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Die 4. Sinfonie schrieb Beethoven im Jahre 1806. Unmittel bar vorher hatte er sich in seinem Schaffen mit der 3. Sinfonie, der „Heroischen“, auseinandergesetzt und außerdem die ersten beiden Sätze der Fünften niedergeschrieben — nun schien es ihm genug zu sein, sich immer in der heldisch-heroischen Empfindungs welt zu bewegen. In ihm bereitete sich ein Stimmungswechsel vor, der sich mit der 4. Sinfonie, dem opus 60 in seinem Schaffen, einer heiteren und anmutigen Welt zuwandte. Die beiden Sinfonien, die diese 4. von Beethoven einrahmen, nämlich die 3. und 5., haben dieses heitere Kind erdrückt. Die Hörer haben bis heute dieses Werk etwas geringschätzig betrachtet; es ist nicht volks tümlich geworden, es hat nicht jenen Anklang gefunden, den die beiden Nachbarwerke errangen. Beethoven selbst schätzte 9ie sehr hoch ein, er nannte sie seine beste Sinfonie. Er meinte damit, daß sie wohl sein klassisches Ideal am meisten erreichte, sie war von einem Ebenmaß sondergleichen, von einer Ausgewogenheit, die keine andere seiner Sinfonien aufwies, von einer reinen Schön heit, dabei überfließend von einer Fülle und einem Reichtum von Geist und obendrein noch mit einem humorvollen Einschlag ge segnet. Beethoven empfand immer etwas bitter, daß gerade dieses Werk nicht erkannt wurde und war geneigt, der Menschheit an klagend vorzuhalten, daß sie sich nicht die Mühe gäbe, sich in dieses Werk hineinzu horchen. Viele Fachmusiker schätzen 9ie als das, was sie ist, als ein vollendet klassisches Werk.RobertSchumann nennt sie die „schlanke griechische Maid zwischen Nordlandriesen“- Kotzebue meint im Gegenteil, sie könne „höchstens seinen wütenden Verehrern* 4 gefallen. Die Einleitung zum ersten Satz ist düster, zwielichtig und geheim nisvoll. Die Heiterkeit und der geistvolle Humor des Kommenden in diesem Werke hebt sich von diesem schwermutsvollen Beginn um so drastischer und gegensätzlicher ab. Das 1. Thema ist fröh lich und von einer beschwingten, regen Lebendigkeit, das zweite dagegen von einer zärtlich elegischen Stimmung. Aber die Fröh lichkeit setzt sich durch, am Schluß betont Beethoven sehr ener gisch und hartnäckig das B-Dur, also die Grundtonart der gesamten Sinfonie. Der zweite Satz (Adagio) enthält eine der schönsten ge sangvollen Themen, die Beethoven je geschrieben hat, er findet aber sofort in einem Seitenthema der Klarinette ein noch schöneres, süßeres Melodienwunder. Menuett und Trio (die zusammen den dritten Satz ausmachen) sind in sich gegensätzlich. Das Menuett hat etwas Pikantes, Überraschendes an sich, während das Trio eine ausgeglichene Buhe atmet. Das Finale, der 4. Satz, der am „Schluß“ (= Finale) stehende Satz ist von einer Ausgelassenheit und Launigkeit sondergleichen. Es ist quecksilbrig und besticht durch seine immerwährende Lebhaftigkeit Viele Einzelheiten und Feinheiten gerade dieses Satzes zeugen von Beethovens geistreichem Humor. Das ganze Werk ist eines der vollkommenen Beispiele, die Beethovens bedeutende und große Meisterschaft beweisen. Es ist schade, daß dieses Werk nicht ganz verstanden wird, weil es Musikalität und fröhliches Verständnis vom Hörer fordert. 111/9/24 2 52 0,3 B 228