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Aeitage zum Grzgeö. Mksfreuud. Nr. 253. Dienstag, de» A. Oktober An Bord des „Siegftied". Roman von Friedrich Thieme. (Nachdruck derboten) (b. Fortsetzung.) ,/DaS ist allerdings anzunehmen", stimmte der Zuhörer dem Beamten bet. „Am Mittag nun des Tages", sprach letzterer werter, „an welchem der .Siegfried' von Hamburg abfuhr, ging mir von meinem dorthin entsandten Kollegen ein Telegramm des Inhalts zu: Vor ungefähr einer Stunde seien mit dem Danrpfer .Siegfried' ein Herr und eine Dame abgegangen, deren Signalements mit denen der Geflohenen bis auf ein« zelne belanglose Details genaue Uebereinstimmung zeigten. Leider habe er erst nach Abgang des Schiffes von der Tat sache Kenntnis erhalten. Er ersuche mich um weitere Ver haltungsmaßregeln. Ich drahtete zurück, ich würde die Spur- persönlich verfolgen, packte rasch meine Sachen und ließ mich hinaus nach dem Hafen fahren. Hier forschte ich nach einem Boote, das mich nach einer Stelle bringen könnte, an welcher der aus der Elbe in die Nordsee einfahrende Dampfer vorbeikommen mußte. Lange scheiterten alle Be mühungen, entweder hatten die Schiffer keine Lust oder ihre Boote waren nur zu langsam, so daß ich fürchtet, nicht rechtzeitig am Platze zu sein. Endlich erklärte sich noch der Besitzer einer gerade zur Abfahrt fertig liegenden Jacht, Baron v. Settern, bereit, im Interesse meiner Aufgabe sein Schiffchen meinem Dienste zu widmen. Alles Uebrige wissen Sie. Ich kam an Bord, noch zweifelnd, ob ich nicht auf ganz falscher Fährte sei, in welchem Falle ich beabsich tigte, das Schiff in Antwerpen wieder zu verlassen. Nun mehr bin ich jedoch überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein — bloß den sicheren Nachweis vermag ich noch nicht zu führen, und dazu, Herr Professor, sollen Sie mir helfen, wenn Sie wollen." „So glauben Sie wirklich, auf dem .Siegfried' halte sich der Verbrecher mit seiner Helfershelferin verborgen?" „Ich bin überzeugt davon." - „Aber wer sollte das sein? In der Kajüte logiert niemand mit einem rötlichbraunen Vollbart, überhaupt nie- mand, auf den nur der Schatten eines Verdachtes fallen könnte. Ob im Zwischendeck —" Der Inspektor schüttelte den Kopf. „Meine Vögel sind für daS Zwischendeck zu vornehm. Sie fliegen in der Kajüte, Herr Professor. Natürlich würden Sie den rötlich braunen Vollbart vergeblich suchen, einen Bart kann man sich aber abschneiden und das Haar färben." „Gegen wen aber richtet sich Ihr Verdacht, und wie sollte ich —" „Gerade Sie verkehren am mehren mit tynen — we nigstens mit der Dame," verbesserte sich der Inspektor. Der Professor begann fieberhaft unruhig auf seinem Platze hin und her zu rücken. „Ich? Sie — Sie wollen doch nicht sagen —" „Ich rede von Herrn und Frau Leonhardi", bestätigte der Polizeibeamte in förmlich triumphierenden Tone. Holm sprang auf, wie von einem Dolchstich getroffen. „Unmöglich, ganz unmöglich!" rief er heftig und laut. „Flohr zog ihn hastig auf die Bank zurück. „Herr Professor, um Gottes willen, Sie verderben mir alles! Leise, leise, wenn ich bitten darf. Ich glaube wohl, daß Sie bestürzt sind — Sie empfinden Sympathie für die Dame, ein Gefühl, welches die wahrhaft hinreißende Schön heit und Lieblichkeit des jungen Mädchens erklärlich er scheinen läßt, aber —" „Woher wissen Sie das?" Der Inspektor lächelte. »Wozu wäre man Kriminalist, wenn man die Kunst der Beobachtung nicht verstände? Schon in den ersten Stunden erlangte ich diese Kenntnis — und noch mehr, ich darf Ihnen auch versichern, daß die Dame Ihre Sympathie erwidert. Nehmen Sie sich deshalb in Acht, daß Sie nicht das Opfer einer schlauen Jntrigue werden. Möbius ist nicht der Mann, sich einen Vorteil entgehen zu lassen, und seine