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73L war es ausgesprochen, daß der Bürgerschaft die Petition za übersüssen sei, so entfernte sich die größte Menge der anwesenden Bürger, von Einem Zuge getrieben, und begab sich, wie Schreiber Dieses nachmakS erfahren hat, in einen Saal der Limonadiere, wo sie sich zum Zwecke der Berathung über eine zu erlassende Petition unter einem Sprecher constituirte. Nach vielfachen Debatten kam cs zu einem Beschlusse da hin, daß man um eine Repräsentativverfassung bitten wolle, wie sie das Herzogthum Koburg-bereits besitze in dem Sinne, daß mindestens das Maß der bürgerlichen Freiheit gewahrt werden solle wie in jener, wobei die Sicherung der größern Rechte, welche die geschichtliche Ent wickelung der gothaischen Verhältnisse mit sich bringen, Vorbehalten blieb. Jedenfalls wäre es wünschenswerth gewesen, man hätte sich über die Hauptzüge der zu erbittenden Verfassung bestimmter verstän digt» daß dies nicht geschah, liegt theils in unserer Neuheit in parla mentarischen Verhandlungen, theils in dem Drange der Bürger nach einer That. Es wurde beschlossen, die Petition schon vom andern Mit tag an aufliegeb zu lassen. Sie ist sehr kurz, weil man der Meinung ist, daß in Fällen, wo man ein gutes Recht zu beanspruchen hat, die Gründe in der That ganz entbehrlich erscheinen. Auf den ferner» Beschluß der Bürger, sich am 5. März im Schieß- hauSloeale zu versammeln, theils um über den Inhalt der koburger Verfassung näher unterrichtet zu werden, theils um sich über das Wei tere zu berathen, fanden sich gestern mehr als 600 Bürger bei dieser Versammlung ein. Es herrschte überall die größte Ordnung und Ruhe. Die koburger Verfassung wurde, ohne eine Debatte darüber zu ge statten, in ihren Haupttheilen vorgetragen. Die Beschlüsse, welche aus der Versammlung hervorgingcn, waren folgende: Dem Vorsitzenden der Stadtverordneten bleibt cs überlassen, eine Anzahl von mindestens sechs würdigen Bürgern auszuwählen, welche die Petition beim Lan desherr» sofort nach seiner Rückkehr überreichen; hie Deputation soll sich eine bestimmte Antwort des Landesherr» über seine Gewährung crtheilen lassen; die Deputation soll die Bürger von Tag und Stunde der Erfüllung ihres Auftrags vorher unterrichten, damit dieselben so fort ihren freudigen Dank aussprechen können; die Deputation soll un ter Hinweisung auf den neuesten Erlaß des Deutschen Bundes alsbald darum bitten, daß sofort diese wichtigste Landesangelegenhcit censurfrci besprochen werden dürfe, und daß die Protokolle dir Verhandlungen über das zu erlassende Vcrfassungsgcsetz vollständig veröffentlicht wer den. Unsere Ansicht ist, daß Gotha in diesen drei Tagen weiter ge kommen ist als sonst in zehn Jahren. Wir sind über den Zustand des politischen „Leidens" hinausgehobcn und in das politische „Handeln" übergetreten. Fortan wird es auch in Gotha nicht mehr möglich sein, ein absolutes Regiment zu führen. Wer wollte sich auch darüber verwun dern gegenüber der Gewalt der Zeit, welche jetzt in Stunden mehr voll bringt als sonst in Menschenaltern. Man muß sich vielmehr wundern daß man nicht viel weiter gegangen ist, daß man nicht deutsches Par lament, Volksbewaffnung, Preßfreiheit re. für Deutschland mit erbeten hat, da wir doch jetzt vorzugsweise auf deutschem Boden stehen. Indessen mag cs sein Gutes haben, daß man sein Pensum vorerst nicht zu weit, und, erst mit dem Wachsen der Kräfte weiter und weiter fasse. Alles Das wird und muß uns kleinen