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2. Deilage zum Krzgev D^olksfreun- Nr. 293. Dienstag, den 17. Dezember 1907. Lebens rütsel. Roman von Luise Cammerer. (Nachdruck Verbote») (7. Fortsetzung.) - Seltsam beengend stieg es in Susannas Herzen auf. Furcht und Grauen erfüllte ihre Seele. Ihr Auge ver- solgte die erschreckende Veränderung, die in seinen Zügen vorging, sie sah, wie die junge Brust im letzten, schweren Daseinskampf sich hob und senkte, und erkannte mit grauen vollem Bangen, daß hier das dunkle, geheimnisvolle Rätsel des Todes herannahe, der unerbittliche Schiedsrichter seine verheerenden Schriftzime in die veredelten Züge des armen Gelähmten zeichne. Willenlos, wie gelähmt sah daS junge, lebenswarme Geschöpf den Wandel vor sich gehen. Rings umher waltete tiefe, traumhafte Stille, die nur durch das gleichmäßige Ticktack der alten Schwarzwälderin oder daS muntere Gezwitscher eines VögteinS, das neugierig in das offene Fenster lugte, unterbrochen ward. Frau Frühholtz vermochte ihr Rnf nicht zu erreichen und Susanna fühlte sich auch unfähig, sich zn erheben, und so blieb sie mit dem sterbenden Kiiabc» allein. „Rudi!" rief sie in angstverstörtem Aufschrei. > Roch einmal erhoben sich seine schweren Lider, noch einmal streifte sie der erlöschende Blick, verlangend bewegte sich seine Hand nach ihr. Ihr Granen überwindend, erhob sich Susanna, legte den Arm stützend um seinen Kopf und bettete ihn an ihr Herz. So saß sie lange regunöloö, bis er seinen letzten Atemzug verhauchte. Ihre Erstarrung löste sich erst, alö Doktor Schröter, der znm Besuch des Kranken ins Haus kam, ihr den toten Knaben äuS den Armen nahm, ihm den letzten Liebesdienst erwies und auf sein Lager zurücklegte. Beruhigend zog Gerhard Susanna zu sich heran. „Das war ein trauriger Anblick für Sie, ine in Kind", sagte der Doktor ernst, „dennoch deucht es mir eine Fügung Les Himmels zu sein, da in dein Augenblick, wo diese reine Seele dem Dunstkreis des Erdenlebens entfloh, ein guter Engel ihr znr Seite stand! Kommen Sie, ich will Sie heimgeleiten, Susanna." Nachdenk er die verstörten, lautjammernden Eltern noch herbcigerufen und liebevoll getröstet, verließ Gerhard mit Susanna die Stätte, über die der Todesengel seine dunklen Fittiche .gebreitet. Mit mild beschwichtigenden Worten.sprach Schröter auf daS junge Mädchen ein, das Lie ernkte Stande zu einem ersten Weibe gereift und das in diesem Augenblick seinem Herzen näher gerückt Ivar, als es jemals zuvor in ihrer lachenden Lebensfreude geschehe». In tiefes Schweigen verloren, schritten sie beide Durch die dunklen Laubengänge des Gartens. Wie ein Frösteln durchlief eS Susannens Körper, zum erstenmal hatte sic den Tod ins Antlitz geblickt. Halb unbewußt legte Ger hard den Arm stützend um ihre Gestalt. Ein unbeschreib liches GlückLgefühl durchzitterte seine Brnft. In dem zarten, zur holden Jungfräulichkeit erblühenden. Kinde fand er alt Lie gute» Eigenschaften vereinigt, die er in dessen schöner herzensklaren Schwester vergeblich gesucht, ein , opferwilliges Herz, Gcmütöticfe und selbstvcrleugnendc Menschenliebe. ^Wic eine beseligende Hoffnung dännnerte es in seiner Seele auf, daß auch dieses junge Herz sich ihm in Liebe znneige und ans dem schnöden Verrat der Schwester ihm ein größeres reineres Glück erblühe. „Ruhen Sie für heute, mein liebes Kind, hoffentlich wird die heftige seelische Erschütterung keine nachteilige Wirkung für Ihre Gesundheit haben. Es würde mir znm Tröste' dienen, wollten Sie mich durch Fräulein Mathilde darüber verständigen lassen." Susanna richtete die schönen, blanen Auge» in warmer, sprechender Bitte auf sein ernstes männlick)cs Angesicht. „Warum meiden Sie nnö, Herr Doktor?" fragte sic leise, mit