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„Symbol völligen Alleinseins und des über der Welt Stehens“. So bildet diese Sechste unter Mahlers zehn Sinfonien mit der fünften und sieben ten jenen Kolossalblock monumentaler Werke, in denen ihr Schöpfer den zuweilen verzweifelten, verbissenen Kampf mit allen Dämonen der realen Welt, mit den Fein den der zeit- und raumbedingten Daseins- Umwelt ausfidit. Aber während Fünfte und Siebente dieses Ringen in einem strahlenden, kraft- und siegbewußten „Ausmarsch“ zu freudiger Lebensbereit schaft ausklingen lassen („Durdi Kampf zum Sieg“) endet — wie schon erwähnt — diese Sechste in lichtloser dumpfer Ver zweiflung („Durch Kampf zum Unter gang“). Eis gibt kaum ein zweites Werk in der Besamten Musikliteratur, das so schwer zu deuten ist wie diese Sinfonie. (Deswegen wagen sich auch nur wenige Dirigenten an sie heran.) Ihr Weg ist nicht — wie bei den anderen sinfonischen Werken Mahlers — von Moll nach Dur, sondern von Dur nach Moll. Als Motto kann die unmittel bare Aufeinanderfolge des Dur- und Moll dreiklanges verbunden mit einem Decres cendo (wie sie diesem Aufsatz vorangestellt ist), gelten. Die Sinfonie selbst besteht aus zwei großen Teilen: dem Allegro, Andante und Scherzo zusammengenommen und dem in ganz kolossalen Maßen angelegten Finale mit seiner Riesen-Instrumentation. Im ersten Satz (dem Allegro) löst sich eine fast pantheistisdie Schwärmerei aus mit stellenweise religiösen, auch menschlich tragischen Einschlägen. Es tönt und braust darin etwas von der Leidenschaftlichkeit und Rücksichtslosigkeit ungezügelter Tem peramente und Elemente. Im Marsch rhythmus, in Choralform, in Varianten und verkürzten Formen werden die ein zelnen Motive gegeneinander ausgespielt. Diesem Satz gegenüber, der sich ziemlidi streng an die architektonische Art der klassischen Sinfonie (Exposition, Reprise usw.) hält, haben das Andante und das Scherzo mehr episodischen Intermezzo- Charakter. Jenes, in verträumt-ironischer Schönheit, gehört noch ganz zum Empfin dungskomplex des ersten Abschnittes. Das Scherzo hingegen hat in seiner Raffinesse und Fantastik unbedingt seine Eigen bedeutung. Der soziale Unterton (ver wandt der harten Welt Ridiard Wagners, in der Alberich seine Peitsche schwingt) ist gar nicht zu überhören. „Der durch eine Uhrfeder in Bewegung gesetzte moderne Maschinenmensch“, der mit der „altväter lichen“ Gruppe (Ländler) in bestimmten Gegensatz gebracht wird, ist hier aufge zogen. In dem großen Finalsatz, der sich mit seiner Rieseninstrumentation besonders in Bläserwirkungen sonnt, soll sich alles, was die Sinfonie hervorrief, zusammenfassen. Hier tritt audi der Hammer („wuchtig, mit roher Kraft“ — schreibt Mahler) in das Tongewoge. Er spricht dreimal die Wucht des Schicksals aus. Unerhörte Ton-Explo sionen mit dem Blech als Hauptträger der melodischen Linie lösen sich aus. Dabei sind die Themen klar und faßlich, die großartigen Durchführungen trotz aller Gravität durchsichtig aufgebaut, das Ueberlebensgrofie der gegensätzlichen Stimmungen gar nicht mißzuverstehen. Aber wie fast in jedem Mahlerschen Schluß satz, ist auch liier die Macht des Ge dankens, der Flug der Seele stärker als der Auioau. Das Fließende ist nicht über wunden. Und es tropft der verhallende Schluß nach dem letzten Aufschrei (der A-Moll-Dreiklang) des ganzen Orchesters unter pizzikierten Streichern und leisem Trommelschlag ab. Die Tragik des Helden hüllt uns ein. Fern winkt das „Lied von der t.rde“. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6 »Die Tragische« in A-Moll l.Satj: Allegro energico, ma non troppo 2. Satj: Andante moderato 3.Satj: Scherzo (wuchtig), Trio-grazioso 4. Satj: Finale. Sostenuto, mareato, allegro energico Die Sinfonie wird ohne Pause gespielt.