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ZUR EINFÜHRUNG Franz Schmidt (1874—1939) ist in Mitteldeutsch land ziemlich unbekannt. Er ist ein führender Kom ponist der spätromantischen Wiener Schule, er ver waltet das Erbe der großen österreichischen Roman tik, die mit Brahms (dem Norddeutschen mit seiner Wahlheimat Wien) und Bruckner hohe Gipfel er klettert hatte. Franz Schmidt ging als Violoncellospieler aus dem Wiener Hofopernorchester hervor, wo er die Mög lichkeiten einer klangvollen Instrumentation an der Quelle studieren konnte, was sich in seinen Werken zeigt. Schmidt wird erst Lehrer für Violoncello am Wiener Konservatorium, 1910 jedoch Professor für Klavierspiel. 1025 wird.er Direktor der Staatlichen Musikakademie in Wien. Bekannt wird Franz Schmidt durch seine Oper „Notre Dame“; die in den deutschsprachigen Län dern viel aufgeführt wird. Er ist also auch Kompo nist, womit er seine Vielseitigkeit beweist. Die erste Sinfonie in E-dur gehört der spätromanti schen und damit der bürgerlichen Welt der Zeit vor dem ersten Weltkrieg an. Sie entwickelt deshalb eine große Klangpracht, womit das Bürgertum sein Be dürfnis nach Repräsentation ausdrücken möchte. Die spätromantische Musik ist außerdem eine Musik, die nur harmonisch denkt und zur polyphonen Viel stimmigkeit kein Verhältnis hat. Schmidt wählt außerdem noch die weiche und doch glänzende Ton art E-dur, in der er die Sattheit und Wohlgepflegt heit dieser Welt aufs genaueste auszudrücken ver mag. Seine musikalischen Gedanken drücken das aus, was die Welt damals empfand und was sie in der Bau- und Malkunst im Jugendstil darstellte, der zwischen 1900 und 1905 lebendig war, also in den Jahren, in denen diese Sinfonie entstand. Franz Schmidt gießt diesen Geist bürgerlichen Emp findens in die Form der Sinfonie, an die er sich streng hält. Der erste Satz beginnt mit einer festlich-rauschen- den langsamen Einleitung, mit einem viertaktigen Solo der Trompete; darauf setzt „sehr lebhaft“ der eigentliche erste Satz ein mit Hörnerklang und einer reichen Streicherbegleitung, die den ganzen Satz, ja das ganze Werk hindurch eine Art samtenen Schleier über diese Musik des Reichtums und des Genusses breitet. Viele melodische Gedanken, die aus gebrochenen Akkorden bestehen, sind über diesen Satz ausgegossen, der sich zum Schluß hin in eine mächtige Blechentfaltung steigert. Der zweite, langsame Sal«, gibt den Holzbläsern und Hörnern Gelegenheit, schöne Gesangsmelodien vor zutragen. Der dritte Satz, schnell und leicht, ist ein Scherzo voller Keckheit und allerlei Übermut. Auch der lebhafte Schlußsatz ist durchaus voll in strumentiert, kaum eine Seite, auf der einige Instru mente pausieren. Gegen Schluß entwickelt sich zuerst in den Streichern eine hüpfende Tarantella, die aber wieder in den etwas breiten Anfang dieses Schlußsatzes einmündet, iler mit Pathos und Glanz schließt. Zu Mendelssohns (1809—1847) Hauptwerken ge hört das Konzert für die Violine mit Begleitung des Orchesters, op. 64 in e-moll. Es zählt wegen seines Melodienreichtums zu jenen Stücken der gesamten Musikliteratur, .die sich die Gunst der Hörer sofort eroberten und sie bisher noch nicht wieder verloren haben. Unvermittelt setzt im ersten Satz das musi kalische Geschehen ein. Die Sologeige intoniert so fort das breit ausgeschwungene erste Thema voll größten melodischen Wertes. Aber auch das zweite Thema ist eine Perle von Melodie — und so reiht sich wie auf die Schnur einer Kette Perle an Perle. Es inangelt dadurch zwar an Kontrasten, dafür gibt jedoch das ganze Werk ein getreues Abbild eines ohne innere und äußere Stürme verlaufenen Lebens zur Zeit des