Staaten, politisch fortgestoßen und Mit hingerissen von den größern, ohnehin schon kommen. Auch die Ver fassung wäre so gekommen, da ein aufgeklärter Fürst wie unser Herzog die Unvermeidlichkeit eines solchen Schrittes nothwendig erkennen muß, wie er denn auch nach einer aus dem Staatsministcrium hervorgegangencn halbofficiellen Erklärung schon in England und noch vor den neuesten Zeitereignissen nach Rücksprache mit seinem fürstlichen Bruder zu dem festen Entschlusse gekommen war, die Ernennung einer Commission zur Ausarbeitung eines Verfassungscntwurfs nach seiner Rückkehr seine erste Regierungshandlung sein zu lassen. Nichtsdestoweniger war es ganz in der Natur der Dinge begründet, daß die Bürger ihren Willen und ihre Gesinnung in der kräftigsten Weise manifestirten. Möge der Her zog, wenn cs sich um die Wahl einer Commission handelt, zu derselben Männer wählen, welche neben der Einsicht sich auch im Besitz des Ver trauens des Volkes befinden. Die Bürger werden nicht müßig sein; ihr Wahlspruch wird sein: „Treu und fest." Auch die Stautsdicner haben zu unserer großen Frcpde thcilwcise das Schweigen gebrochen, die Mitglieder des Regierungscollcgiums haben die Petition unterzeichnet. Aus zuverlässiger Quelle wird uns mitgctheilt, daß auch im Bauern stände, in der Mehrzahl der Aemter, Petitionen in ähnlichem Sinne schon längst vorbereitet sind und bei der Rückkehr des Herzogs eben falls von einer Deputation überreicht werden sollen. * Stltllleld, 6. März. Die Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie die Domaincnfragc entschieden worden, und mit der Erhöhung der Gewerbesteuer hat auch hier eine Bürgerversammlung hcrvorgc- rufen, welche gestern ein Comite zu Entwerfung ciner Eingabe erwählte, worin Folgendes verlangt werden soll: 1) Ucbcrweisung der Domaincn an das Land; 2) Wahlreform; 3) Auflösung der Landstände; -1) Preß freiheit; 5) Bürgerbewaffnung; 8) deutsches Parlament; 7) freies Ver sammlungsrecht. iVlkSdaden, 5. Märzi Heute ist nachstehende Entschließung Un sers Herzogs erschienen: Getreue Nassauer! Gestern Nachmittag von einer achttägigen Reisr zurückgekehrt, habe ich die außerordentliche Lage des Landes erfahren. Ihr habt von mir gefodert: 1) allgemeine Volksbewaffnung mit freier Wahl seiner Anführer, namentlich sofortige Abgabe von 2VVV Flin, ten und Munition an die Stadtbchörde von Wiesbaden; 2t unbedingte Preßfreiheit; 3) sofortige Einberufung eines deutschen Parlaments; 4) so fortige Vereidigung des Militair« auf die Verfassung; 5) Recht der freien Vereinigung; 6) Oeffentlichkeit, öffentliches und mündliches Verfahren mit Schwurgerichten; 7) Erklärung der Domainen zum Staatseigenthum unter Controlc der Verwaltung durch die Stände; 8) sofortige Einberufung der II. Kammer lediglich zur Entwerfung eines neuen Wahlgesetzes, welches auf dem Hauptgrundsatze beruht, daß die Wählbarkeit nicht an einen ge wissen Vermögensbesitz gebunden ist; 9) Beseitigung aller Beengungen der uns verfassungsmäßig zustehendcn Religionsfreiheit. Diese Foderungen, deren Gewährung euch mein Minister versprochen und meine Mutter und mein Bruder mit ihrem Namen verbürgt haben, genehmige ich und werde ich halten. Habt Vertrauen auf mich, wie ich Vertrauen habe auf eure Treue und Muth, wenn das Vaterland bedroht ist und eurer bedürfen sollte. Die erste dieser Foderungen, die Volksbewaffnung, hat sich bereits gestern bewährt durch die muthige und treue Haltung der Bürgergarde von Wiesbaden, und ich rechne darauf, daß sie auch