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2243 den Portier eines Hotels. Sic schreien: Vivs il ro! Hs 8ont cks la psrtio clu roi! War das Hohn? Dcriarme König, wenn er in seinem Königreiche keine andere Partei hat! Diese Lazzaroni laufen nun schon den ganzen Tag um, aus Leibeskräften schreiend, es läuft ihnen Nie mand nach, ihre Zahl wird nicht größer. Wenigstens sehe ich keinen Einzigen mit einem ganzen Rocke ihnen sich «»schließen. Ihre Gegner, die Nationalgarde, die Bürger, bekommen sic nicht einmal zu Gesicht, die Soldaten, ihre Freunde, denen sic zujubeln, lassen sic nur dann und wann, nur in bestimmter Anzahl, durch ihre Reihen. Es ist ihnen um solche Bundesgenossen nicht zu thun. Ihr Geschrei, ihr Marsch beschränkt sich auf den Strand; von ihren mächtiger« Kameraden auf dem Mercalo, wo der eigentliche Lazzaronitummclplatz ist, wo Masa- nicllo einst regierte, sind sic hermetisch durch die Truppen getrennt. Dennoch hält cö nicht schwer, auch unter den Zerlumpten die Parteien herauserkcnnen. Hier jubeln sie der Papierfahne entgegen, dort weisen zerlumpte Weiber den Soldaten die Faust und knirschen mit den Zähnen. In unserm Hotel fand ich die Leute sehr antiroyalistisch. Sic über häufen den König mit gräßlichen Vorwürfen, sie nähren sich mit chi märischen Hoffnungen: Abends werden 40,000 Nationalgardcn aus den Provinzen cinrücken, dann ist Widerstand unmöglich; die französische Flotte hat dem König bis 3 Uhr Bedenkzeit gelassen zum Nachgcben und mit seinem Volk (?) sich zu vertragen, widrigenfalls wird sie ihre Batterien gegen den königlichen Palast spielen lassen, ihn in Grund und Boden schießen. Dazu entsetzliche Nachrichten von Füsilladcn: 12 Gefangene seien nach gehaltenem Standrecht sofort erschossen! Die Neapolitaner halten cs für Thorhcit, sich jetzt auf der Straße sehen zu lassen. Einem Fremden ist Manches vergönnt. Wir streiften gegen 4 Uhr noch einmal nach dem Regcntcnplatze. Dic französischen Kriegsschiffe hatten allerdings ihre bewaffneten Flanken in bedrohlicher Stellung gegen Stadt und Schloß gerichtet, aber kein Schuß ist ge fallen; cs war, ich bin davon überzeugt, eine blinde italienische Nach- Das war alles sehr wahrscheinlich; was halte nicht Ferdinand II. schon nachgcgcbcn! als plötzlich ein Schuß fiel. ES war zwischen 10 und 11 Uhr, jener verhängnißvollc Zufallsschuß, der in Paris, Ber lin über Königreiche entschieden hat. Hier soll er nicht vom Militair, sondern von der ersten Barrikade des Toledo gefallen sein. Ich sah auf dem Platz vor dem königlichen Palast einen Soldaten stürzen; mit einigen zwanzig Czackos war der Platz bedeckt. Sie waren den zum Sammelplatz stürzenden Musketieren entfallen; eine Weisung, daß auch die Czackos veraltet sind, ihre Periode überlebt haben, zum Bürgerkrieg in den Gassen taugen sic wenigstens nicht. Zur Seite des königlichen Schlosses breitet sich der weite Rcsidcnzplatz mit nur zwei Durchgän gen, der Gigantenstraße nach dem Meer, San Lucia und der Chiaja, der andere nach dem Toledo und den Seitenstraßen, die nach dem Molo und Mercato führen. Den ganzen übrigen Raum umschließt der prachtvolle neue Säulcngang von San Francesco de Paula im Halbkreise. Ich saß am Fenster des deutschen Lcsecabincts in der Mitte der Colonnaden, als cs wie ein Sturmwind über den Platz fegte, wirklicher Staub, Pulvcrdampf, Patronenhüllen. Im näch sten Augenblick hatten die königlichen Tiraillcurc dic Colonnadcn einge- . nommen und schossen von hinter den Säulen, aber alle in die Luft, Auch die Compagnien, die vor dem Schloß gegen den Toledo sich po- stirt, gaben ein