt. ,Heil Hans Sachs!' erschallt cs mächtig.“ Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG : 19. und 20. Februar 1966, 19.30 Uhr 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Horst Förster Solist: Julian von Kärolyi, München, Klavier Werke von Mendelssohn, Chopin und Beethoven Freier Kartenverkauf Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik gekennzeichnet und ist betont musikantisch ohne Hintergründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier u. a. schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumentation, die beispielsweise auf Posaunen verzichtet. Aus der Orchcstereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchcsterklang, teils in Umspiclungen der Solo violine, seine faszinierende Wirkung verleiht, während das zweite, lyrische Thema dem gegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhepunkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstrumentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. 12. und 13. März 1966, 19.30 Uhr 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Horst Förster Solistin: Cecilc Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Schumann, Weber und Tschaikowski Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Förster-Spielzeit 1965/66 Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstättc 6329 ItG 009/67/65 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1965/66