überall im Lande mit Ordnung in Ausführung gebracht wird. Getreue Nassauer! Jetzt gilt es, Ordnung und Ruhe aufrecht zu erhalten; dies ist um so nothwendiger in einer selbständigen freien Gemeindevcrfassung, die ich euch gern geben werde. Nassauer! Wie ich mich auf euch verlasse, so verlaßt euch fest auf euern Herzog. ^Wiesbaden, 6. März. Der Herzog hat die Versammlung der Landstände heute mit nachstehender Rede vom Thron eröffnet: Meine Herren und lieben Stände! Ich bin gekommen, diese Versamm lung selbst zu eröffnen, und gebe Ihnen den Beweis, daß ich mich offen und streng an den Gang der Bestimmungen halte, welche gestern durch meine Proklamation dem Lande verkündet worden sind. Ihre gegenwärti gen Sitzungen haben nur das versprochene neue Wahlgesetz zum Gegen stände. Ich empfehle diese wichtige Angelegenheit Ihrer sorgfältigen Er wägung. Auf Ihre Einsicht und Treue muß ich mich in diesen schwieri gen Zeitverhältnissen mehr als je verlassen können; ich verlasse mich dar auf. Ihre Sitzungen werden öffentlich sein. Meine Herren und lieben Stände! Ich hoffe und vertraue zu Gott, daß die neuen Institutionen un serm Land und dem ganzen deutschen Vaterlande Segen bringen werden. Homburg v. d. H>, 7. März. Gestern schon ertheilte der re gierende Landgräf auf die bereits mitgetheilte Petition (Nr. 69) eine willfährige Resolution, und heute lesen wir in unserm Amtsblatte bereits die Verordnungen, betreffend: ein Gesetz über Preß freiheit, Amnestie für politische Vergehen, die Aufhebung der privile- girtcn Gerichtsstände, Vas Petitionsrecht und die Regulirung der pri- vatrcchtlichen Verhältnisse der Israeliten im Amte Homburg. (Fr.J.) (Fortsetzung der politischen Nachrichten in der Beilage.) Handel und Jndnstrte. Börsenbericht. * Leipzig, 9. März. Leipzig-Dresdner Eiscnbahn- actien 192 Br., 100 bezahlt; Sächsifch-Baicrsche 83 Br.; Sächsisch-Schle sische 78 Br., 70 G.; Chemnitz-Riesaer 30'/, Br., 29'/- G.; Löbau-Zit tauer 29'/, Br.; Magdeburg-Leipziger 210Br.; Berlin-Anhaltische l-itt. -1. 98Br.; Köln-Mindener 73'/, etwas bezahlt; Altona-Kieler 93 Br.; An- Halt-Deffauische LandeS-Bankactien 96 Br.; Preußische Bankantheile 87 Br. Staatspapiere. Wien, 6. März. Bkact. 1130; Met. 5pc. 81'/-; 4pc. 71; 3pc. 55; 500 Fl. L. 137; 250Fl.L.95. «ketten. Wien, 6. März. Nordb. 85'/-; Glogg.80; Mail. 61; Li- vorn. 5t; Pesth. 59. Berliner Börse, 8. März. Preuß. Fonds- u. Gcldsorten: Stsschsch. 3'/,pc. 84'/-, Sechdl. Prämsch. 88, Pfandbr. westpr. 3'/-pc. 83, pofen. 4pc. 96, neue 3'/-pc. 82, pomm. 3'/-pc. 86, kur- und ncum. 3'/-pc. 86, Preuß. Bankanth. 85, Friedrichsdor 114"/,, Louisdor 113'/-, Disconto 4 Proc. — Eisenbahn - Actien. Voll cingezahltc: Berl.-Anhalt ä.u.8. 97 Br., Berl.-Hamb. 4pc. 70, Prior. 4'/,pc. 85, Bcrl.-Potsd.-Magd. Prior. - Act. ä. u. 8. 5pc.88"/, Br., Berl.-Stett. 89, Cöln-Mind. 4pc. 73'/-, Niedcrschlcf. 4pc. 65 Br., Prior. Serie Ul. 5pc. 89'/ Br., Obcrschl. lütt. 3'/-pc. 90Br., Litt. 8. 3'/-pc. 82 Br., Rhein. 55, Pr. St. 4pc. 60 Br., Lhü- ring.4pc.58Br., Prior.3'/-pc.84'/-. — Quittungsbogcn: Berg.-Märk. 4pc.49, Bcrl.-Anhaltlütt.8. 4pc. 90Br., Magd.-Wittenb. 4pc. 47, Rordb. (Fr.W.) 4pc. 40'/-, Poscn-Starg. 4pc. 60. - Ausländische Fonds: Russ. - Engl. Anl. 5pc. 98, Pol» Schatzobl. 4pc. 70'/, Br., Pol». Pfandbr. (neue) 4pc. 85'/,, Part, ä 500Fl. 4pc. 70 Br., Pol. Bank-C. lütt. ä. 300Fl. 5pc. 85 Br., Staats-Prior. Anl. 76Br. Verantwortliche Redaction: Professor Büla«. Druck und Verlag von F. Tk. Brockhaus in Leipzig»