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Peter Tschaikowsky zum Gedächtnis Ein zweites Konzert Peter Tschaikowsky zum Gedächtnis. Am 7. Mai, genau an dem Tag, da wir seinen 100. Geburtstag begingen, fand das erste statt. Daß ein zweites angesetzt werden mußte, zeugt für die Be liebtheit des russischen Meisters. Daß auch in diesem Konzert auf viel seitigen Wunsch hin die sechste Sinfonie gespielt wird, für die Popularität gerade dieses Werkes. Das heutige Programm zeigt drei Lebens- und Schaffensstationen auf. Aus dem Jahr 1869 stammt die „Ouvertüre zu Romeo und Julia, Fantasie für Orchester“. Tschaikowsky war also 29 Jahre alt, als er sie schrieb. Er war damals Lehrer am Konservatorium in Moskau, wohin er 1866 übersiedelt war. Die Ouvertüre, eines seiner frühen Werke, ist zugleich eines seiner bedeutendsten. Eines von den vielen, die sich in den europäischen Konzertsälen gehalten haben. Wie schon der Untertitel „Fantasie“ aussagt, hat Tschaikowsky kaum daran gedacht, daß diese Ouvertüre bei Aufführungen des Shakespeare- schen Werkes als Einleitung gespielt werden soll. Es ist vielmehr ein echtes Konzert-Werk, eine „sinfonische Dichtung“, die uns das in Tönen erzählt, was wir bei dem Dichter auf der Bühne erleben. Wir wissen ja, daß der Stoff die Musiker immer schon angezogen hat. Dresden hat erst kürzlich in der Staatsoper wieder einmal eine „Romeo-und-Julia-Oper“, das Werk des jungen Schweizer Komponisten Heinrich Sutermei6ter, erlebt. Um so interessanter für den Musikfreund, jetzt Tschaikowskys Nachdichtung erleben zu können. Ein „Andante non tanto, quasi moderato“ leitet das Werk ein. Man kann es rein formal als die in der Ouvertüre beliebte langsame Einleitung auf fassen, man kann es aber „inhaltlich“ deuten, sei es daß man aus dem choralmäßig verhaltenen Ton etwas wie eine düstere Ahnung des kom menden traurigen Geschicks heraushört, sei es daß man die Stelle so deutet, als habe der Komponist hier an die heimliche Trauung der Lie benden durch Bruder Lorenzo gedacht. Der Hauptteil (Allegro giusto) läßt den Kampf der beiden feindlichen Adelsgeschlechter aufflammen. Tschaikowsky ist ein Meister solcher musikalischer Auseinandersetzungen — ich erinnere an die „Ouvertüre 1812“, die im letzten Konzert zu hören war. Aus der Musik des Zwistes und des erbitterten Kämpfens blüht hier eine herrliche, sinnlich blühende Melodie auf: das Lied von der Liebe Romeos und Julias. Es klingt hinüber in die helle, bestirnte Sommernacht, die Tschaikowsky mit wunderbaren Tönen malt, und steigert sich zu einem glühenden leidenschaftlichen Nachtgesang der Liebe. Von diesem Gegensatz lebt der Hauptteil, an den sich ein Epilog anschließt (die klare Gliederung der Ouvertüre ist nicht ihr geringster Vorzug), ein „Moderato assai“, das den Tod der Liebenden besingt, aber auch ihre mystische und unlösbare Vereinigung im unsterblichen All. Das Werk hatte bei seiner Uraufführung in Moskau so gut wie keinen Erfolg. Der junge Tschaikowsky aber wußte: „Überblicke ich mein Leben seit meinem Abgang von der Schule für Rechtswissenschaft, so sehe ich mit Freuden, daß die Zeit nicht nutzlos vertan worden ist.“ Wenige Jahre später, 1874, schrieb er sein bedeutendstes Klavier konzert, das in b-Moll. Es gehört zu seinen größten Erfolgen. Er hatte es ursprünglich dem Juden Nikolai Rubinstein gewidmet. Als dieser sich aber ungemein abfällig darüber äußerte (aus reiner Freude am Kriti sieren und aus Herrschsucht), entfernte er die Widmung und schrieb dafür den Namen Hans von Bülows, der sich sehr für Tschaikowskys Mu sik eingesetzt hatte. Der Komponist hat es übrigens,vielleicht noch unter dem Eindruck der Rubinsteinschen Kritik, fünfzehn Jahre später um gearbeitet. Einen „Zweikampf zwischen Klavier und Orchester“ hat man es ge nannt und damit zum Ausdruck gebracht, daß das sehr vollgriffig be handelte Soloinstrument ein gleichwertiger Partner des Orchesters ist. Aber auch — daß es an den Spieler allerhand Anforderungen stellt. Der erste Satz ist der umfangreichste. Er wird mit einer Einleitung eröffnet, in der der Solist gewaltige Des-Dur-Akkorde auftürmt, während das Orchester das erste Thema verkündet. Dann werden die Rollen ver tauscht. Dem Klavier