Pclotonfeuer, so viel ich bcurtheilen konnte, nur in die richt, erfunden mit Absicht, den Muth zum Aufstande wach zu halten. Wirklich schien indcß die Sache sich gewendet zu haben; während wir über Trümmer, Asche und Kugeln in dem, wie wir glaubten, geräum ten Toledo einige Schritte vordrangcn, fielen, ganz in unserer Nähe, aus den Fenstern einzelne Schüsse, sie wurden durch Pclotonsalven er widert. Ein schweizer Offizier, den ich 7 Monate früher als Commis- sar des Sondcrbundcs in Schwyz kennen gelernt, mahnte uns zurück abzugehen, es schc schlimmer aus als man denke, der Ausgang sei nicht zuschcn. ES war ein wchmüthigcr Händedruck zum Abschied: rver weiß, ob ich in einer halben Stunde noch lebe! Ein schweizer Oberst war schon gefallen, zwei Hauptleute, viele Soldaten. Auf dem Platze wa ren wieder die Kanonen aufgcfahrcn, dic Kanoniere ermahnten uns höflich zurückzutrcten, sie könnten jeden Augenblick beordert werden, Feuer zu geben. Sv weit also im Rückschlag! aber man sah auch jetzt keine Feinde; dic Nationalgarden, wenigstens ihre Uniformen, waren gänzlich verschwunden, doch ist jedes dieser fünfstöckigen, vom festesten Stein aufgcrichtctcn Häuser eine Festung. Man konnte Haus für Hans genommen, beseht haben (wie ließ sich jedes vollständig besetzen?) und doch kamen aus einem Versteck neue Vertheidigcr hervor, die hinter den Mauern ladend, einen Gclcgenhcitsschuß auf dic Truppen richteten und darauf verschwanden. Es wird wieder ruhig gegen Abend, der einer der mildesten und Luft. ES galt vorerst nur, den Platz zu säubern. Durch zwei Stun den hier abgeschlossen, sah ich dem heftigsten Kampfe des Bürgerkriegs zu, ohne doch eigentlich die Feinde, dic bekämpft werden sollten, zu entdecken. Sic standen hinter den Barricadcn dcö Toledo, in den Häu sern. Zahllose Pclotonfeuer und Kanonenschüsse entluden sich vom Resi- dcnzplatze und gegen dieselben, man feuerte von den Balconcn des Schlosses und des San Carlotheatcrs, die Soldaten hatten die Dächer der Eckhäuser besetzt und schossen hinunter. Bataillone um Bataillone marschirtcn in den Toledo, um nach einer Weile, vcrmuthlich wenn ihre Munition abgeschossen, von andern abgclöst zu werden. Daß Kanonen- fcuer entfernte sich; ich durfte annchmen, daß die ersten Barrikaden längst genommen, der Sieg der Truppen entschieden wäre, als plötzlich immer wieder aus den nächsten Häusern gefeuert und auf dieselben ein wenigstens die Scheiben vernichtendes Pclotonfeuer gegeben wurde. Zuweilen schienen dic Insurgenten zu siegen, dic Truppen zurückzudrän- gcn, wenn diese in Hast und Unordnung zurückstürztcn, auch die Ka nonen retirirtcn; aber die Zerstreuten ordneten sich sofort, um hinter den frischen Truppen wieder einzurückcn. Eine gute strategische Leitung ward bald nach der ersten Ucberraschung sichtbar. Unerwartet kam der Ausbruch des Kriegs, aber man war darauf vorbereitet. Die Truppen siegten; Beweis dafür, daß ich Platz fand, mich nach San Lucia durch dic staub- und pulvcrschwarzcn Colonncn durch zuwinden. Am Mceresstrandc waren keine Jnsurgentcnbürgcr, keine Nationalgarden ; hier wohnen die Fremden, hier herrschen dic Lazzaroni. Aber ein bedenklicher Lärm tönte mir von der Chiaja entgegen. Hundert und einige zerlumpte Barfüßer mit einer Papicrfahne an einer Boh nenstange kamen mir schreiend entgegen. Ulis grickono? fragte ich Ob sie still bleiben wird? Man sagt dic Erneuerung des Kampfes um Mitternacht an. Gestern schon ging durch die Stadt das dumpfe Gerede, es werde hcute bei Eröffnung des Parlamentes zu Unruhen kommen. Dic Nea politaner wollen keine PairSkammcr; sie