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diese Ursprünglichkeit: er will „der sub jektiven, emotionellen Musik (die ihm bei Wagner künstlich erscheint) eine objektive entgegensetzen“; d. h. alles im älteren Sinne Lyrische (Emotionelle) soll hier nicht leben, alles Optische als bewegende Kraft soll als Bestandteil seiner Musik völlig ausgeschaltet sein. Sein Ziel ist absolute Musik. Das Ding an sich, der reine Kon trapunkt, wird gesucht. Mit Strawinskys Worten: „Diese Musik ist trocken, kalt, durchsichtig und brennend wie Cham pagner extra dry“ — Nun mag ja .^absolute Musik“ ein Schlagwort geworden sein. Aber was die Zeit fordert, findet in Strawinsky seine persönlichste, diarakteristischste, zwingend ste Prägung — eben weil keiner, wie er, die köroerlichen und geistigen Vorbeding ungen dafür in sich trägt. In diesem letz ten Sinne ist diese Musik dodi nicht abso lut — weil an einen Ausnahmemenschen gebunden. Die gewaltige motorische Kraft Strawinskys reißt die einen empor, wäh rend sie die anderen zurückstöfit. Man kann es den Mensdien förmlich von den Ge sichtern äblesen, wie sie auf diese Musik reagieren. Sie stößt, reißt, zerrt, sie rüttelt auf — so oder so. Es ist Sache der Kon stitution und der Empfindung. (Selbstver ständlich nur für die Ehrlichen — nicht für die Neinsager aus Parteigeist.) * Sehr interessant ist es, im Zusammen hang mit Tschaikowsky einen modernen Russen von der starken Eigenprägung eines Igor Strawinsky hören zu können. — Zwi schen der E-Moll-Sinfonie des „Großen Peter“ und dem „Feueroogel“ Strawinskys liegen nur etwa 20 Jahre. Die unerhörte Steigerung der Mittel, die Ausnützung und Häufung aller Klangmöglichkeiten eines raffiniert aufgebauten Orchesters, die oft bis zum Nihilismus ausartende Steigerung des Harmonischen lassen musikgeschicht- liche Epochen von Jahrhunderten zwischen der Entstehung beider Werke vermuten. Und doch bleiben auch hier bei Strawinsky Rasse und Nationalität noch immer ton angebend für die Grund Stimmung des Werkes. Der „Feuervogel“ entstand in un mittelbarer Folge des „Petruschka“, die wir vor einigen Jahren als Ballett-Suite im Opernhaus erlebten. Strawinsky ist hier noch nicht der Heutige, Losgelöste. Unver hohlen schweift er — wie schon oben an- gedeutet — hier noch in die holdseligsten Gefilde absoluter Romantik und unver waschener Tonalität. Die monströse Parti tur mit ihren Klangcharakteristiken und rhythmischen Kuriositäten hat bei aller blendenden artistischen Faktur beträcht liche innere Werte. Heute macht sich der Komponist aller dings lustig über so viel damaligen Ge fühlsaufwand und ehrliches Bekenntnis zum Einfall. Er meint (als ganz moderner Strawinsky), es sei ein durdi die Brille Riinsky Korsakoffs gesehener — Wagner. Die vom Kaschej gefangenen, schließlich vom Zarewitsch erlösten Prinzessinnen, die mit den goldenen Früchten spielen, sehen allerdings den Blumenmäddien Klingfors harmonisch ähnlich. Und wenn es brennt, wird es Feuerzauber, wo es aber donnert, donnert es bereits auf die spätere Stra winsky-Art. Trotzdem — mit diesem „Feuervogel“ ist schon vor über zwei Jahr- zeanten einer der Kulminationspunkte des Strawinskysdien Schaffens erreicht worden. Das Szenarium des „Feuervogel“ ent stammt einer altrussischen Fabel. Dieser buntgefiederte Märchentitelheld hilft einem russischen Prinzen im Kampfe gegen Ele mentargeister solange, bis er sich seine Prinzessin Tausendschön errungen hat. Das Werk ist bereits 1910 als Ballett ge schrieben und zwar für die berühmte Djaghileff-Truppe. Pantscho Wladigeroff und sein neues (zweites) Klavierkonzert Zwar kein Russe, aber doch Slawe, ein Bulgare mit starkdeutscher Einstellung, ist Wladigeroff einer von den jungen Kom ponisten und Künstlern, der aufhordien läßt. Am 13. März 1899 in Zürich als Sohn eines bulgarischen Staatsrates geboren, studierte er an der Musikschule in Sofia, wo er das bulgarische Staatsstipendium für Berlin erhielt. Als Sdiüler der Pro fessoren Gernsheim, Juon, Georg Schu mann und Leonid Kreutzer erhielt er zwei mal den Mendelssohn-Preis (für sein erstes Klavierkonzert opus 6 und für seine drei Orchester-Impressionen „Sehnen, Leiden schaft, Ueberraschung“ opus 9). In die große Oeffenilidikeit trat er zum ersten Male in Berlin mit seinem von Prof. Have- rnann gespielten Violinkonzert (opus 11). Es wurde damals nicht ohne Widerspruch aufgenommen, aber es zeigte dodi unleug bar viel Talent. Sein vorletztes Werk ist eine „Bulgarische Suite“ für großes Or chester, die beweist, daß er den Imstrumen- talkörper zu behandeln und zu kolorieren versteht. Wladigeroff ist Bulgare. Die der seinen verwandte Sprache der Russen liegt ihm auch musikalisch nicht fern. Er kommt von Riinsky Korsakoff und Tschaikowsky her. Die farbenfrohe Behandlung des Or- diesters hat er, ebenso wie die Gabe, plastische Melodien voller Phantasie auf steigen zu lassen, von ihnen. Hie und da erinnern Episoden auch daran, daß sein