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auch Witz und Parodie. Dabei sind alle drei Sätze ungemein dicht und konzentriert gearbeitet, durchsichtig im Klangbild, wunderbar pointiert in der Instrumentierung, von sprühendem Temperament erfüllt, —* das Bekenntnis eines jungen Menschen zum Leben unserer Zeit! Johannes Brahms hat für die Vollendung seiner ersten Sinfonie fast zwei Jahrzehnte gebraucht. Er hat — immer wieder durch Jahre schöpferischen Pausierens unterbrochen — unerbittlich daran gearbeitet, gefeilt und um die letzte Form gerungen. Hans von Bülow bezeichnete diese Sinfonie als „Zehnte“, — er meinte damit, daß Brahms die Neunzahl der Beethoven sehen Sinfonien um eine zehnte würdig erweitert habe. Der erste Satz wird durch eine langsame Einleitung eröffnet, in der die Stimmung des ganzen Satzes bereits zu spüren ist. Brahms bekennt sich zur strengen Überlieferung der Sinfonieform, die er in persönlicher Weise erweitert. Die Musik ist nachdenklich, grüblerisch, geballt dramatisch und erfüllt von drängenden Zügen, echt sinfonisch im Zusammenprall der Gegensätze, verkörpert in den einzelnen Themen. Im leuchtkräftigen E-Dur steht das Andante: Drei Teile wie ein ins Große gesteigertes Volks lied. Herrlich die Oboenmelodie im Mittelteil, und von tiefem mensch lichen Gefühl erfüllt die Episoden der Solovioüne im erweiterten dritten Teil. Statt eines Scherzos erklingt ein graziöser, heiter-beschwingter und zugleich besinnlicher Satz, wie das Scherzo dreiteilig mit einem Trio als Mittelpunkt. Mit einer von Spannung geladenen Einleitung führt Brahms zum Finalsatz. Die innere Verwandtschaft zu Beethoven wird offenbar. Und dann hebt im klaren festlichen C-Dur das Hauptthema an, einfach und volksliedhaft in der melodischen Formung, sieghaft im Charakter. Noch einmal greift Brahms auf die Gedanken der Einleitung zurück und steigert das Finale zu einer mitreißenden Schluß-Stretta. Wie sich vom düsterbohrenden ersten Satz über das Andante und Allegretto der große Bogen des inhaltlichen Ablaufs bis zum festlichen Finale spannt, das ist eine bezwingende Erfüllung des sinfonischen Prinzips, durch kämpferische Auseinandersetzungen zur Lösung und Klarheit zu finden. , G. Sch. (11-9-110 J G 003-59 2928