süßer, weicher Stimme. „Seitdem Hermine von uns ging, betrat Ihr Fus; unser HanS nicht wieder, sind wir Ihnen sremd geworden?" „Liebes, herziges Kind!" er rief cs hingeriffc» von dem Zanber ihres holvrn, unschntdsvvllen Wesens, „in Not und -Lod, in allen Gefahren des Lebens will ich Dir Frennd und Bruder sein, Dich schützen bis zum letzten Atemzug!" Mit heißgeröteten Waugen und feuchten Blicken bot sie ihm beide Hände dar. „Mein Freund, wie bin ich glücklich, Sie so nennen zu dürfen. Mein Freund", wiederbolte sie nochmals freudig, „was auch immer über uns kommen mag, nach dieser Stunde werde ich cö zu ertragen wissen!" Mit einem Blick tiefernsten, beglückende» Einverständ nisses trennten sie sich. 4. Mathilde, die inzwischen ihre Obliegenheiten erfüllt, schickte sich eben an, die Wohnung z» verlassen und und Susannen den Garten nachzusolgen, da siel ihr Blick auf Hi versiegeltes Schreiben, das ihr der Diener vorhin ausgehäudigt und welches zu eröffnen, sie im Drange der Geschäfte übersehen hatte. „Kgl. Rektorat zu B." Mit steigendem Befremdem überlas sie daS Siegel. Was würde sie zu hören bekommen? Die Zuschrift kam von dem Rektorate deS tgl. Gymnasiums, auf welchem ihr junger Bruder seinen humanistische» Studien oblag. Ihre Hand zitterte und ihr Herzschlag ging ungestüm. Gon quälenden 'Hv-jindungen bedrückt, erbrach sie das Schreiben, dessen Inhalt Mathildens schlimmste Befürchtungen übertraf. Es lautete: Hochgeehrtes Fräulein! DaS Rektorat des königl. Gymnasiums zu B. sieht sich veranlaßt, Ihnen mitzuteilen, daß der Schüler der dritten Gymnasialklasse Wilhelm v. Sander, Sohn des kgl. Oberförsters Ruppert v. Sandner, der sich seither sehr gut führte, plötzlich ein verändertes Betragen zeigte und sich Ausschreitungen zuschulden kommen ließ, die ihn mehrmals vor das kgl. Rektorat brachten. Da Sandner trotz mehrfacher Verwarnungen nenerdinaS wieder in öffentlichen Wirtslokalen betroffen'wurde, sieht sich das kgl. Rektorat auf Antrag sämtlicher Lehrkräfte veranlaßt, zur Verhütung schlimmer Beispiele, den Ausschluß über Sandner zn verhängen, was wir hiermit mit dem Aus druck unseres Bedauerns zu Ihrer Kenntnis bringen. Geziemend tz kgl. Rektorat zu B. Vor Mathildens Augen flimmerte eS. Die Glieder waren ihr wie zerschlagen vor Schreck. Mit einem qual vollen Anfstöhnen sank sie in ein Fauteuil zurück. In wenigen korrekten Worten hatte inan wegen einiger jugendlicher Verirrungen die hoffnungsvolle Zukunft eines unbesonnenen Menschenkindes abgeschuilten. Dimittiert, schimpflich von der Schule entlassen, ihr Bruder, ihr Sorgenkind, für dessen Fortkommen sich Mathilde gemüht und die größte» Demütigungen stillschweigend hin- genommen. Wie ein EhaoS wirbelten die Gedanken in ihrem Kops nncher, einer den ander» jagend, und in de» Wirrsal fühlte sie sich plötzlich von zwei jugenvkräftigen Armen umfaßt, fühlte sie sich an ein sugendwarmeS Herz gedrückt nnd zwei Lippen suchten ihre» Mund. „Willt, Du! Du wagst, mir unter die Augen zu tre ten, Du, der schimpflich von der Schule dimitiert wurde, den ehrenhaften Namen seines BaterS mit Schande belnd?" rief sie in loderndem Zorn. Mit gesenktem Blick und brennenden Wangen trat der junge bildhübsche Mensch von der ernsten, strengen Schwester zurück. Sein ganzes Wesen verwandelte sich in Trotz, und Trotz lag in den dunkle» Auge», die er auf die Tür richtete. „Wen» Du in diesem To» mit mir sprichst, ist eine Verständigung znr Unmöglichkeit gemacht, Mathilde", sagte er finster, - „dann dürfte es besser für mich sei», sogleich wieder Kehrt zu machen." Gebieterisch zeigte sic auf die Tür. „So gehe, geh', und komme mir nie wieder vor die Nugeu!" ries sie anßer sich. „Ein Sandner, ei» Sohu meines braven BaterS, der in Ehren sein Haupt zur