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Beilage zum KrzgeV. Wlksstmud Donnerstag, den 10. Oktober Der Weg zum Leben. . Romw von Erich Ebenstein. (Nachdruck verboten) (SS. Fortsetzung.) „Anfangs dachte man ja, es werde Worüber gehen die andern Male. Dann sprach Dr. Zeller plötzlich v»u einem Herzleiden". ... Wolfgang nickte: „Ich wußte daS. Als ich sie damals untersuchte, fand ich es sofort, und eS machte mir gleich Angst, besonders in Verbindung mit dem übrigen Zustand." „Sie fühlte sich ja gar nicht schlecht," fuhr der Pro» feffor fort, „ihre Augen leuchteten frisch wie der Tag, und die Wangen blühten im schönsten Rot, auch sprach sie unaufhörlich und wollte gar nicht im Bett bleiben. Nur Schlaf fand sie keinen, und essen wollte sie durchaus nicht. Ich glaube, sie hat seit Ihrer Abreise nicht ein einziges Mal geschlafen. , , , Gestern früh, als Dr. Zeller sie untersuchte, schüttelte er bedenklch den Kopf. Draußen sagte er zu mir: „Sie will mir gar nicht gefallen. Diese hastige Unruhe und die völlige Schlaf- losigkeit... ich fürchte, lange kann sie das nicht mehr aushalten." Ich glaubte ihm nicht. Aber am Abend war sie tot. Ganz plötzlich . . . ohne Schmerz, ohne Kampf, ohne das geringste Bewußtsein des Sterbens ... wir konnten ihr gerade noch die Augen zudrücken . . ." Und er fing wieder an, ! still und bitterlich in sich hin ein zu weinen. Dann gingen sie hinüber m das Sterbe zimmer. Kamilla war nicht aufgebahrt worden. Frau Thomas haßte diese Schaustellung eines Toten. Ganz friedlich lag sie in ihrem Bett, als schliefe sie. Das Zimmer war geschmückt mit Herbstlaub und den letzten Blumen des Jahres. Ueber dem Bett aber lagen weiße Rosen - so dicht lagen sie, daß nur das Gesicht frei blieb, das weiß und geheimnisvoll mit einem fragenden Ausdruck aus all den Blumen herausleuchtete. Wolfgang kniete erschüttert nieder und vergrub das Gesicht in die weißen Rosen. So blieb er lange auf den Knien liegen, regungslos und stuinm. Frau Thomas und ihr Gatte standen scheu in einiger Entfernung und warteten, bis er sich erhob. Beim Ver lassen des Zimmers stützte sich Frau Thomas schwer auf Wolfgang, und während der Professor vorausging, murmelte sie trostlos: „Mit ihr habe ich alles verloren auf dieser Welt. Was übrig bleibt ist ein Häuflein Pflichten, weiter nichts." Als Wolfgang stumm ihre Hand drückte, erwiderte sie den Druck und sagte leise mit warmem Ton: „Sie aber sind für mich Kamillas Vermächtnis, denn außer uns hat sie Sie am meisten geliebt. Im Herzen lieb' ich Sie längst wie einen Sohn!" Ihm traten Tränen in die Augen bei diesen Worten. Sie sagte es einfach und schlicht, ich lieb' dich, weil dich mein Kind liebte! Und kein Raum war in ihrem grob fühlenden Herzen für die Erwägung, daß er absichtslos ja auch der Zerstörer des jungen Lebens geworden war. Daß er Wecker und Vernichter zugleich für Kamillas Seele ge wesen. Sein Herz war übervoll. „Mutter!" sagte er leise, denn es schien ihm Ent weihung, wenn der Professor gehört hätte, was sie sprachen. „Dank, daß ich Sie mit diesem heiligen Namen nennen darf!" „Sage du, ich bitte dich darum, Wolfgang! Das kalte Sie errichtet eine Schranke zwischen uns." Der Professor erstaunte nachher sehr, als er das „Du" zwischen den beiden vernahm. „Sollte man es denken, daß wir Sie noch kaum ein halbes Jahr kennen? Aber meine Frau hat rechts für den Verkehr mit Menschen, der so ganz auf Sympathie oder Antipathie beruht, lassen sich keine Normen aufstellen. Darf ich auch du sagen?" Natürlich willigte Wolfgang mit Freuden ein. An: nächsten Vormittag war Kamillas Begräbnis. war Frau Thomas gelungen, die Erlaubnis zu er- hüllen, das; man Kamilla im Park von Solitude begraben durfte. Außer der Familie, dem Arzt und