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Beilage zum Grzgeö. KolksfreuAd. Nr 256. 1907. < Sonnabend, dm 2. November An Borv des „Siegfried". Roman von Friedrich Thieme. (Nachdruck verboten) (8. Fortsetzung.) „Er ipielte mit einigen anderen Herren Skat, seine Frau unterhielt sich mit der Mutter der beiden jungen Mädchen. Gegen 10 Uhr erhob sie sich, um sich zur Ruhe zu begeben. Langsam, fast schüchtern trat sie hinter seinen Stuhl, sagte leise „Gute Nacht" und wandte sich der Tür zu. La verfinsterte sich plötzlich sein Gesicht, er legte die Karten hin, stand auf und hielt sie am Arme fest. Ntemaud achtete weiter der Szene, um so bester patzte ich auf, so angelegentlich ich auch in meinem Buche zu lesen schien. Sie suchte sich ihm zu entziehen, er schlang den Arm um ihre Taille, zog sie an sich und versuchte sie auf den Mund zu küssen. Sie sträubte sich und bewegte die Lippen, als rufe sie „nein, nein," er aber ^maß sie mit einem beinahe drohenden Blicke. Plötzlich erblaßte sie, ein gramvoller Zug erschien um ihren Mund, sie neigte den Kopf gegen ihn herab und ließ sich küssen wie eine Sklavin von ihrem Gebieter. Dann aber, die Wangen wie mit Purpur über gossen, eilte sie hinaus wie jemand, der bei einem Ver brechen ertappt wird." „Sonderbar," ließ Holm sich nach einer Pause des Nachdenkens vernehmen. „Zum nündesten sonderbar," bestätigte Flohr, indem er seinem Begleiter ein verschmitzten Seitenblick zuwarf. „Und was gedenken Sie schließlich zu tun?" fragte dieser gespannt. Der Inspektor blickte sich forschend um, dann bog er sich näher zu den Ohren des Professors und sagte: „Falls ich keine weiteren Anhaltspunkte entdecke, so muß ich eben ohne solche zu Werke gehen. In dem Augenblick, wo der „Siegfried" Vorbereitungen zur Landung trifft, verhafte ich das Paar und nehme eine Durchsuchung der Sachen vor." Das Erscheinen der beiden jungen Damen mit ihrem getreuen Seladon, dem jungen Kämpf, gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Es war am Abend desselben TageS. Im Saale gtng eS ziemlich lebhaft her, die Passagiere hatten die Plage der Seekrankheit überwunden, die sorglose Reisestimmung, welche so notwendig ist, um sich über die Einförmigkeit einer längeren Seereise hinwegzutäuschen, griff wieder um sich, und sogar der betrübende Vorfall, der das stattliche Schiff in ein TrauerhauS verwandelt, vermochte die Gemüter nicht länger zu verstimmen. Die Jugend vergißt ja so leicht, sie will genießen, wo und wann es auch sei. Und nicht allein die Jugend. Die älteren Herren spielten ihren Skat oder Whist mit all der Beharrlichkeit und Energie, welche gemeiniglich bei dieser geistvollen Beschäftigung an den Tag oder viümehr an die Nacht gelegt wird- die Damen musi zierten, lasen und plauderten. Holm hatte unten gelesen, die zunehmende Fröhlichkeit stieß ihn ab, er stieg wieder zu seinem Lieblingsplätzchen hinauf. Am Eingänge blieb er lauschend stehen, weiche, süße, schmelzende Töne, sanft und leise, wie gedämpfte Musik, drangen an sein Ohr. „BaS Meer erglänzte weit hinaus Im letzten Abendscheine —" Er ahnte, wer die Sängerin sei, und näherte sich leisen Schrittes, um sie nicht zu stören, ihrem Platz am Schiffs- cand- Sie saß mit dem Gesicht nach dem Wasser, den Kopf über die Brüstung geneigt, neben sich die kleine Hilde, der sie vorsang und deren Händchen sie gefaßt hielt. Noch immer trug sie das schwarze Kleid, in dem sie der Professor bei der Bestattung gesehen. Ihr Gesang klang schwermütig. Ihr lichtes Haar schimmerte in dem purpurnen Lichte der scheidenden Sonne. Auf den Zehen schlich Holm weiter, in der Absicht, sich abseits ntederzulassen, ohne seine Anwesenheit kundzugeben - ihr scharfes Ohr vernahm jedoch seinen