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Warum hat sich von Webers Märchenoper „Oberon" nur die Ouvertüre gehalten? Fast alle bisherigen Bearbeitungen hielten sich an die erste deutsche Über setzung aus dem Englischen, die (zitiert nach Heinz Joachim) „an Stelle echter Poesie hoffnungslos schematische Verse in denkbar schlechtem Deutsch bietet und von der Romantik lediglich das Requisit benützt." C. M. v. Weber schrieb seine letzte Oper als todkranker Mann für das Covent- garden-Theater in London (die Uraufführung fand am 12. April 1826 in London statt). Kurze Zeit danach starb der Meister. „Die Ouvertüre“, so lesen wir bei Webers Sohn Max Maria, steht mit der Oper im innigsten sachlichen Zusammen- hang-. Das liebliche Adagio der Einleitung führt sofort mitten in die überirdische der Sphären, in denen sich das Werk bewegen soll. Schon in den letzten Takten des Adagio leitet der Anklang an das Motiv des Rittermarsches in die zweite Welt der Tonschöpfung, die des romantischen Rittertums, hinüber.“ Die Oberon-Ouvertüre ist mehr als nur eine Operneinleitung, sie ist eine neue musikalische und dramatische Einheit von bewundernswerter Konzentration, zu gleich der Inbegriff echten und unverfälschten romantischen Gefühls. Max Reger gehört zu den großen Meistern der Jahrhundertwende. Wie Richard Strauss, Hans Pfitzner und Gustav Mahler fußte er stilistisch auf der Spät romantik, wobei er jedoch — stärker als die drei erwähnten Meister — zugleich von der strengen Zucht barocker Polyphonie starke Anregungen empfing. Sein bekanntestes Orchesterwerk, die „Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart", Werk 132, sind dafür ein bezeichnendes Beispiel. Max Reger schuf sein Variationenwerk 1914, also zwei Jahre vor seinem allzu frühen Tode. Das herrliche Thema entnahm er der bekannten Klaviersonate A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Kammermusikalisch durchlichtet, im schönen Wechsel zwischen Bläsern und Streichern, wird das gesangvolle, rhyth misch wiegende Thema zu Beginn vorgestellt, und dann beginnt das Spiel von acht Variationen, die zum Teil so freizügig (vor allem im Harmonischen!) ver arbeitet werden, daß das ursprüngliche Thema kaum noch zu erkennen ist. Das Thema und Teile des Themas werden also nicht nur figurativ, sondern auch charakterlich, verändert. Das alles geschieht mit einem hoch entwickelten hand werklichen Können und einer schier unerschöpflichen Phantasie. Das Ganze ist ausgeprägt kontrastreich geformt. Groß gesteigerte Ausbrüche stehen gleich riesigen Quadern neben feinster Filigranarbeit. Bewundernswert die Vielfalt ab gestufter Farben! Alles ist durchdacht und zuchtvoll gearbeitet. Die achte Variation beginnt mit einer Adagio-Einleitung und gipfelt in einer überlegen großartig gesteigerten Doppelfuge. Zu den beiden Themen der Fuge gesellt sich im strahlenden Glanz das Mozartsche Thema. Ein überwältigender Ausklang, der seine Wirkung nie verfehlt. Joseph Haas charakterisierte Regers Schaffen einmal mit den trefflichen Worten: „Reger war von heißem Bemühen erfüllt, sein Können und sein Künden nie in den Dienst des Gemeinen und Häßlichen zu stellen. Er wachte über das heilige Feuer der Überlieferung und speiste es mit den neuen Ausdrucksarten seines Schöpferwillens." Als Peter Tschaikowski in den Monaten Mai bis August 1888 an seiner 5. Sinfonie arbeitete, wurde er oft von Stimmungen des Zweifels und der Resignation überfallen: „Ist es nicht an der Zeit aufzuhören? Habe ich nicht meine Fantasie überanstrengt? Ist die Quelle nicht versiegt?“ Nach der Petersburger Urauf führung am 5. November 1888 war der russische Meister überzeugt, daß seine „Fünfte" ein mißglücktes Werk sei. Tschaikowski irrte. Durch den Abstand der Zeit wurde eine gerechte Wertung möglich: Die „Fünfte" bedeutet im Schaffen Tschaikowskis einen glanzvollen Höhepunkt. Sie steht gleichberechtigt neben der „Symphonie pathetique"; ja, es gibt sogar Stimmen, die meinen, daß die „Fünfte" überhaupt die bedeutendste Sinfonie ist, die Tschaikowski je geschrieben hat. Wie dem auch sei: Tschaikowskis 5. und 6. Sinfonie bilden einen Gipfelpunkt vollendeter Sinfonik im 19. Jahrhundert. Mit einer langsamen Einleitung wird der erste Satz eröffnet. Diese Melodie —- in allen Sätzen als treibende Kraft wiederkehrend . stellt gleichsam eine Art Schicksalsmotiv dar, über das der Komponist in einem Brief an seine mütterliche Freundin Frau von Meck berichtete: „Unser Ich wird, in Musik übersetzt, nicht mehr sein können, als eine idee fixe im Sinne von Berlioz". Das heißt soviel wie ein unveränderlicher musikalischer Gedanke im Sinne eines Leitmotivs. Der sich steigernde Rhythmus des ersten Themas, der lyrische Strom des zweiten und das leidenschaftliche Gefühl des Abgesanges (zugleich das dritte Hauptthema) werden — ganz im Sinne der klassischen Sinfonieform — von Tschaikowskis Schöpferkraft zu einem geschlossenen Ganzen von packender Eindringlichkeit zu sammengeballt. Der langsame Satz setzt sich zusammen aus zwei Hauptgedanken, die durch einen Mittelteil getrennt werden. Das Schicksalsmotiv, die „idee fixe“, erfährt eine bedeutsame Verarbeitung. Der mitreißende Strom der Melodien, die Innigkeit des Gefühls und die starke menschliche Ausstrahlung verleihen dem Satz ein überaus persönliches Gepräge. Das Scherzo wurde von Tschaikowski als Walzer niedergeschrieben: In seiner eleganten, unterhaltsamen Art ein starker Kontrast zu dem aufwühlenden Seelengemälde der beiden Anfangssätze. Das Finale erinnert mit seinem Hauptthema an russische Tanzrhythmen, und auch