Pseudofrau ein willenloses Werkzeug in seiner Hand, daß ihm vermutlich noch manch mal als Lockvogel dienen wird." //Herr Inspektor, Sie verleumden die Dame!" brauste Holm auf. „Gesetzt, Sie hätten mit Ihrer Vermutung recht — was ich noch nicht glaube — so tun Sie ihr niit solchen Voraussetzungen doch bitter unrecht. Die junge Dame mag einer Vertretung zum Opfer gefallen sein, deshalb ist sie noch keine Verworfene. Der erste Blick auf sie lehrt, daß das Edlere in ihr nicht erloschen ist — ihr ganzes Verhalten zeigt ihre Reue, ihren Kummer ihre Verzweiflung. Wer weiß, mit welchen Mitteln der Schurke sie zu zwingen verstanden hat! Nein, nein, — mag sie ge- fehlt haben, aber einer frivolen, einer niedrigen Handlung ist sie so gewiß unfähig wie die Tugend selbst!" Aufgeregt stand der Professor auf und schritt cinigc- niale auf dem Deck auf und ab. Eine Flut von Gedanken schäumte auf ihn ein, in heißen Wellen drängte sich das Blut nach seiner Stirn. Eda, eine Unwürdige? Eda, die ihm als erhabenes Ideal holder Weiblichkeit vorgeschwebt, die er im Stillen wie eine Heilige verehrte? Ihr Ange, Ihr Blick, ihre Züge — strafte nicht alles eine so schnöde Anklage Lügen? Und doch, wenn er an mancherlei Auffälliges sich erinnerte, an ihre Unterredung mit ihrem Gatten im Salon, all ihre ««SfMtett und Unsicherbett, an ihren Ausruf beim An-t blick der wartendenden Jacht, 'an ihre»! Schwermut und den ttefschmerzltchen Ausdruck, der häufig ihren Mund beschattete, — wenn er alle diese Umstände in Erwägung zog, so ge wannen die Behauptungen des Vertreters der Staatsgewalt eine beruhigende Wahrscheinlichkeit. Warum sollte eS auch nicht der Fall sein? Er selbst kannte daS weibliche Herz zu wenig, um seinem Urteil unbedingt zu vertrauen. Inso fern aber, davon war er überzeugt, irrte er sich nicht, als dann nur der Fehltritt einer an sich tugendhaften Seele vorlag und niemals eine verabscheuungswerte Tat, die durch sich selbst Mitleid und Verzeihung verwirkte. Der Inspektor mochte fühlen, was in der Brust des Professors vorging. Er beeilte sich, ihn zu beschwichtigen. Neben ihm hinschreitend Hub er von neuem an: „Verehr tester Herr Professor, was ich soeben sprach, dürfen Sie nicht nach seinem grellen Wortlaut erfassen. Mir lag nur daran, Sie auf die Gefahr hinzuweisen, der eine unbe fangene Natur manchmal unter solchen Verhältnissen eut- gegengeht. Das Leben ist reich an derartigen Netzen und Fallstricken. Was jedoch Fräulein Norden — oder falls ich mich irre, Frau Leonhardt — anbelangt, so schließt sich auch meine Meinung der Ihrigen an. Ich habe die Dame während der letzten Tage mit ArguSaugen beobachtet, so gleichgültig ich auch gegen alle Vorgänge auf dem Schiffe zu sein schien. Sie haben recht, ihr ganzes Auftreten ver kündet etwas Besseres und Höheres, als sich mit dem Schritt, den sie getan haben soll, vereinbaren läßt. Um so mehr fehlt mir diesen Schritt eine hinreichende Erklärung — um so besser verstehe ich die gewaltige Sensation, welche er überrall hervorrief, und den unendlichen unstillbaren Schmerz ihres Vaters." Holm nahm die Worte schweigend hin, erst nach einiger Zeit setzte er das Gespräch mit der plötzlichen Frage fort: „Und was haben Sie für Beweise für Ihren Verdacht, Herr Inspektor? Sie haben eine schwere Beschuldigung erhoben — Sie sind mir die Gründe schuldig, welche dafür sprechen." „Sie sollen diese Gründe vernehmen, Herr Professor. Zunächst trifft die Beschreibung, welche ich erhalten, im wesentlichen auf das Aeußere der genannten Personen zu. Ich sage: im wesentlichen, weil das Signalement aus ver schiedenen Ursachen notwendig ungenau sein muß, hauptsächlich deshalb, weil die Flüchtigen natürlich darauf bedacht gewesen sind, ihr Aussehen möglichst zu verwandeln. Außerdem