geräuschvollen Schritt, sie brach ab und wandte sich nach dem Stören fried um. „Sie sind es, Herr Professor? Guten Abend." „Guten Abend, gnädige Frau. O, warum mußte ich Sie unterbrechen! Ich ahnte nicht, daß Sie über eine so herrliche Stimme verfügen." Ein müder Blick aus den blauen Augen traf sein Gesicht, es schien fast als hätten seine Worte sie peinlich berührt. „Auch Sie machen Komplimente?" warf sie mit dem Versuch eines Lächelns hin, und ein Schimmer leisen Vor wurfs drang durch ihre Worte. Holm versicherte mit dem gediegenen Ernst seines Wesens, daß ihm nichts ferner liege, als Phrasen zu machen, er sei nur so entzückt gewesen, sein Lieblingslied von ihren Lippen fließen zu hören und noch dazu in so seelenvollen Lauten. „Denn Ihre Stimme, gnädige Frau, quillt aus der Seele und wendet sich an die Seele," schloß er seine Rede, indem er neben sie trat, von der kleinen Hilde stürmisch begrüßt. Lächelnd zog er das Kind an sich und küßte eS- seine Anwesenheit diente ihm dazu, die Beklommenheit zu verbergen, die ihn stets in ihrer Gegenwart befiel. Wie alle Liebenden suchte und scheute. er zugleich die Nähe des geliebten Wesens, er fühlte eine ihm sonst fremde Ver legenheit, und doch durchströmte alle seine Nerven eine wonnige, in Worten nicht wiederzugebende Empfindung - alle Lee^ M-vMujkMehagxn Viel- auf, flam- einen fast furchtsamen Der Professor vernahm einen tiefen gewaltsamen Atem zug, er sah das Haupt der jungen Frau auf die Brust herabsinken. „Eda!" wiederholte die scharfe Stimme des Herrn Leonhardi. — „Hier bin ich. Was soll ich?" fragte sie zurück. ' Der Kopf des kleinen Herrn erschien in der Eingangs- tür des hochgelegenen, von allen Seiten abgeschlossenen Promenadendecks- nachdem er sich orientiert hatte, schritt er rasch auf die Gruppe zu. „Du wirst dir noch eine Erkältung zuziehen, Eda", nahm er mit einem Seitenblick nach dem Gelehrten das Wo«. „Der Abend ist kühl — und dunkel. Wir haben bald Neumond. 'Willst du nicht lieber hinabgehen?" „Ich war eben im Begriffe," erwiderte sie mit zittern der Stimme. Wie lange sie so zugebracht, wußten sie nicht, leicht nur Minuten. Plötzlich sprang Eda jäh aus Mendes Feuer im Antlitz- sie he tete ei f ' ' Blick auf ihrem Nachbar und preßte die Hand auf das Herz, als ob sie daselbst einen heftigen Schmerz empfinde. „Ich muß die Kleine ins Bett bnngen, Herr Pro fessor," sagte sie mit eigentümlich hartklingender Stimme, ohne daß sie es wagte, ihn dabei anzuschaucn. Wie aus einem Traum schreckte er auf. „Die kleine Hilde — Sie haben recht." Er hob das schlafende Kind vorsichtig empor, um eS nicht zu wecken, und legte es in- ihre Arme. „Eda!" rief es laut von der nach der Kajüte leitenden sanft über ihn hin. Aber kein Laut wechselte von Lippe zu Lippe, hingesunken verharrte auch Eda, ebenso träumerisch, so selbstvergeffend, aber die Wangen bald glühend, bald er blassens in seltsamen Farbentausch und in den Zügen mit einer ängstlichen, fiebernden Spannung, einer bangen, laut losen Frage. In schmeichelnden Tönen nur vernahm man die Sprache der Natur, den Gesang des Weltalls, und doch schien auch zwischen den regungslosen, versunkenen Menschen kindern ein Austausch von Empfindungen stuttzuhaben, ein Wechsel unhörbarer Fragen und Antworten Oder bildete das wehevolle Aufzucken um Edas Mund nicht die Erwider ung auf eine stumme Bitte des ernsten Mannes und beschwichtigte nicht daS milde, verzeihende Lächeln des Professors irgend ein verzweiflung-schweres Gefühl ihrer Brust?