Biedermeier. Im sich sofort anschließen den Andante geht der Melodiensegen und -reigen weiter. Der Schlußsatz stellt den absolut heiteren, gelösten Mendelssohn dar. Ein scherzender Ton durchzieht diesen Satz, er vermittelt eine wahrhaft glückliche Stimmung. Natürlich ist das Soloinstrument mit allen Eigen tümlichkeiten bedacht, die das virtuose Element her- vorrufen können. Doppelgriffe, Arpeggien, Triller, Oktaven, rasende Läufe und vor allem eine blühende Cantilene werden als Selbstverständlichkeiten vor ausgesetzt. Nur Geiger von Format können sich an dieses Werk wagen, aber es belohnt den Könner, der es meistert mit dem Gefühl, schon auf Erden eines Glückes teilhaftig zu sein, das sich viele Menschen erst für ein Jenseits erträumen. Beethoven führte seine x. Sinfonie im Jahre 1800 in einem eigenen Konzert seinen Mitmenschen, dem Wiener Konzertpublikum, vor. Die Kritik (wir neh men zu ihren Gunsten an, daß Irren menschlich sei) schrieb damals: „Die Sinfonie ist ein bis zur Kari katur hinaufgetriebener Haydn." Sie spricht weiter von 'den „ziemlich konfusen Explosionen dreisten Übermutes eines jungen Mannes von Talent“. Heute erscheint uns das „Hinaufgetriebene“ und das „Ex plosive“ als das eigentlich Beethovensche; es ist das, was uns heute an diesem Werke besonders inter essiert. Jedenfalls ging das Werk im Jahre 1809 weit über das Gewohnte hinaus — man sollte aus dieser geschichtlichen Tatsache lernen, Kunstwerken gegen über nicht zu engherzig zu sein. In diesem opus 21 in Beethovens Schallen steckt für uns noch nicht ganz der eigentliche Beethoven, der in seiner 3. Sin fonie erst die Töne findet, die seine nur ihm eigene Sprache ausmachen. Die Einleitung zum ersten Satz stieß damals auf heftigsten Widerspruch, weil das Werk nicht in'G-dur, sondern mit dem Septimen akkord der Unterdominanttonart, also mit einer Dissonanz, begann. Dafür ist aber das eigentliche 1. Thema klar in seiner C-dur-Besessenheit. Das 2. Thema wird zerlegt in gleiche Motive, die ab wechselnd Oboe und Flöte aufgreifen. In der Durch führung der geistvollen Verarbeitung der beiden Themen, die das klassische Ideal vom Komponisten fordert, beweist der noch junge Beethoven schon eine erstaunliche Meisterschaft der Orchesterbehand lung. Der zweite Satz hält an der einmal angeschlage nen schlichten, aber poetischen und anmutigen Stim mung bis zu seinem Ende fest. Im Menuett, das an dritter Stelle der Satzfolge steht, wendet sich Beet hoven entschieden von der bis damals üblichen Art, ein Menuett zu komponieren, ab. Für ihn ist dieses Musikstück kein graziös-höfischer Tanz mehr, ebenso auch kein volkstümlich-derbes Tanzstück — Beet hoven findet hier einen neuen drängenden und auf Überraschungen bedachten Ton, der damals an stößig und aufreizend wirkte. In dieses Menuett hat er ein der Idylle verhaftetes Trio eingebaut, an das sich das impulsive Menuett wiederholend anschließt. Eine tolle, lustige, ausgelassene Lebensfreude spru delt im Schlußsatz,^dem Finale. Hier hört jeder die Anklänge an seinen großen Vorgänger, Zeitgenossen und Lehrmeister Haydn. Die Musik dieses Satzes hat etwas ausgesprochen Helles, Durchsonntes an sich, etwas also, was wir bei Beethoven selten wieder finden. Seinen Reichtum an Witz (das Wort kommt von „Wissen") beweist Beethoven an einer Fülle von satztechnischen Kombinationen, die uns zeigen, daß er schon ein meisterliches Handwerk besitzt. Den klassischen Meistern ging es sehr um das Handwerk, das ihnen die Grundlage für ihre großartigen Schöp fungen bot. Das sollte man von ihnen lernen - und das kann man schon an Beethovens 1. Sinfonie in C-dur, op. 21, genau sehen und erkennen.