ist mir Elisa Norden der Gestalt nach unbekannt, ebenso der Kassierer. Nun bietet mir aber die Person des letzteren verschiedene gewichtige Verdachtsmomente " „Welche?" „Sein Haar und Schnurrbart zeigen eine tiefschwarze Farbe, während di» Augen braun sind." „Das kommt vor." „Gewiß, aber nicht häufig, man könnte es wst schon ein Naturfpiel nennen. Ich habe mein Augenmerk des halb vor allem auf die Ergründung der Tatsache ge richtet, ob die Farbe der Haare Leonhardi's echt ist oder nicht." - „Wie wollen Sie darüber Aufschluß erlangen?" „Ich habe ihn bereits erlangt die Farbe ist unecht!" .In der Tat?" „In der Die Feststelluna war für einen er fahrenen Polizeimann nicht schwer. Ich behaftete meine Finger mit einer Säure, worauf ich, als Leonhardi noch an der Mittagstafel saß, an ihm vorbeiging und so, als ge schehe es absichtslos oder aus Versehen, mit meiner Hand seinen Kopf streifte. Mein Mittel bewährte sich vor- züglich- meine Finger zeigten die- Spuren schwarzer Farbe!" „Allerdings ein beachtenswertes Moment, aber nicht durchschlagend. Es gibt zahlreiche Leute, die aus Eitelkeit thr Haar färben." „Ich weiß und lege daher dem Umstand auch nur ge ringere Bedeutung bei. Doch weiter. In zweiter Linie war ich auf die Prüfung der Legitimationspapicre unseres Mannes bedacht. Natürlich durfte er nichts von meiner Absicht erfahren. Ich hatte meinen Stand und meine Aufgabe, allerdings ohne mich näher über die meinen Verdacht erregenden Persönlichkeiten zu äußern, sofort beim Betreten des Schiffes dem Kapitän und später auch dem Quartiermeister in einer vertraulichen Unter redung enthüllt- ohne Bedenken konnte ich daher den letzteren befragen, auf Grund welcher Dokumente er seiner zeit die Passagiere der Kajüte, darunter auch das Ehepaar, in die Passagiccliste eingetragen habe. Ich erhielt den Be scheid, es habe ihm eine auf den Namen des Herrn und )er Frau Lonhardi ausgestellte sogenannte Paßkarte vorge- egeu, von der Behörde in Berlin auSgeferttgt und zweifel- os echt, giltig für daS ganze Jahr. Auch die darauf ent- -altene Persoualschilderung entsprach vollkommen der Wahr- )eit. Wie sich der Herr tu Besitz einer solchen Karte zu etzen vermocht, ist mir freilich ein Rätsel." „Soviel mir bekannt, muß man m eigurr Person er- cheinen, wenn man einen Paß ausgestellt haben will, und ich außerdem legitimieren." „Ganz recht. Wer kann wissen wie er daS angefangen — ein schlauer Kunde scheint er ja zu sein. Weitere Ber- »achtSgründe liefert mir das eigentümliche Verhalten des Paares. In dieser Hinsicht dürften Sie selbst Beo bachtungen gemacht haben." „Ich kann es nicht leugnen,'? entgegnete der Professor mit einem Seufzer. „Zuvörderst - beide erschienen, wie ich erfahren, erst t» letzter Minute an Bord." „DaS ist richtig." »Die erste Frage der jungen Frau galt der Abfahrt deS Dampfers." //Jo, ja." „Als die Jacht, an deren Boid rch mich befand, in Sicht kam, legten beide große Unruhe an den Tag- dle Frau besonders schien von einer mächtigen Aufregung, ergriffen. Ihr ganzes Wesen zeigt überhaupt Unsicherheit uud AengstlHkeit, sie offenbart eine in ihrem Alter unge- gewöhnliche Resignation und Teilnamlosigkeit." „Vielleicht hat sie irgend eine schmerzliche Enttäuschung iu Bezug auf ihre Ehe erfahren," warf Holm zweifelnd ein. „Ich bestreite gar nichts", versetzte der vorsichtige und von unerbittlichem Rechtsgefühl erfüllte Kriminalist. „Ich reihe nur ein Glied an das andere, und schon wird eine ziemliche Kette daraus — möglich, daß die Scheu, die sie vor ihrem Gatten zeigt, die wahrhaft sonderbare Zurück haltung, deren sie sich in Bezug auf ihn befleißigt, die-,' Merkmale innerlicher Entfremdung sind, möglich aber auch, daß sie gerade dein eigentümlichen (Verhältnis, in welchem