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Peter Tschaikowskij (1840—1893) Sinfonie Nr. 2 c-Moll, op. 17 Von den 6 Sinfonien Peter Iljitsch Tschaikowskijs werden zu Unrecht fast nur die 4., 5. und 6. Sinfonie gespielt. Dresden bildet dabei eine rühmliche Aus nahme, denn im vergangenen Konzertjahr erlebten wir unter Franz Jung die Aufführung von Tschaiikowskijs „Dritter“, und schon vor einigen Jahren brachte Professor Heinz Bongartz die 2. Sinfonie, op. 17, in c-Moll zur deutschen Erst aufführung, nachdem er die Partitur im Archiv des bedeutenden Dirigenten Arthur Nikisch entdeckt hatte. In der langsamen Einleitung (Andante sostenuto) erklingt gleich zu Beginn eine getragene, weit und sehnsüchtig ausschwingende Hornmelodie, die überleitet zum Hauptthema des ersten Satzes (Allegro vivo), einer tänzerisch beschwingten Musik, die sehr klar und übersichtlich geformt ist. Wie in der klassischen Sinfonie bringt Tschaikowskij als Kontrast zum ersten Thema eine liedhafte Weise der Oboe. Auch die Klarinette ist solistiisch beteiligt, und ganz „klassisch“ hebt dann die Durchführung an, in der vor allem das erste, rhythmisch markante Thema dominiert. Von großer Eigenart und Schönheit ist der zweite Satz, ein Andante, das sehr verhalten im Charakter eines Marsches beginnt und im Ver laufe der Verarbeitung ins Große gesteigert wird. Echten Scherzo-Charakter trägt der dritte Satz, der fast flüchtig an uns vorübergleitet, dabei aber äußerst prägnant und konzentriert geformt ist. Ein Trio — als Mittelteil — steht un gewöhnlicherweise im 2 /8-Takt. Einflüsse deT russischen Volksmusik spüren wir im letzten Satz, im Finale. Etwas Gesundes und Ursprüngliches steckt in dieser glanzvollen, optimistisch beschwingten Musik, die Kraft russischen Volkstums und eine unbändige Musizierlust, die so überaus bezeichnend für Tschaikowskij ist. Beim Hören dieser leider nur selten aufgeführten Sinfonie verstehen wir des Meisters Worte, als er einmal in einem Briefe schrieb: „Nur solche Musik kann rühren und erschüttern, die kraft jener Erleuchtung in der Tiefe einer auf gewühlten Künstlerseele empfangen worden ist.“ 111/9/19 It-G 004-55 04 155 256 31—1—101