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Sergej Prokofjew, neben Dmitri Schostakowitsch und Aram Chatscha- turjan der stärkste Exponent sowjetischer Musik, Schüler Tanejews, Glieres und Glasunows am Petersburger Konservatorium, kehrte bekanntlich 1934 nach Jah ren der unsteten Wanderschaft durch die Musikzentren Europas und Amerikas endgültig in seine Heimat zurück, um die Erkenntnis reicher, daß der Künstler „nicht fern der heimatlichen Quellen herumschweifen" sollte. Um diese Zeit begann sich in Prokofjews Schaffen, das stark von der europäischen „Moderne" beeinflußt worden war, eine Wandlung zu vollziehen, die auch Hindemith und Bartok erlebt hatten, die Hinwendung vom Ekstatisch-Komplizierten zum Maß voll-Einfachen, zu einem neuen Ordnungsgesetz, wobei Prokofjew außerdem, nicht zuletzt durch seine Beschäftigung mit der Folklore seiner Heimat, den Weg zum nationalen Komponisten fand. 1948 äußerte er: „Ich liebe die Melodie, halte sie für das wichtigste Element der Musik und arbeite viele Jahre lang an meinen Werken, um ihre Qualitäten zu verbessern.“ Prokofjews „Klassische Sinfonie" D-Dur op. 25 („Symphonie classique") wurde in den Jahren 1916/17 komponiert; am 21. April 1918 erlebte sie unter der Leitung des Komponisten ihre erfolgreiche Uraufführung in PetrÄ grad. über die Entstehungsgeschichte des Werkes ist in Prokofjews autobio grafischen Erinnerungen folgendes zu lesen: „Den Sommer des Jahres 1917 ver lebte ich in Petrograd, ganz allein, las Kant und arbeitete viel. Ich hatte ab sichtlich kein Klavier in meine Datscha (Landhaus) mitgenommen, weil ich ver suchen wollte, ohne Instrument zu arbeiten. Bisher hatte ich gewöhnlich am Klavier geschrieben, aber ich hatte festgestellt, daß das ohne Klavier komponierte thematische Material häufig besser ist. Auf das Klavier übertragen, erscheint es im ersten Augenblick fremd. Aber nach mehrmaligem Durchspielen stellt sich heraus, daß man so und nicht anders verfahren mußte. Ich trug mich also mit dem Gedanken, eine ganze Sinfonie ohne Klavier niederzuschreiben. Auf diese Weise müssen auch die Orchesterfarben reiner werden. So entstand der Plan einer Sinfonie im Haydnschen Stil, denn die Haydnsche Technik war mir irgend wie besonders klar geworden, nach der Arbeit in der Klasse Tscherepnins. Unter solchen vertrauten Verhältnissen war es mir leichter, den gefährlichen Sprung des Arbeitens ohne Klavier zu wagen. Mir schien, wenn Haydn bis in unsere Tage gelebt hätte, würde er seine eigene Handschrift beibehalten, gleichzeitig aber Neues dazu aufgenommen haben. Eine solche Sinfonie wollte ich kompo nieren: eine Sinfonie im klassischen Stil. Als sie dann Formen anzunehmen be gann, nannte ich sie .Klassische Sinfonie': Erstens ist das einfacher; zweitens war es ein Streich, vollbracht, um ,die Gänse zu reizen* und in der geheimen Hoffnung, daß ich letztlich gewinnen würde, wenn sich die Sinfonie wirklich auch als klassisch erweisen sollte. Ich komponierte sie beim Spazierengehen über die Felder... Früher als alles andere war die Gavotte fertig. Darauf das Materiq£ zum ersten und zum zweiten Satz." Die viersätzige „Klassische Sinfonie“ — eines der populärsten sinfonischen Werke Prokofjews — hat nach W. Delson „ein Anrecht auf diese Bezeichnung nicht nur ihrer äußerlichen Ähnlichkeit mit der Haydnschen Sinfonik wegen. Sie ist klassisch in der Genialität ihrer Handschrift, in ihrer knappen Klarheit und weisen Einfachheit wie in ihrer außergewöhnlichen Ausdruckskraft... Im ganzen bringt die Sinfonie das optimistische Lebensgefühl des Komponisten zum Aus druck; sie zeigt eine heitere Haltung dem Leben gegenüber und seine Neigung zu jugendlichem Übermut.