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Z U R EINFÜHRUNG Benjamin Britten, ein 1913 geborener englischer Komponist, ist zwar einer der jüngsten, trotzdem aber schon einer der anerkanntesten Tonsetzer der europfuschen Welt. Gerade seine Sinfonia da Requiem, ein Werk, das mit sinfonischen Mittelp die Wirkung eines Requiems erzielen will, hat seinen inter nationalen Ruf gefestigt. Das dreisätzige Werk schrieb er 1940 in Amerika; es ist dem Gedenken seiner Eltern gewidmet. Der erste Satz — Lacrymosa — beginnt mit düster pochenden Orchesterschlägen, über denen sich dramatische Motive entwickeln, die den klagenden Gehalt und den tränenreichen Charakter des Requiems festlegen. Ein Thema fällt auf durch große, immerwiederkehrende Intervalle.'Im „Diesirae“, dem zweiten Satz, herrscht ein schwirrender Tonhintergrund vor. Rhythmisch stark profilierte Einfälle zaubern eine gespenstische Stimmung hervor, die auch dem Marsch, der den Mittelteil dieses Satzes bildet, eigen ist. Im „Requiem aeternam“, dem Schlußsatz, schwebt über großen Intervallsprüngen in den tiefen In strumenten eine schlichte, aber um so innigere Melodie. Seinen besonderen Reiz erhält das Werk durch Brittens außergewöhnliche Begabung der Orchesterbehandlung. Seine Phantasie für Klänge ist sehr groß. Er kennt die Möglichkeiten der Instrumente gut und entlockt ihnen die seltsamsten Wirkungen, die gerade dem Gehalte dieses Werkes zugute kommen. Wohl den wenigsten Hörern wird bekannt sein, daß Peter Tschaikowskij mit seinem op. 44 ein zweites Konzert für Klavier und Orchester geschrieben hat, das leider im Schatten des b-moll-Klavierkonzertes steht. In den Jahren 1879/80 ist es entstanden, also zu einer Zeit, die zu der glücklichsten seines Lebens gehörte, weil er damals wenig unter Depressionen des Gemütes, an Minderwertigkeitsgefühlen und Zweifeln gelitten hat, die ihm sonst sein Leben verdüsterten. Man spürt deutlich den optimistischen Zug, der dem Stück eine außergewöhnliche Frische verleiht. Merkwürdigerweise zog die Welt das eie gische, überaus pathetische andere Konzert vor, als wollte sie an die lebensbejahenden Möglichkeiten im Schaffen Tschaikowskijs nicht glauben. Die musikalische Fachwelt ist voller größten Erstaunens über diese unerklärliche Tatsache, daß dieses ausgesprochen positive und klar optimistische Werk fast in Vergessenheit geraten ist. Der romantisch empfindende bürgerliche Mensch neigt zu einer Sympathie mit dem Tode, die ihn alles Frische, Klare, Heitere, Offene vermeiden läßt. Und davon ist in diesem Konzert eine Überfülle vorhanden. Das Werk ist in seinem Solopart überaus virtuos gehalten. Im ersten Satz, der nach der Sonatenform gebaut ist, fällt eine sehr ausgedehnte Kadenz auf. Im zweiten Satz gesellen sich zu dem Soloinstrument noch Solovioline und Solovioloncello, die im schwelgerischen Schön gesange wetteifern. Auch der Schlußsatz ist in der Sonatenform geschrieben — es sind also zwei kon trastierende Themen zu erwarten. Ein elektrisierender Rhythmus durchpulst diesen ganzen Satz und gibt ihm ein im besten Sinne des Wortes volkstümliches Gepräge. Beethovens zweite Sinfonie op.36 in D-dur gehört zu den gradzahligen Sinfonien, die — wiederum eine nicht restlos klärbare Tatsache — in der Gunst des Publikums hinter seinen ungradzahligen zurück stehen. Es ist ein freudiges, lebenslustiges Werk, das seltsamerweise im Sommer 1802 niedergeschrieben ist, in dem Beethoven sein Heiligenstädter Testament verfaßt hat. Man ersieht an dieser Tatsache, welche Höhen und Tiefen der Mensch Beethoven in so kurzen Zeitspannen durchmessen hat. Beethoven bedient sich des von Haydn und Mozart entwickelten und vervollkommneten Sonaten gerüstes. Er spricht in der zweiten Sinfonie dazu noch die Tonsprache dieser beiden Meister bei völliger Wahrung seines eigenen Gesichts. Eine große Einleitung geht dem eigentlichen ersten Satz voran, dessen erstes, frisches und sonnig-klares Thema von den Bratschen und Celli vorgetragen wird. Das zweite Thema, von Klarinetten und Fagotten geblasen, ist im Charakter dem ersten sehr verwandt, wodurch dieser Satz eine auffällige Einheitlichkeit erfährt. In der Durchführung ist die Meisterschaft Beethovens schon offensichtlich. Das Larghetto ist eine der liebenswürdigsten Erfindungen des Komponisten, der sich seiner Meisterschaft bewußt ist. Das Scherzo (hier noch als ein beschleunigtes Menuett aufgefaßt) zeigt viel Geist und spielerisch-witzige Lebendigkeit, die sich vor allem dann im Schlußsatz ausleben kann. Dieses gut gelaunte und ausgelassene Stück (in einer Art Rondoform mit Verquickung der Sonatenform geschrieben) sagt nichts vom Beet hoven aus, der im selben Jahre, da er dieses lebensbejahende Werk geschaffen hatte, aus der Welt scheiden wollte. Johannes Paul Thilman 9. Philharmonisches Konzert am Mittwoch, dem 10. Mai 1950, 19 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz . Solist: Sigmund Bleier, Stuttgart (Violine) Werke von Bongartz, Chatschaturian, Borodin