den beiden Mägden waren nur einige Bauernfamilien zugegen, mit denen Kamilla in Freundschaft gelebt hatte. Kein söge- uauntcs „Publikum" also, sondern nur wirklich Trauernde. DaS gab dem düstern Vorgang etwas Versöhnendes. Als alles vorüber war, blieben die Eltern und Wolfgang noch an: Grabe stehen, und Fran Thomas sagte: „Gottlob, daß sie hier ruhen darf l Einsam und unbelästigt wie im Leben, von den Bäumen ringsum behütet und von der blauen Ferne gegrüßt!" „Und umgeben von denen, die sie liebten," setzte Wolf gang hinzu, „denn auch ich kehre nicht mehr nach M. zu- rück." Später setzte er ihnen seinen Lebensplan auseinander. Sie waren ganz glücklich darüber, besonders Frau Thomas, welche bemerkte: „Selbstverständlich bleibst du doch bei unS in Solitude? Du hast ja von hier näher zu deinen Patienten. Denn du reflektierst — habe ich eS richtig ver- standen — ja ohnehsn nur auf die Armen, nicht? ,/Jawohl. Ich werde absolut nur eine unentgeltliche Praxis äuSübrnund alle diejenigen, die zahlen können, Wor Zeller überlasse«. Wenn Ihr mich und meiner, Diener al» Mieter in Solitude aufnehmen wollt, werde ick Luch sehr dankbar sein." „Ich weiß noch etwas Besseres", sagte Herr Thomas mit einem etwas ängstlichen Seitenblick auf seine Frau, „machen wir die Sache umgekehrt. Ich habe mir heute nacht überlegt, daß es nun doch keinen Zweck hätte, sich hier länger in der Einsamkeit zu vergraben. Geschah es doch nur um Kamillas willen! Ich sehne mich nach Menschen, nach wissenschaftlicher Anregung, wo ich für meine Sammlungen das nötige Verständnis finde, kurz, ich möchte wieder nach Wien ziehen!" und ohne auf die erschreckten Blicke seiner Frau zu achten, fuhr er lebhaft fort: „Wenn du Solitude kaufen willst ... ich glaube, über den Preis könnten wir unS leicht einigen ... ich will kein Geschäft dabei machen ... und dann mieten wir dir ein Zimmer ab, wo ww alljährlich sie Sommermonate verbrämen." „Du willst nach Wien?!" stammelte Frau Thomas leichenblaß . . . „fort nach Kamillas Grab? Ich bitte dich, Viktoria, das kann doch dein Ernst nicht sein!" „Es, ist sehr mein Ernst. Ich hab' es mir heute nacht gründlich überlegt," antwortete er eigensinnig, den stechenden Blick seiner Frau geflissentlich ausweichend. „Willst du mich vielleicht allein gehen lassen? Kamillas Grab können wir ja besuchen, so oft wir wollen . ." „Daß du mir das antun kannst!" murmelte sie völlig fassungslos. „Jetzt, auf einmal! Du warst doch immer so gerne hier!" „Kamillas wegen, ja. Es mußte ja sein. Aber nun können wir doch in Wien viel angenehmer leben. Geh, Kordula, sei nicht schwerfällig. Du wirst ganz froh dort jein. Kannst Verkehr haben, Theater besuchen und tausen derlei Anregungen finden, die dir hier fehlen." Frau Thomas warf einen Blick auf Wolfgang, als wollte sie sagen: Verstehst du nun mein ganzes Martyrium? So genau kennt er mich, daß er glaubt, ich konnte Ersatz finden im Vergnügen. Ich!! Aber sie schwieg. Nach einer sehr langen Pause sagte sie inbrünstig: „Ich liebe diese Scholle unendlich! Mit ganzer Seele hänge ich daran . . . aber wenn du dich so sehr nach Wien sehnst, will ich dir nicht entgegen sein, Viktoria." Er nickte, als sei das nur selbstverständlich. „Recht so. Wir Männer wissen besser, was Euch Frauen taugt. In zehn Tagen siedeln wir über." Ein schwermütig resigniertes Lächeln flog über ihr Gesicht. Wolfgang sah, daß ihre Augen sich langsam mit Tränen füllten. Dann erhob sie sich und verließ das Zimmer, ohne daß ihr Mann ihre Abwesenheit auch nur bemerkte. Wolfgang hörte den geschäftlichen Auseinandersetzungen des Professors geduldig zu und willigte in alles. Er hätte auch sofort eingewilligt, Solitude zu kaufen, wenn Thomas eine viel höhere Summe dafür angesetzt hätte, als