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Freitag —— Nr. 225. 13. August 1847. VW Deutsch« Allgemein« Zeitung. SM «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Neb-rbli». Deutschland. ^"Leipzig. DaS Besterhungssystem bei den englischen Wah len. »Augsburg. Eine barmherzige Schwester. »Aus dem Gross- herzogthum Baden. Frhr. v. Türkheim. — Prinz Friedrich von Au gustenburg. VreuHen. »Berlin. Correspondenzwesen. Zur Abwehr. — Hr. Dulk. Defkerreich. Baron Kübeck. Spanien. Darlegung des Finanzministerß. Aufhebung aller Binnenzoll stätten. Grotzbritannien. Die Wahlen. Italien. Beerdigung O'Connell'S. Zah lungseinstellung. Elektro - Telegraphie. Keankeeich. Pairskammer. Die Jesuiten. Graf Duchatel. Hr. de La martine. Hr. Delestre. Weigien. Fälschungsproceß. Stiederlanbe. Die Budgetberathungen bei den Gcneralstaaten. Schweiz. Bern. CommissionSantrag. Hr. v. SaliS-Soglio. Freiburger Patrouillen. Italien. Erlaß in Toscana, »kom. Adresse. Rom- Reglement der Bürgergarde. Pallavicini. — Ermäßigung des Salzpreises. Palermo. Polizei. Flotten. Mutzland und Polen. Feuer in Archangel. Griechenland. * Patras. Wahlprotcst. Athen. Der Bischof von Akar- nanien. Die Differenz mit der Pforte. GrivaS. Ionische Inseln. Die englischen Umtriebe. Luvtet. Konstantinopel. Russische Gefangene. Wissenschaft und Kunst. * Aus der bairischen Pfalz. Adam Mül ler. — Berlagsverbot in Oesterreich. — Hr. L. Eyma. Handel und Andutlrie. »Leipzig. Börsenbericht. Görlitz. Eisen bahn. — Schwefeläther. — Berlin. Mnkundigungen. Deutschland. «FEeipstg, II. Aug. Der moralische Eindruck, welchen die jüngst statt gefundenen Verhandlungen vor dem Gerichtshöfe der Pairs in Frankreich hervorgerufen haben, macht sich auch außerhalb der Grenzen dieses Lan des geltend und hat vornehmlich das Schamgefühl der Engländer er regt, welche sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal ihrer wellkundigcn Wahlcorruption erinnern. Zwar scheint dieses schmachvolle Verhält- niß noch keineswegs allgemein empfunden zu werden, denn nichts kann naiver sein, als eine kürzlich beim Parlament angebrachte Petition von Sudbury, worin die Petenten, welchen zufolge der neuern Gesetzgebung ihr Wahlrecht entzogen worden ist, um Wiederherstellung ihrer Privi legien mit der ausdrücklichen Anführung nachsuchen, daß sie hierdurch ein Einkommen von einigen Tausend Pfund Sterling verloren hätten. Be sonders merkwürdig ist der Schluß durch einen muthmaßlichcn Schreib fchlcr. Es heißt: „Elinnern Sie sich geneigt der Wähler von Sudbury, und ihre Petenten werden auch immer pro>" (rauben, pru^ beten). Ebenso haben die Resolutionen Lord Brougham'S gegen Wahlbestcchung im Obcrhause wenig Anklang gefunden. Dagegen unternimmt es die Presse, der Lage der Dinge einen mildern Anstrich zu geben, und be hauptet, daß während in Frankreich die Bestechung in den untern Schich ten der Bevölkerung beginne und heraufsteigend in die Hähern Klassen der Gesellschaft mit fortgcführt werde, sie in England den ursprünglichen Bo den nicht verlasse. Sei cs auch eine nicht abzuläugnende Thaisache, daß der Candidat die Stimmen seiner Wähler erkaufe, so sei doch die Be hauptung: daß, wer kauft, auch wieder zu verkaufen bereit sein werde, auf England unanwendbar. Der englische Staatsmann erhandle zwar seine Stelle, aber er verschlechtere dadurch nicht seinen Charakter, und verwalte sie als ein Ehrenmann. Welcher Unterschied bestehe nicht darin, ob ein Parlamentsglicd die dürftigen Wählet? eines kleinen Fleckens mit baarem Gcld abfinde, oder sich gegen den reichen Bewohner großer Städte anheischig mache, im Interesse desselben zu stimmen und ihm Parlicular- vortheile zu sichern, die mit dem allgemeinen Wohle nichts zu schaffen haben, oder diesem gerade entgegcnstchcn? Sobald wichtige politische Fragen das Land aufregten, große, ein flußreiche Angelegenheiten Vorlagen, eine nolhwendige Umgestaltung der Berfassung, der Handels-, Gcwerbs- und Slcucrvcrhältnissc durchzufüh- ren sei, bei Collisionen in der äußern Politik die Erhaltung der Ehre und Sicherheit des Landes aus dem Spiele stehe, dann werde der Wähler niemals kleinlichen Rücksichten auf Geldgewinn Raum geben, sondern nur seine Uebcrzcugung, sein Gewissen zu Rathe ziehen; befinde sich aber das Land in einem ruhigen, geregelten Zustande, schreite die Verwal tung in der cingeschlagenen Richtung gleichmäßig fort, so habe auch der Wähler ein geringeres Interesse, sich um die Ansichten und die politische Gesinnung Dessen zu bekümmern, dem er sein Mandat anvcrtraue, und cs sei ihm solchenfalls gleichsam nicht zu verargen, wenn er die