Ruhe legte, wegen miziemlichcc, unqualifizierbarer Aufführung ans der Schule gejagt, und Du willst noch fragen, was Du verschuldet, Dich rechtfertigen? Deinetwegen, um Dir das Studium zu ermöglichen, fügte ich mich seit Jahren in das Joch der Dienstbarkeit und Entbehrungen. Ohne jMurrcu arbeitete nnd erwarb ich, damit eö Deiner Jugend au nichts mangele, hoffend, Du würdest einstmals ein ganzer Manu werden, zn dem ich mit Stolz aufzusehen vermöchte, an den ich mich un Alter anlchncn tonnte. Ach, was erhoffte ich nicht alles für Dich, nnd nun schlägst Du mein Hoffen und Vertrauen in Trümmer!" Ihr Antlitz in den Haude» vergrabend, brach Mathilde in einen herzbrechenden Träncn- strom aus. Sofort war Willi an ihrer Seite. „Mathilde, liebe, liebste Schwester", sagte er mit tiefer Empfindung, ihr die Hände vom Antlitz ziehend und sie mit Küssen bedeckend, „wie kannst Dn so hart gegen mich sein, Dn, die mir Schutz, Halt nnd Stütze ist und zu der ich mich vertrauensvoll flüchtete, tim Deinen Rat, Deine Stimme zu vernehmen. Höre mich an, Mathilde", fnhr er eindringlich fort, „denn ich habe nichts verbrochen, was nicht zn verzeihen wäre. Als unsere Eltern starben, zählte ich noch kaum zehn Jahre. Im Einverständnis mit dem Vormund und ohne mich je »ach meinen eigenen Wünsche» zn befragen, bestimmtet ihr mich für das Stiidinm, fjic daö ich weder Neigung noch Fähigkeiten hatte. Ich wollte Dich nicht betrüben, und so tat ich Dir den Witten. Mit endloser Mühe überwand ich die Sekunda und Tertia. In de» oberen Klassen der Prima sand ich mich trotz allen Fleißes nicht mehr znrecht, zumal mir Latein und Griechisch unendliche Schwierigkeiten bereiteten und ich den alten Sprachen nicht daö geringste Interesse entgegen brachte- dennoch wollte ich meine Pflicht erfüllen und erfüllte sie auch so lange, bis ich erkannte, daß mein Talent auf einem anderen Gebiete zu suchen sei!" Willi schwieg eine Weile, dann »ahm er seine Erklär ungen wieder auf. „Ich tauge nicht für das Studium, ein für allemal nicht und wozu sich zu etwas zwingen, wogegen sich die ganze Natur sträubt. Die Geschichte war mir gründlich verleidet, so griff ich zu den erstbesten Mit teln, besuchte Wirtshäuser, pokulicrtc und politisierte mit einem jeden, um meinen Zweck zu erreiche» u»d frei zu konimeii! Ich hoffe meinen eigenen Weg zn gehen, Mathilde, und einen meiner Neigung zusagenden Beruf zu wählen, iu dem ich etwas zn leiste» hoffe! Ma» lebt ja »ur ein mal und ein jeder wünscht sein Leben auf seine Art ein» zurichten!" Mathilde hatte ihn ruhig auSreden lassen. Ein ironisches Lächeln spielte um ihren Mund und den Blick fest auf ihn gerichtet, erwiderte sie hart; „Jugend von heute, und mit diesem hohlen Phrasen» geklingel hoffst Du mir zu imponieren. Man 'ebt nur ein» mal!" wiederholte sie mit bitterem Auflachen. „Und mit dieser salomonischen Weisheit, für die Dir die Haselnuß» gerte gehörte, suchst Du Deine leichtsinnigen Knabenstreiche zu beschönigen? Gott, mein Jnnge, so lebe ein Leben nach Deiner Weise, experimentiere mit Deinen Fähigkeiten so lange und so oiel Du Lust hast, doch ich sage mich los von Dir, von mir kannst Du künftighin nichts mehr erwarten) Wir beide sind von heute ab geschiedene Leute." (Fortsetzung folgt.) vermiMes. — Wie Spitznamen entstehen, darüber plau dert ein Aufjatz in der neuesten Stummer der bekannten illustrierten Wochenschrift „Daheim" allerlei Jnteressantö aus. Dec schlesische Dichter Karl v. Holtet erklärt danach zum Beispiel die Entstehung deS Namens Grillparzer aus folgende Weise. In der österreichischen Heimat besaßen die Vorfahren Grillparzers ein kiemes Grundstück, eine Par zelle, abgekürzt „parz." Auf dem Grundstück sollen sich sehr viel Grillen ausqehalten habe», und es