er es tat sächlich tat. Schon am nächsten Tage sollte der Kauf rechtskräftig gemacht werden. Als dies erledigt war, sprach der Professor mit kindischer Freude nur noch von seinen Sammlungen. Wie diese gepackt, übergeführt und in dem neuen Wiener Heim wieder aufgestellt werden sollten, be schäftigte ihn ganz. * Es war Abend, und der Schnee fiel in weichen, dich ten Flocken zur Erde. Wolfgang saß in seinem Zimmer und wartete auf das Abendessen, das Martin bringen sollte. Er war müde zum Umsinken. Havelock und Stie fel lagen durchnäßt im Vorzimmer. Nun durchrieselte ihn ein wohliges Wärmegefühl in den trockenen Kleidern, hier neben dem warmen Ofen, der, mit harzreichem Tannenholz genährt, einen angenehmen Geruch ausströmte. Sein Gesicht trug einen frischen, zufriedenen Aus druck. Die ersten .vier Wochen in Solitude waren ihm wie im Fluge vergangen. Kranke gab es um diese Jahres zeit genug, und es verging kein Tag, an dem man nicht seine Hilfe mehrmals begehrte. Viele kamen zu ihm mit ihren Gebrechen, andre suchte er in ihren Häusern auf. Das kostete Zeit und Mühe, aber er fand reichlichen Lohn in der wachsenden Liebe seiner kleinen, armseligen Gemeinde. Mit Doktor Zeller begann ihn mehr und mehr ein herzliches Freundschaftsgefühl zu verbinden. Sie hatten die alte Universitätskollegialität wieder aufgefrischt, und da sie ganz verschiedene Naturen waren, fanden sie aneinander mehr und mehr Gefallen. Jeder fand im andern diejenigen Eigenschaften, die ihm sel«r fehlten, und da keiner mit seiner Meinung hinter dem Berge hielt, kam jene» Salz in ihre Unterhaltung, das den Verkehr erst angenehm macht. Wolfgang streckte seine Füße behaglich noch mehr in die Nähe des Ofens und schloß die Augen. Ja, er war zufrieden mit seinem Lose. Immer besser begriff er das Bibelwort: Und wen» des Menschen Leben köstlich war, daun war es Arbeit . . . Plötzlich sprang er auf und trat all den Schreibtisch. Dort standen zwei Bilder in Bronzerabmen, Kamilla in ihrer blühenden, stattlichen Schönheit, und Martha Torolandt mit ihrem unscheinbaren, schmalen Mädchengesicht, aus dem die dunkeln Augen verträumt auf den Beschauer blickten. Wolfgang nahm das Biltz und küßte es, dann betrachtete er e» lauge und zärtlich. ES war sonst immer sein erster Weg zu dem Bilde, da» er begrüßte, wie wenn es ein lebendes Wesen gewesen wäre. Heute hatte er eS au» Müdigkeit vergessen, aber als er sein Leben in Gedanke« überblickte, fiel es ihm sofort ein. - ^Du fehlst mir," ttiuvMe er lei!?, „du hättest zux Zufriedenheit auch da» Mück gefügt. Und nun irrst du irgendwo draußen in der Welt herum und weißt nicht einmal, baß un» nicht» mehr trennt. O Martha, süßeS, törichtes Mädchen, wie nutzlos hast du dich und mich ge opfert l" Schwere Tritte unterbrachen seinen Gedankeugang. Draußen stampfte jemand den Schnee von den Füßen, dann klopfte e» eneratsch an die Zimmrrtür. Rasch stellte Wolfgang das Bild hin und wandte sich um. „Ah, du bist'», Leo! Wie nett voll dir, bei diesem Wetter noch hheraujzusteiaen. Ich mar wirklich zu müde, dich unten aufzusuchen, obwohl uh sehr nach dir verlangte,,- „Ja, es ist »licht gut, wenn der Mensch allein ist", sagte vr. Zeller lächelnd, „das fand ich auch, drum kam ich, sintemalen ich ein ebenso armer, unbeweibter Jung geselle bin wie du. Aber höre, Wolfgang, hast du schon zu Nacht gegessen? Ich habe nämlich einen Wolfshunger. Bin direkt vom letzten Patienten zu dir gekommen und hoffe, du hast auch für mich ein paar Biffen." „Ich denke, ja", gab Wolfgang lachend zurück. „Bier ist genug im Keller, und Martin sorgt auch stets für ge nügende Vorräte an Eiern und Schinken. Wir wolle« gleich mal Nachsehen." Beide traten in das Nebenzimmer, wo Martin eben ein zweites Kuvert auflegte. Eine