wollen am wenigsten eine Pairskammcr wie die jetzt vom Könige bekufene. Das ist ein Aus hängeschild, sagt sich Jeder; sic wollen nichts, was vom Könige auS- gcht, sic wollen den König selbst nicht, am wenigsten diesen. In der Nacht schon war cs nicht ruhig. Cavalcriepatrouillen sprengten durch alle Straßen, nur vcrmuthlich nicht durch dic, wo ihre Gegenwart am nöthigstcn gewesen wäre. Heute Morgen wurden wir durch die Nach richt erweckt, cs gibt keine Butter, keine Milch, keine Eier, denn alle Läden sind geschloffen. Weshalb? Weil überall Barricadcn errichtet sind. Von wem? Von der Nationalgarde. Etwas nach 10 Uhr, cs war ein heißer Tag, ging ich aus, um die entstehende Revolution in Augenschein zu nehmen. Alle Cafes und Boutigucn waren durch ihre Läden, der ganze Toledo durch wie man sagt 12 Barricadcn geschlossen. Ich konnte nur dic erste genauer be trachten, welche den Ausgang der langen Kaufstraße nach dem Schlosse zu vcnhcidigcn sollte. Sic war fest und solid von den mächtigen Qua dern dcö Straßenpflastcrs, von umgcstürzten Wagen, Möbeln, d. h. Tischen, Stühlen, alten Planken, Thüren gezimmert. Eine kunstfer tige Hand ließ sich nicht verkennen. Ausgcsprengt ward das Gerücht/ dic Offiziere der französischen im Hafen liegenden Marine hätten dic ganze Nacht durch Unterricht gegeben und selbstthätig dabei geholfen. Ein Nationalgardist, den wir fragten: was wollt Ihr denn eigentlich von eurem Könige? antwortete: „Mein Herr, wir wollen das, was dic Franzosen durchgesetzt haben." Was haben denn die Franzosen gcthan? Er sixirtc uns lächelnd: „Mein Herr, Sic werden das bes ser wissen als ich, und könnten mir darin Unterricht geben, nicht ich Ihnen." Das war naiv und deutlich. Dennoch zweifelte ich an einem wirklichen Ernst; auch noch als ich sah, daß die Steinmetzen kunstge recht mit Hacken und Brechstangen das Pflaster aufrisscn, um dic äußere Wand der schon so starken Barricadc noch zu verdichten. Und das ge schah 20 Schritt vor den aufmarschirtcn MilitairpiquetS! Dic Neapo litaner sind von der Natur bestimmt, Andern nachzuäffen. Auch daß ein strategischer Plan dabei sichtbar ward, enttäuschte mich nicht. Alle engen Quergassen, die zum Toledo führen, waren nach außen hin leicht vcrbarricadirt, aber stark genug, wenn man dic Enge der Straßen und die Höhe der Häuser zu beiden Seiten in Anschlag bringt. So war der eigentliche Kern der Stadt, der nach der Höhe ausläuft, zu einer Festung umgeschaffen, während nur die Plätze um das königliche Schloß und die Uferstraßen frei blieben. Zu einem Bekannten, welcher in der Nähe der Capella vccchia eine Wohnung hat, waren eine Stunde frühcr Offiziere der Nationalgarde cingedrungen und hatten ihn höf lich ersucht, sein Zimmer zu verlassen; dic Civica müsse für den bevor stehenden Kampf hier Posto fassen. Um zu uns zu gelangen, war er schon gcnöthigt gewesen, über zwei Barricadcn zu klettern. Dennoch konnte ich mich nicht überreden, daß es ernstlich gemeint sei, wenn ich dic auf die Barricadc postirtcn Vertheidigcr ins Auge faßte. Elegants, wie bas Cafe di Europa sic mir täglich präscntirt hat, im feinsten schmiegsamen Waffcnrocke, mit blendend weißen Beinkleidern, glatt ge bürsteten Haaren, Glacehandschuhen, in der einen Hand die Muskete, in der andern die Lorgnette,: dic fleißig umher äugelte; fertig schienen sic vom Spiegel zu kommen, zum Morgenbcsuch bei einer Dame, nicht zum blutigen Bürgerkrieg. Auch verlautete, der König habe nachgc- . geben, schon gestern Abend, er gebe stündlich nach, er wolle dic Pairs- kammcr streichen, foderc aber zuerst die Demolirung der Barricadcn. >