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Aktivität erfüllt. Nach wenigen Takten überläßt es dem Hauptthema des ersten Satzes das Geschehen, das, nach Dur gewendet, den heroischen Charakter des Satzes bestimmt. Die Sinfonie wird mit dem ,,Schicksalsmotiv“ lebensbejahend zu Ende geführt. Franz Schubert: Sinfonie Nr. 4, c-Moll Die ersten sechs Sinfonien Schuberts, die in den Jahren 1813 bis 1817/18 entstanden, gleichen Präludien zu seinen beiden letzten Sinfonien, der Siebenten in C-Dur (1828) und der Achten, ,,Unvollendeten“ in h-Moll (1822). Während der junge Komponist die geistige Auseinandersetzung mit seinem großen Zeitgenossen Beethoven in den drei ersten Sinfonien noch vermied, führt er sie in der vierten entschlossen durch. ,»Tragische Sinfonie“ ist die zusätzliche Bezeichnung dieses Werkes, dem offensichtlich Beethovens fünfte Sinfonie als Vorbild diente. Ein bedeutender Kritiker des 19. Jahrhunderts, Eduard Hanslick, hat mit Recht gesagt, daß Schuberts vierte Sinfonie nicht die „Tragische“, sondern besser die ,,Pathetische“ heißen sollte. Das Pathetische kann aber — nach der Erkenntnis Schillers — ästhetisch nur dann befriedigen, wenn es erhaben und wahrhaft groß ist. Diese Eigenschaft fehlt Schuberts Sinfonie jedoch. „Was der Sinfoniker Schubert in Moll zu sagen hat“, schreibt W. Vetter in seinem „Klassiker Schubert“, „das sagt er in der h-Moll-Sinfonie, der ,Unvollendeten*. Diese ist die eigentliche innerlich vollendete Moll-Schöpfung. Die c-Moll-Sinfonie, die ,Tragische*, fix und fertig in vier Sätzen prangend, ist unleugbar vollendet im äußeren Sinne, erreicht aber an innerer Vollendung die jüngere Schwester nicht.** Trotzdem hat das Werk viel Anziehendes, namentlich dort, wo der Komponist die gewollt pathetisch-tragische Ebene verläßt und eigene Töne anschlägt. Eine verheißungsvolle langsame Einleitung eröffnet den ersten Satz (Allegro vivace). Dessen erster Teil, die Exposition, bringt bereits durchführungsartige Teile, während die Durchführung selbst verhältnismäßig knapp ist und auf tragische Konflikte verzichtet. In der strahlenden C-Dur-Coda wird die tragische Ebene vollends verlassen. — In den beiden Mittelsätzen, einem innigen, melodischen Andante in As-Dur und einem in Melodik und Harmonik ebenfalls echt Schubertischen Menuett in Es-Dur kommen nur vorübergehend tragische Stimmungen auf. — Das Finale kehrt zunächst zum c-Moll zurück. Düster steigen Violon celli und Fagotte aus der Tiefe herauf und beschwören wie eine Vision den Beginn des dritten Satzes von Beethovens fünfter Sinfonie: Aber schon nach wenigen Takten wird die düstere Anfangsstimmung in den Hintergrund gedrängt. In der Durchführung löst sich der Komponist mehr und mehr vom Moll-Ge schlecht und läßt Reprise und Coda in reinem C-Dur ausklingen. Der Titel „Tragische Sinfonie“ verspricht demnach weit mehr als die Musik hält. Schubert weicht dem Problem, das er sich gestellt hat, offensichtlich aus. Das Werk entstand im Frühjahr 1816, als der Komponist neunzehn Jahre alt war. Die Vermutung liegt nahe, daß er einer Auseinandersetzung mit dem Sinfoniker Beethoven noch nicht gewachsen war. Wendet sich Schubert doch wenige Monate später mit seiner fünften Sinfonie spontan Mozart zu. Erst seine beiden letzten Sinfonien bedeuten eine selbständige Nachfolge Beethovens, den Schubert nur um ein Jahr überlebte. Richard Strauss: „Don Juan“ - Tondichtung nach Nikolaus Lenau für großes Orchester Don Juan: Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten, Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten Möcht’ ich durchziehn im Sturme des Genusses, Am Mund der letzten sterben eines Kusses. O Freund, durch alle Räume möcht’ ich fliegen, Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede Und, wär’s auch nur für Augenblicke, siegen. Ich fliehe Überdruß und Lustermattung, Erhalte frisch im Dienste mich des Schönen, Die einzelne kränkend schwärm’ ich für die Gattung. Der Odem einer Frau, heut’ Frühlingsduft, Drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft. Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandre Im weiten Kreis der schönen Frauen, Ist meine Lieb’ an jeder eine andre; Nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen. Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue; Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen, Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen, Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue. Wie jede Schönheit einzig in der Welt, So ist es auch die Lieb’, der sie gefällt. Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, So lang der Jugend Feuerpulse fliegen! Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben, Er hat vertobt und Stille ist geblieben. Scheintot ist alles Wünschen, alles Hoffen; Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet, Hat tödlich meine Liebeskraft getroffen, Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet; Vielleicht auch nicht; — der Brennstoff ist verzehrt, Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd. Diese Abschnitte aus Lenaus Dichtung „Don Juan“ stellte Strauss seiner Partitur voran. Die Verse können jedoch nur mit Einschränkung als Programm des Werkes gelten; denn nicht Einzelheiten der Dichtung komponierte Strauss — wie er es später mit dem „Don Quichote“ von Cervantes tat — sondern vielmehr Stimmungen, in die ihn die Worte des Dichters versetzten. Und der Komponist stellte die Worte wohl nur deshalb seinem Werk voran, um dem Hörer das „Bild“ zu zeigen, das ihn selbst begeisterte und das seine jugend liche Fantasie entzündete. Daher bat Strauss auch ausdrücklich „ja keine thematische Analyse“, sondern „nur die der ersten Partiturseite vorangestellten Lenauschen Verse mit allen Gedankenstrichen** ins Programmheft der Berliner Philharmoniker zu bringen. Mit der sinfonischen Fantasie „Aus Italien“ hatte Strauss als Zweiundzwanzigjähriger die Reihe seiner sinfonischen Dichtungen eröffnet (bis zum Jahre 1898 widmete er sich diesem Genre mit großer Intensität). „Don Juan**, zwei Jahre später entstanden, wurde das erste geniale Meisterwerk dieser Gattung und zugleich ein Höhepunkt in Strauss’ gesamtem Schaffen.