wird hier schon eine Solokadenz zugewiesen. Der Hauptteil des Satzes lebt von dem Gegensatz eines ersten unruhvollen und eines zweiten, eines echten Gesangsthemas. Am Schluß eine große Kadenz, die von Tschaikowsky selbst stammt. Der zweite Satz ist zweiteilig. Zuerst singt die Oboe eine sanfte Melodie zur Pizzikatobegleitung der Streicher, dann übernimmt sie der Solist. Der Mittelsatz (Allegro vivace assai) huscht vorbei, ein paar Walzertakte wiegen sich, drehen sich und verwehen wieder, dann wird der erste Teil wiederholt. Das Finale wird von einem prickelnden Thema beherrscht, das der Solist nach einer Orchester-Einleitung von vier Takten in die Debatte wirft. Auch der gesangliche Gegensatz fehlt nicht, doch tritt er dem Hauptthema gegenüber in den Hintergrund. Das Gesangsthema (wenn man es bei seiner Kürze so nennen darf) tritt am Schluß des Satzes noch einmal verbreitert auf (Molto meno mosso). Ein „Allegro vivo“ bildet den zündenden Abschluß des effektvollen Werkes. Und nun die sechste Sinfonie. Ihr Aufbau wurde in der Einführung zum letzten Konzert skizziert. Wir wollen heute den Komponisten selbst über sie sprechen lassen. (Wir entnehmen die Briefstellen dem Buch „Geliebte Freundin“, das Tschaikowskys Leben und Schaffen vor allem an Hand des Briefwechsels mit Nadeshda von Meck schildert.) Am 22. Februar schreibt der Komponist an seinen Neffen Wladimir Dawy- dow: „Ich möchte Dir mitteilen, in welch angenehmer Stimmung ich mich anläßlich meiner Arbeit hier befinde. Du weißt, daß ich eine im vorigen Herbst zum Teil entworfene, zum Teil instrumentierte Sinfonie vernichtet habe. Ich habe recht getan, denn sie enthielt wenig Gutes und war nur ein leeres Spiel mit Tönen, ohne echte Begeisterung. Auf der Reise kam mir der Gedanke an eine neue Sinfonie, diesmal eine mit einem Programm, aber einem Programm, das allen ein Rätsel bleiben wird. Mögen sie selber dahinterkommen; die Sinfonie soll aber auch so heißen: ,Programmatische Sinfonie* (Nr. 6). Dieses Programm ist durch und durch von meinem eigensten Sein erfüllt, so daß ich, unterwegs in Gedanken komponierend, oft heftig weinte. Jetzt heimgekehrt, machte ich mich an die Niederschrift der Entwürfe, und die Arbeit ging mir so schnell, so ungestüm von der Hand, daß in weniger als 4 Tagen der erste Satz vollkommen fertiggestellt wurde und die übrigen in meinem Kopf bereits klar Umrissen sind. Die Hälfte des dritten Satzes ist bereits fertig. In der Form bringt sie viel Neues, so wird u. a. das Finale kein lautes Allegro, sondern im Gegenteil ein sehr gedehntes Adagio sein. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie selig ich bin, da ich mich überzeugt habe, daß es mit mir noch nicht zu Ende ist und ich noch arbeiten kann. Vielleicht irre ich mich, aber es sieht nicht danach aus.“ Und an seinen Bruder Modest schreibt er am 3. August 1893: „Ich stecke bis zum Halse in meiner Sinfonie. Je weiter ich mit der Instrumentierung komme, um so schwieriger wird sie ...“ Aber schon am 15. August meldet er dem Neffen: „Die Sinfonie, die ich Dir widmen wollte ..., macht Fortschritte. Ich bin mit ihrem Inhalt sehr zufrieden, aber un zufrieden oder richtiger, nicht ganz zufrieden mit der Instrumentierung. Es wird noch nicht ganz so, wie ich es mir vorstellte. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Sinfonie, wie ich es ja gewohnt bin, nur ge ringen Erfolg haben und Schmähungen erdulden sollte; das wäre ja nicht zum ersten Male so. Ich aber halte sie voller Zuversicht für das Beste und vor allem für das Aufrichtigste aller meiner Werke. Ich liebe sie so, wie ich noch nie eins meiner musikalischen Kinder geliebt habe.“ In der Tat, die Uraufführung hatte nur geringen Erfolg. Er wurde dann später um so größer. Doch der Verfasser konnte sich nicht mehr darüber freuen. Wenige Tage nach der ersten Aufführung trank Tschaikowsky das todbringende Glas Wasser. Dr. Karl Laux. V oranzeige Donnerstag, den 18. Juli 1940, 20 Uhr, Gewerbehaus, Ostra-Allee 13 BRAHMS-ABEND Leitung: Paul van Kempen Solist: HELMUT ZERNICK Träger des Staatspreises 1940, der in der vorigen Woche von Reichsminister Dr. Goebbels verteilt wurde. Akademische Festouvertüre / Violinkonzert D-Dur / Erste Sinfonie