beide zueinander stehen, ihren Ursprung verdanken." „Würde darin aber nicht ein innerer Widerspruch liegen?" „Wieso?" „Wenn die junge Dame, deren guter Ruf doch ihre bis dahin behauptete Unbescholtenheit verbürgt, sich zu einem so verzweifelten Schritt entschlossen hat, so kann nur eine leidenschaftliche Zuneigung daS Motiv bilden. Sie müßte also von Zärtlichkeit und Innigkeit überfließen, statt ihm mit Stolz und Kälte zu begegnen. Wie wollen Sie sich diesen Widerspruch erklären?" „Mir erscheint er nicht als ein solcher," beharrte der Inspektor. „Gerade weil wir eS mit einem an sich edlen Charakter zu tun haben, müssen wir auf derartige Neaktions- erscheinungen gefaßt sein. Sie hat in Uebereilung gehandelt. Erst, nachdem es zu spät war, kam ihr, waS sie getan, zum vollen Bewußtsein. Sehr oft verwandelt sich dann die anfängliche Liebe in Haß, wie sic ja auch bestrebt sein wird, seine Leidenschaft in Schranken zu halten, .bis ein gesetzlicher Ehcbund beide verknüpft." Professor Gerold mußte die Nichtigkeit dieses Argu ments zugeben. „Warum, wenn Sie Ihrer Sache so gewiß sind," wandte er noch ein, „zögern Sie mit der Verhaftung des Kassierers, und warum nahmen Sie ihn — und auch sie nicht während unseres Aufenthaltes im Hafen von Ant werpen fest?" „Warum?" j,Weil mir doch noch einige Zweifel übrig bleiben, und ich in einem ausländischen Hafen riskieren müßte, daß die dortige Behörde die Schuldigen wieder laufen ließe, sobald ich nicht den vollen und unanfechtbaren Nachweis ihrer Schuld führen kann. Ja, wenn es mir geläuge, einmal einen Blick in den Koffer zu werfen, welchen Herr Leon hardi in seiner Kabine unter dem Bett liegen hat." „Sie glacchen wohl, darin die veruntreute Summe versteckt finden zu können?" „Ich bin davon überzeugt. Der Koffer soll auch sehr schwer sein, wie mir der Stewart, der ihn hineingetragen hat, versicherte." „Und was erwarten Sie nun von mir? Sie haben mir daS noch nicht gesagt-" „Von Ihnen? Ich —" Der Inspektor unterbrach sich plötzlich, neigte das Haupt vor und horchte. „Was gibt es?" „Hörten Sie nichts?? „Nein." (Fortsetzung folgt. vermiicklss. — Eine Ehrung der evangelischen Missionen. DaS Preisrichter-Kollegium der Deutschen Armee-, Marine- und Kolonialausstellung 1907 hat den Evangelischen Missionen die goldne Medaille als EhrenpreiS zuerkannt. Diese Ehrung vedentet zunächst eine Aner kennung der Verdienste, die sich die deutschen MissionS- gesellschaften und ihre Leiter, allen voran der als Missionar in Südafrika und Bahnbrecher in Deutsch-Ostafrika weit bekannt gewordene Berliner Missionsinspektor v. Merensky, um die Ausstellung erworben haben. Allen Besuchern der Ausstellung wird, in der Kolonialhalle die kleine Nische rechts am Zugang zur Rotunde mit den Panoramen Hell- greweS aufgefallen sein, in der die evangelischen Missionen ihren Platz gefunden hatten. Und wer sich Zeit genommen hat, die dort ausgestellten Gegenstände in ihrer sorgfältigen und geschmackvollen Anordnung zu besichtigen, wird die Auszeichnung verstehen, aber auch zugleich begreifen, daß sie noch mehr bedeutet, nämlich die rückhaltlose Anerkennung der großartigen, nationalen Kulturarbeit, die von den evan gelischen Missionen draußen in den Kolonien geleistet worden ist. Welch eine Entwickelung liegt z. B. zwischen der durch die Ausrüstung eines Zauberers in Ostafrika charakterisierten Kulturpertode und jenem auf der Schreibmaschine ge schriebenen Brief der Eliza Cyayuza anS Lwandai, der auf der Ausstellung ausgelegt war, oder zwischen den einfachen Werkzeugen der Eingeborenen und ihren primitiven Hütten und den im Modell ausgestellten und von eingeborenen Arbeitern unter missionarischer Aufsicht erbauten MissionS- bäulern. Und vor alle»» Dingen, welche Geduldsarbeit,