Schüssel Schinken, Butter, Käse und Eier stau» den bereits auf dem Tisch. „Na — lukullisch ist's ja nicht bei mir, daS weißt du. Aber hungern wirst du auch nicht müssen. Genug ist immer da." (Fortsetzung folgt. vermilMos. — Der Panzerkreuzer dessen Bau soeben an die Werft von Blohm und Boß iu Hamburg vergeben worden ist, wird als Turbinenschiff gebaut und wohl 19000 bis 20000 Tonnen groß werden. Bestimmtes läßt sich darüber natürlich noch nicht mitteilen - doch kann man allein schon aus den Baukosten ersehen, daß „F" an Größe gan- bedeutend über „L" hinausgehen wird. Sind für den Panzerkreuzer „L", der 15 Raummeter Wasser verdrängt und der Kaiserlichen Werft in Kiel übertragen worden ist, 27,56 Mill, an Gesamtkosten ausgeworfen, so werden sich diejenigen für auf 36,5 Millionen belaufen, wovon 26 Mill, (statt 18,5 Mill.) bei „L", auf den Schiffskörper fallend In den Erläuterungen zum Staatshaushalt wird ausdrücklich darauf hingewlesen, daß das Vorgehen anderer Staaten eine Steigerung der Größe, sowie eine Verstärkung der Bestückung notwendig machen. Gegen „L" erhöhe» sich die Bestückungskysten von um 1,5 Millionen auf 10 Millionen, bleiben damit also hinter den Linienschiffen nur noch um 3,5 Millionen zurück. Als Bauzeit sind für den Panzerkreuzer „P" vier Jahre gerechnet worben - im vierten Jahre soll der Kreuzer soweit fertig sein, daß er seine Probefahrten erledigen kann. Durch Liefe neue Ver gebung streckte die Werft jetzt zum dritten Male den Siel eines großen Kreuzers für unsere Flotte. Sie baute bisher die Panzerkreuzer „Friedrich Karl", „Uork" und „Scharn horst." Der letztere Neubau ist erst in den letzten Wochen fertiggestellt worden. — AuS der „Stadt der Intelligenz" be» richtet die „Nordd. Allg. Ztg.": Kürzlich kamen 'zu einem Geschäftsmanne in der Alexanderstraße Ztgeunerwetber, die eine Kleinigkeit kauften. Die eine bedauerte den Mann, daß er krank sei. Der Mann glaubte ihr und war bereit, sich von ihr durch ein Sympathiemittel heilen zu lassen. Für sein Geld holte das Weib aus der nächsten Apotheke eitlen Tee. Dann forderte es ihn auf, all sein Silbergeld — es waren etwa 50 Mark — aus der Kasse zu nehmen und mit dem Tee zu mischen. Diese Mischung mußte nun der Mann aus seinen Händen in die ver Zigeunerin durch sickern lassen. Dann gings umgekehrt usw. Das letzte Mal mußte der Mann die Mischung länger halten. Eine Hand voll nahm ihm die Ztgeneunerin ab. Sie hatte ihm streng befohlen, über die Anwendung des Mittels zu schweigen, weil es sonst nicht wirke. Dann verließ sie den Laden, um bald wieder zu kommen. Das vergaß sie aber. Der Geschäftsmann stand noch eine Weile mit der Mischung in den Händen, bis es ihm zu lange dauerte. Jetzt fand er, daß die Zigeunerin nicht bloß die Hälfte des Tees, sondern auch sein Silbergeld mitgenommen hatte. Er war so unvorsichtig, sein Erlebniß zu erzählen und hat infolge dessen seine Krankheit behalten, während er sein Geld los ist. — Auch ein Jmpfzeugnis. Das „Wiener Extrablatt" bringt folgendes amüsante Bildchen vom Wiener Blattern-Kriegsschauplatz: Der Jmpfdoktor geht noch immer um im Burgtyeater. Kürzlich langte er nach einem neuen Opfer. Er traf Hugo Thimig in einem Flur des Hofschausptelhauses un) trat rasch auf ihn »u mit den Worten: „Ihr Jmpfzeugnis will ich wissen. Ihre Heimat, Ihre Sippschaft." Und der Künstler antwortete ebenso frei nach dem Asra: „Ich heiße Hugo Thimig, ich bin au» Dresden und mein Stamm waren jene Handschuh macher . . ." Wetter kam er nicht, weil der Arzt sehr gemessenen Tones auf seine dekretierten Pflichten verwies, V0l» jedem Mitglied« unweigerlich ein Jmpfzeugnis ein- zuholen. Widrigenfalls — und so weiter, Herr Thimig, der ein folgsamer Staatsbürger ist, versprach, dem Auftsge