“ Mit großer Freude hat sich Prokofjew offenbar in die Ausdruckswelt der musikalischen Klassik versenkt, in ihre melodische Klarheit und ebenmäßige Schönheit. Doch hat er sie in seinem Werk nicht einfach nach geahmt, sondern die für seinen Stil charakteristischen Neuheiten in Harmonik und Rhythmik organisch und natürlich eingefügt. Der erste Satz (Allegro) hat Sonatenform. Nach zwei Einleitungstakten beginnt das graziöse Hauptthema, dessen zweite Hälfte u. a. dominierend wird für die Entwicklung der Durchführung, deren Schluß jedoch von dem prägnanten Seiten thema bestimmt wird. Die Reprise ähnelt stark der Exposition. Der zweite Satz ist ein verhaltenes Larghetto. Das Hauptthema bringen die Streicher, es wirkt graziös-ironisch. Ein Streicher-Pizzikato bildet den Mittelteil. Danach wird das Hauptthema figuriert, und mit der Wiederholung der schreitenden Anfangstakte verklingt der Satz. Eine elegante Gavotte, stilisiert nach dem Muster des 18. Jahrhunderts, schließt sich an. Sonatenartige Form besitzt wieder das Finale (Molto vivace). Die kurze Durchführung wird vor allem getragen durch kontra- punktische Verarbeitung der Motive des Haupt- und Seitensatzes. Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 folgte unmittelbar auf die siebente Sinfonie. Das Werk entstand während eines Kur aufenthaltes in den böhmischen Bädern im Sommer 1812 und wurde nach einer handschriftlichen Bemerkung des Meisters auf der Partitur („Sinfonia Lintz im Monath October 1812“) in Linz, wo er nach der Kur für einige Wochen seinen Bruder Johann besuchte, vollendet. Die erste Aufführung fand in einem eigenen Konzert Beethovens am 27. Februar 1814 in Wien statt, zusammen mit der „Sie benten" und der Programmsinfonie „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“. Bei den Zeitgenossen fand die „Achte" zunächst wenig Anklang. „Das Werk machte keine Furore", hieß es in einer kritischen Stimme nach der Urauf führung. Beethoven zeigte sich darüber recht verärgert, er meinte, seine „Kleine Sinfonie“ (so nannte er sie im Vergleich mit der „Großen“ A-Dur-Sinfonie) habe den Hörern wohl deshalb nicht gefallen, „eben weil sie viel besser ist“. Der Grund für diesen Mangel an Verständnis (genaugenommen steht ja die achte, ebenso wie die vierte Sinfonie, auch heute noch ein wenig im Schatten ihrer berühmten Geschwisterwerke) lag nicht etwa in der besonderen Schwierigkeit des Werkes. Im Gegenteil, man hatte wohl nach den vergangenen Schöpfungen neue Steigerungen erwartet und war nun enttäuscht durch eine scheinbare Zu rückwendung auf Vergangenes (Anklänge an frühere Werke, Anwendung von sinfonischen Prinzipien Haydns), die aber hier durchaus keinen Rückschritt, son dern eher einen Rückblick von einer höheren Stufe aus darstellte. Heitere Scherz haftigkeit, beschauliche Behaglichkeit, launiger Humor, kraftvolle Lebensbe jahung und ausgelassene Freude charakterisieren das formal bemerkenswert geschlossene Werk, in dem, wie auch schon in der siebenten Sinfonie, wieder dem rhythmischen Element eine große Bedeutung zukommt. Der ohne Einleitung sogleich mit dem frischen, klar gegliederten Hauptthema beginnende erste Satz (Allegro vivace e con brio) ist voller schalkhafter Einfälle und kontrapunktischer Neckereien. Er steigert sich nach fröhlich-tumultuarischen Kämpfen bis zum gewaltigen Freudenausbruch der Coda, endet dann aber sehr graziös mit dem noch einmal leise aufklingenden Kopfmotiv des fröhlichen, tän zerischen Anfangsthemas. Auf einen langsamen Satz verzichtend, schrieb Beetho ven als zweiten Satz ein bezaubernd anmutiges, leicht dahintändelndes Allegret- to scherzando. Als Thema liegt diesem Satz ein Kanon zugrunde, den der Meister in heiterer Laune dem Erfinder des Metronoms, Johann Nepomuk Mäl- zel, gewidmet hatte; die Sechzehntelakkorde der Bläser zu Beginn, die gleich sam das Ticken des mechanischen Zeitmessers nachahmen, bestimmen die Bewegung des reizenden, scherzhaften Satzes. Der dritte Satz (Tempo di Menu- etto) erinnert an einen derb-kräftigen Volkstanz, im Trio erklingt über Stakkato- Triolen der Violoncelli in Hörnern und Klarinetten eine einschmeichelnde, ländler artige Melodie. Das Finale, der weitaus umfangreichste Satz, in freier Rondoform gehalten, stellt den eigentlichen Höhepunkt des Werkes dar. übermütige Laune,