hieß daher „Der Grillparz", woraus schließlich für die Familic der Name „Grillparzer" cutstand. Von gcographischen Spitz name» aus Deutschland wird erwähnt, der „Hundenlacher Winkel" iu Litauen, „Muffcika" an der holländffchen Grenze. Die Holländer nenne» bekanntlich ganz Deutschland „Muffrika" nnd jeden Dentschen mehr oder minder ver ächtlich „Muff" oder „Moss". Die Schlesier heiße» „EselS- freffer"- eS gibt eine „Wendische Türkei" in der Lausitz und eine „Knmmeltürkei" in der Umgegend von Hail«. Hunderte von Ortschaften gibt eS in Deutschland, deren Bewohnern vo» besondere» Unverstand nachjagt nnd die deshalb Spitznamen führen. Ain schlimmste» aber sind Liefe Spitznamen in Tirol. Die Bozener heißen dic „Lascheu zanger" (von „zangen"A— zerren, fassen und „lasch", die Hündin), die Atgundcr führen den Namen „Wampenschieber". — In das Gebiet der Spitznamen gehört auch LaS fol* gende, worauf cine frühere Daheimnummer schon hinwies. Seit dem Erwerb der Privatbahnen durch den Staat trägt in Preußen jeder Eisenbahnwagen die deutsche Bezeichnung deS Direkfiousbezirks, in den er gehört. Früher war dies anders. Alle Ballgesellschaften bezeichneten, da die voll ausgeschriebene» Titel meistens reichlich lang waren, ihr rollendes Eigentum nur mit den Ansungsbuch- stabe» der Eiuzelwvrte, an denen sich dann der Volks witz in tiefsinnige» Deutungen versuchte. Die Ab kürzung dec ehemaligen Oppeln-Tarnomitzer Eisenbahn 0. 1... ch). wurde als' „O traurige Erfindung" ge deutet. Aus dec li. 0. 17. L. der Wagen der Rechte» Oder-Ufec-Eijeubahii in Schlesien, der inan hinsichtlich der Besoldung ihrer Beamten arge Knauserei »nchfagce, legte man als „Reichtum oben, unten Elend" aus. Ll. X. L. (Magdeburger-Halberstädter-Eijenbahu) wurde, weil es.um. dic Vahuhossrestaurationen schlecht bestellt war, nur ^Mich hungert entsetzlich" übersetzt. Für dic Aufschrift >V. X. X. ö. (Wcsthavcüändijchc Kreisbahn) aber hat das Volk sogar zwei Deutungen. Die Mutigen, so sich dein Verkehrsmittel auvertrauen, sagen „Wir haben keine Bange", andere da gegen jammern, da eS an Schankstätlen an, de» Stcnw»eil mangelt. „Wir haben kein Bier". Schwäbische Gemütlichkeit endlich liest aus X. >V. Lt. X. (Königlich Wücttembecgijchc StantSeijenbahneu) dic freundliche Aufforderung eines Ehemannes heraus: „Komm, Weible, steig ein!" In Offer- renh, wo die Verstaatlichung der Bahnen erst je^r in cm slottereS Tempo kommt, treibt dieser grimmige Humor noch heute feine Blüten, X. II. X. (Kronprinz RuDols-Vahu- Deutete man als „Keine rentable Bahn", 77. 77. (Böh- miphe Westbahn) als „Bietet wenig Bequemlichkeit", X. X. X. 77. (Kaiser Ferdinands -Bahn) als „Käfig für RorDpolbäceir" »uD damit der nationale Kamps auch za seinem Siechte komme, übersetzte man L. X. 77. V. I). (Süd- Norddentschc Verbindungsbahn) mit „Sieh nach Deutschland, verflixter Böhm". MmoriMkckies. (A uSwah l.) Betty (zur wartende» Freundin)^ „Dei» Zukünftiger scheint aber nicht zn kommen:-" Liffy: „Das schad't nichts, wenn nur mein Jetziger kommt." (G a un erfrechheit. Gauner (zum auSgeplünderten Herrn): „Die Uhr geht ja gar nicht! DaS ist doch wirklich die höhere Schlamperei!" (Der Wetterprophet.) Wirt (zum Gast, einem Wetterpropheten): „Vor zwei Stunden sagten Sie, es würde regnen!" — Der Wetterprophet: „Nun, hatte ich recht?" — Wirt: „Nein) aber die anderen Gäste müssen Sie gehört haben, weil sie Ihren Schirm mitgenommen haben." (E i ne kniffliche Frage.) Folgender lustiger Vor fall ereignete sich unlängst in einer landgerichtlichen Sitzung in Schwaben. Der Straftalmner-Vorptzende fragte eine als Zeugin geladene Äausmaunüfrau nach Personalien und Ehefrau des Kaufmanns N. N. Zeugin: „Ja." Vorsitzender: „Geboren?" Zeuatn (errötend und leite); „viermal."