—- verschwand wie unter dem Einfluß einer narkotischen Essenz etn unsichtbares geheimnisvolles Fluidum ergoß sich über ihn. Nicht mit dem Gedanken erinnert« er sich in solchen Augenblicken an die Aussichtslosigkeit seiner Liebe oder an die schweren Beschuldigungen, welche man gegen die Reinheit des Gegenstandes derselben erhob- eS war auch kein Verlangen nach Besitz, keine Furcht und Qual in ihm, sein Inneres empfand eine köstliche Abgelösthett von allen materiellen oder durch äußeren materiellen Zustand bedingten Beschwernissen. So muß eS einem seligen Geiste zu Mute sein, der sich nach seiner Trennung von dem ihm so lange angeschmiedeten Körper erhaben über alle irdischen Sorgen und Nöten frei in kristallenem Aether wiegt. Zögernd ließ er sich neben ihr nieder und zog die kleine Hilde auf seinen Schoß. Das Kind war müde und lehnte sein Köpfchen schlaftrunken an feine Brust. Di« Wellen rauschten, und der Atem de» AoendwindeL hauchte „Ich komme gewissermaßen als Herold zu dir," sprach er mit einem Lachen, durch welches schwer verhaltene Wut tönte, Wester. „Als Herold? Wieso?" Verwundert richtete sie die noch immer in unruhigem Glanze flackernden Augen auf den Sprecher. „Die jungen Damen und Herren lassen dich bitten, ihnen einige Musikstücke zum besten zu geben, und ich be fürworte ihre Bitte." „Ich soll spielen?" fuhr sie auf. „Und singen," setzte er hinzu. „Niemals!" „Warum willst du so geizen mit den Schätzen deiner Kehle?" meinte Leonhardt verdrießlich. „Auch ich wünsche dich zu hören und wünsche, daß du dich hören „Ich bin nicht in der Stimmung", versetzte sie kurz. „Nicht in der.Stimmung? Wann wirst du wohl ze htnetnkommen?" entgegnete er. „Ein so junges schönes Geschöpf muß sich auch freuen mit den FrLHÜchen. Komm, Kind," setzte er überredend und ihre Hand ergreifend hinzu, „tu mir den Gefallen. Die junge Welt will tanzen, und da —" Empört zog sie ihre Hand zurück. „Nun ja, waS ist dabei?" „Tanzen! Und vor einigen Tagen haben wir erst die unglückliche Mutter dieses lieben Kinde- bestattet, und jetzt soll ich die übermütigen Takte eine» Walzer- oder einer Polka anschlagen? Ich will dir gern zu Willen sein, aber in diesem Falle nicht — die Zumutung geht gegen mein Gefühl." Leonhardi preßte finster die Lippen zusammen. „Die Frauen haben ihren eigenen. Kopf, Herr Professor. Sie werden die Erfahrung auch noch machen," bemerkte er mit einer Grimasse, die wahrscheinlich «in Lächeln dar stellen sollte. „Komm, Eda, bring' da» Kind zu Bett, und dann folge mir wenigsten- in den Salon, wenn du auch nicht spielen magst. ' — Guten Abend, Herr Mfesfor,^ „Guten Abesid." Er begab sich nach der Tür. auf Eda »»rückschauend mit einer Miene, welche den Befehl au-drü«e, ihm sofort zu folgen. Willig gehorchte die junge Dame, sich von Holm nur mit einem kaum bemerkbaren Neigen verabschiedend. Holm seufzte, al- Eda in die Versenkung der Kajüte hlnabgetaucht war. Wie bemitleidete er diese» arme, ge quälte, zerrissene Herz! Es hatte sich verirrt, aber die Reue, die bittere Verzweiflung hatte es erfaßt. Nun gab «S weder Rat noch Hilfe mehr für das beklagenswerte Ge schöpf. Wie hatte eine Frau von so hohen Retzen des Leibe» und der Seele diesen Mann zu lieben vermocht? Oder war es nicht Liebe, was sie an ihn fesselte? Sie nannte ihn nie bet seinem Vornamen, selbst daS Du kam nur zögernd über ihre Lippen. Letzteres war, wenn sie wirklich nicht Eda Leonhardt, sondern Elisa Norden war, psychologisch erklärbar, ersten- nicht, wenn Liebe das Motiv ihres Handelns war. (Fortsetzung folgt. vermilcMed. — Bachforelle gefällig? Unter oieser Ueber« schrift veröffentlichte die New Uorker StaatS-Zettung vor wenigen Tagen folgende amüsante Plauderei: „Erstaunte Gesichter machten die Passagiere auf dem Hamburg-Amerika- Dampfer Amerika, als sie aus der Speisekarte des Restau rants ersahen, daß täglich frische Fische zu " haben seien. Ais der an Bord befindliche bekannte ZeitungSherauSgeber James Gordon