Vor rechte, die er besitzt, möglichst nutzbar für sich zu machen suche. Darauf ungefähr laufen alle diese versuchten Dcfensionen hinaus, doch muß Referent bekennen, sich dadurch wenig befriedigt zu fin den. ES ist damit eine schlechte Sache schlecht verlheidigt worden. ES steht schon übel um ein Land, wenn Handlungen, welche durch das Gesetz verpönt sind und streng verpönt werden müssen, in hergebrachter Sitte eine Schuhwehr finden. Die Gesetzgebung eines Landes soll der Aus druck der allgemein vorherrschenden RcchtSbegriffe, des lebendigen Be wußtseins der Sittlichkeit sein. Die angedrohtcn Strafen können sich nur gegen den einzelnen Ucbertrctcr richten. Wenn aber ein ganzes Volk, wenn selbst Diejenigen, welche an der Spitze desselben stehen, ihnen gera dezu Hohn sprechen und selbst dann, wenn sie die Strenge der Gesetze in einzelnen cclatanten Fällen zur Anwendung bringen, cs nur mit der festen Ueberzeugung thun, daß hier blos dem Buchstaben der bestehenden Vorschrift ein Opfer falle, im Wesentlichen aber dadurch nichts geändert, und die Corruption nach wie vor ihren allen Gang gehen werde, so deu tet dies immer einen tiefen Verfall an, der nicht ohne nachtheiligen Ein fluß auf Charakter und Moralität sowie zuletzt auf die Leitung der öf fentlichen Angelegenheiten und den Bestand des Staats selbst bleiben kann. Es ist übrigens eine schwierige Sache, sich auf einer Stelle mit Unrecht zu besudeln, in derHoffnung, sich ferner davon frei zu halten. Die Eng länder glauben, daß, wie man etwas Unsauberes mit Handschuhen be rühre, und diese dann wcgwerfe, man bei moralischem Unrecht auf ähn liche Art die Hände rein erhalten könne. Das Böse aber ist ein ätzen der Saft, der Alles durchdringt und sich in das Innere des Menschen einfrißt. Die Bestechung ist ihrer moralischen Würdigung nach freilich dieselbe, sie möge in Geld oder unerlaubten Zusicherungen bestehen; doch fallen lchtcre mchr dem inner» Richter anheim, während erstere der Hei ligkeit des Staatsgcsetzes spotten. Eben so wenig kann der Wähler die Wichtigkeit und den Umfang des Mandats beurtheilen, das er fremden Händen durch seine Stimme überträgt, da unversehens Angelegenheiten der höchsten Wichtigkeit cintreten können, ohne daß eine neue Wahl statk- sindet. Man möge solche Verhältnisse in England nicht so leicht neh men und fleißiger vor der eignen Thüre kehren, bevor man sich so selbst- genügsam mit Andern vergleicht. * Augsburg, 7. Aug. Vor einigen Tagen war von einer gewis sen Seite her der Versuch gemacht worden, eine barmherzige Schwe ster, welche bereits in München wegen ihrer Proselytenmachcrci aus ei ner Krankenanstalt entlassen worden, in weltlicher Tracht in da§ hiesige städtische Krankenhaus einzuschmuggcln. Bereits war sie auch schon als Wärterin ausgenommen und hatte ihre Wirksamkeit begonnen, als die schlau angelegte List entdeckt und die Verdächtige wieder entfernt wurde *Aus öem Grossherzogthum Ea-en, 7. Aug. In dem so eben verstorbenen ehemaligen Staatsministcr v. Türkheim (Nr.221) hat das Vaterland einen wahrhaft edeln und geistvollen Mann verloren, der seine geistige Kraft und den Adel seiner Gesinnung auch noch in den letzten Jahren seines Lebens sowol in unserer 1. Kammer, deren Mitglie er auf den letzten Landtagen war, als durch eins der bedeutendsten Werke bewährt hat, welche auf dem Gebiete der politischen Literatur erschienen sind. Wir meinen seine „Betrachtungen auf dem Gebiete der Verfas- sungs- und Staatcnpolilik" (Karlsruhe und Freiburg, 2 Bde., 1842—45). Hier spricht sich, auf Studium, Geist, eine reiche Erfahrung und einen, nicht oberflächlich schimmernden, nicht phrasenhaften, sondern gehaltreichen Freisinn gestützt, der echte, tiefe politische Geist, in das Wesen der Zustände, der Richtungen und der Institute cindringcnd, aus und macht das Werk zu einer reichen Werkstätte wahrhafter politischer Belehrung und Bil dung, wie es wenige gibt. Der Verfasser handelt im ersten Band: über den Charakter der Zeit im Allgemeinen, über die geschichtlichen Grund lagen der Staatsverfassungcn, über Nationalität, über VolkSsouverainetät und Legitimität, über das demokratische Princip und die Republik, über das aristokratische Princip, über die Monarchie im Allgemeinen, über die beschränkte Monarchie und das Rcpräsentativsystcm, über die Volksver tretung in der Monarchie, über den Erbadel, über das System der Stände- glicderung. Der zweite Band führt in die äußern Kreise. Hier wird das System des Gleichgewichts im Staatcnverhältnisse, das europäische Staa- tenvcrhältniß in Beziehung auf Nationalität, die europäischen Staaten in