Bennett seine berechtigten Zweifel über die „lebenden" Forellen äußerte, ließ der Ehef des Restaurants in einer mit Wasser gefüllten Schüssel dem Zweifelnden drei Forellen bringen, von denen die eine — schwupp! — aus der Schüssel heraus und Herrn Bennett in den Schoß schnellte. Nun war Herr Bennet bekehrt, und täglich ge hörte er zu denen, die sich den Genuß eines frischen Fisches nicht entgehen ließen. Durch die Einführung dieser allge mein mit großem Beifall aufgenommenen Steuerung hat die Leitung der Hamburg-Amerika-Linie aufs neue bewiesen, daß sie stets bestrebt ist, allen Wünschen ihrer Passagiere nachzukommen. Als daher die Berliner Aktiengesellschaft für Fischtranspott der Hamburg-Amerika-Linie die Offerte machte, frische Fische für die-ganze Dauer der Reise zu besorgen, fand sie bei der Direktion der Gesellschaft bereitwilliges Ent gegenkommen. Die Firma Siemrirs u. Halske in Berlin errichtete auf dem Sonnendeck in einem dazu geeigneten Raum vier große Blechbehälter, in denen 4000 Pfund Karpfen, Forellen und Schleie Aufnahme fanden. Durch eine Maschine wird dem Wasser beständig Sauerstoff zu- geführt, so daß eS stets frisch ist und in Bewegung bleibt. Wie der Berichterstatter sich persönlich überzeugt hat, Habelt die Fische, unter denen sich gar stattliche Burschen befan den, die Reise vortrefflich überstanden. Herr Eugen Schiff von der Fischtransport-Gesellschaft und Herr Oberingenteur Marquardt von Siemen» u. Halske nahmen sich ihrer schuppigen Schützlinge aus der ersten Reise an." ' ' '' 'v — Die höchst en Schweizer HotelS.^ Einer soeben veröffentlichten statistischen Tafel de» Schweizer Hotelverein» sind einige interessante Angaben über die Höhenlage der Schweizer Hotel» zu entnehmen. Die nied rigsten, zwischen LOO und 500 Meter, stellen 626 Eta blissement» - 394 befinden sich zwischen 501 und 800 Metern, 188 zwischen 801 und 1000 Metern und 198 zwischen 1001 und 1200. Zwischen 1200 und 1400 Metern sind 126, zwischen 1400 und 1600 145, zwischen 1600 und 1800 96, und zwischen 1800 und 2000 122 Hotels gelegen. 34 bestehen über 2000 und 1 über 3000 Meter Höhe. - Eine gute Antwort. In Londoner litera rischen Kreisen bildet der Briefwechsel zwischen zwei in ganz England bekannten Persönlichkeiten daö Tagesgespräch. Ein Millionär empfand eines schönen Tages da» Bedürfnis, am literarischen Firmament als Stern zu glänzen- da er ein Mann von raschen Entschlüssen ist, setzte er sich sofort hin und richtete an einen bekannten Autor nach stehende Epistel: „Ser geehrter Herr! Ich möchte mich gern an der Schöpfung eines dramatischen Werte« betei ligen und meinen Namen mit dem Ihriger verbünden. Möchten Sie nicht eine Komödie schreiben, für welche ich al» Mitarbeiter ein paar Zellen zuschteßen könnte? Ich würde all« Kosten tragen, um einen Teil vom Ruhme ab zukriegen." Der Autor sandte als Antwort folgendes Briefchen: „Geehrter Herr! Ich bedaure, Ihren beschei denen Wunsch nicht erfüllen zu können. Mein Grundsatz war immer, daß man ein Pferd und einen Esel nicht zu sammenspannen soll." Darauf antwortete der ehrgeizige Millionär mit wendender Post: „Mein Herr! Ihren unverschämten Brief habe ich erhalten. Mit welchem Rechte wagen Sie, mich als Pferd zu behandeln ?" — Londoner Straßenbahnverkehr. Di- Londoner Straßenbahn hat im verflossenen Jahre 314165027 Personen befördert, deren Wagen haben 30130297 eng lische Meilen zurückgelegt. Die Einnahmen betrugen in Mk. 28293060, di« Betriebsausgaben Mt. 21502320, der Bruttogewinn Mk. 6789740, der Reingewinn Mk. 193460. — Große Unkosten vernrsachte die Legung des elektrischen Strome» auf den Linie» im Norden Londons an Stell« der PfeÄebahn. Alle Straßenbahnlinen Londons sind in Gz^nrn Teilen he»