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Zu Nummer 2: Don Juan. Der Don Juan der Weltliteratur ist der Mensch der Renaissance, der Ich-Mensch, der Willens-Mensch, der Mensch der Tat. Die gesteigerte Verkörperung des alles bejahenden Lebensgenusses, der Vitalität. Der Freudenrausch, der im faustischen Ringen mit Hölle und Tod sein „Ich“ behaupten will. Der sprühende, rück sichtslos fordernde, rücksichtslos opfernde, kraftstrotzende, vom Leben berauschte, durch Lebensgenuß berauschende Vertreter des sich über alle Hemmnisse und Schranken hinwegsetzenden Ichtums. Die genialste musikalische Inkarnation dieses Begriffes ist das Champagnerlied von Mozart. Aufreizender Rhythmus, sieghafte, strahlende, melodische Linie, lebensstrotzende Harmonisation, da hinjagendes Tempo — ein großer gewaltiger Atemzug im Jauchzen der betonten Vitalität — das ist alles Mozarts genialer Wurf. Davon geht Braunfels in seinem Orchesterwerk aus. Auch Braunfels setzt sich musikalisch mit der Don-Juan-Erscheinung auseinander, nimmt aber als Konzentrationspunkt seinerTondichtung das Champagner lied von Mozart, von welchem aus er in schillernden Farben, wie in bunten Prismengläsern Streiflichter über die Erscheinung Don Juans wirft. Braunfels schreibt nicht ein nach allen kunstvollen Regeln aufgebautes Variationenwerk, sondern eine klassisch-romantische Phantasmagorie. Wie in einem zauberhaften Hohlspiegel zeigt er uns seinen Helden in verschiedenartiger Belichtung, deren Kern immer wieder, im Hauptthema von Mozart verkörpert, durchleuchtet. Dadurch kann sich Braunfels auch nicht nur auf dasChampagnerlied und auf Variationen desselben beschränken — er muß die übersinn lichen, irrationalen Welten mit hineinspielen lassen, die sich der alles fordernden Lebensbejahung Don Juans entgegensetzen müssen, für welche das urewige Gesetz des Vergehens ebenfalls vorhanden ist Eine kurze Einleitung eröffnet das Werk. Aus den zwei ersten Takten des Mozart’schen Themas wird ein kleines Motiv zum An fang gebildet. Zweimal unterbrochen durch einen mysteriösen Bläserakkord (Holz- und gedämpfte Blechbläser), dann stürmt das Motiv aufwärts, als ob sich Lebenskräfte zusammenballten — eine Tempoveränderung. Die langsam aufsteigenden Violinskalen aus der Ouvertüre von Mozart: das Erscheinen des Komturs, des Vertreters der irrationalen Welt. Don Juan ringt sich los: wieder das Motiv des Themas. — Feierliche Posaunenakkorde. Unver ändert das Thema des Komturs von der Szene auf dem Kirchhof: „Verbrecher! Entweiche! Gönne Ruhe dem Toten!“ — Ein Mahn ruf! — Der Ich-Mensch regt sich. Eine geniale Steigerung des Orchesters leitet über: Das Thema, das Champagnerlied, braust in vollen Farben der modernen Orchestration dahin. Unmittelbar schließen sich die sogenannten Variationen an. Alle an Farbe und Stimmung verschieden, nicht sklavisch dem Thema folgend, son dern in freiester, melodischer wie rhythmischer Gestaltung. Mit meisterlichem kontrapunktlichen Können lebt sich Braun fels in seiner Phantasiewelt aus. Hier nur einen Takt ausnützend, dort wieder überraschender Tonartwechsel, dann kühne rhyth mische Veränderungen. Der erste Teil zeigt uns Don Juan selbst. Der zweite Teil bringt den notwendigen Gegensatz. Die ge dämpften Streicher bilden mit einer Begleitfigur, entnommen dem Thema, die Unterlage zu einem klagenden d-Moll-Thema der Oboe und später der Klarinetten. Die Erscheinung Elviras, Symbol der Geopferten, die noch in Liebe befangen klagen. Im pianissimo unter dem rhythmischen Motiv erstirbt der Statz. Neue Veränderungen beginnen. Unerschöpflich scheint das Motiv zu sein. Das moderne Orchester entfaltet alle Klangmöglichkeiten. Es sprüht, zuckt, fiebert, jagt, peitscht, kichert, stürmt, braust, hämmert, neckt, spritzt, leuchtet, flattert, poltert, flimmert, jubiliert — ein Taumel der Sinnenlust, ein faunisches Fest der Vitalität, herausgeholt das Letzte aus dem Mozart’schen Thema. Vierter Teil. Der elegante Kavalier erscheint Das Zweiviertel thema wird umgewandelt in drei Viertel. In liebenswürdiger, che- valeresker Weise schmeicheln die Celli, flirten die Violinen, — die Holzbläser sind befangen, in stockendem Rhythmus unterbrechen sie das Schmeicheln der Streicher. Alles unterliegt dem Zauber Don Juans. Besonders charakteristisch: das Zögernde der Oboen und Englisch Horn. Keusch, mädchenhaft — Don Juan siegt! Fünfter Teil. Brutal das Hauptmotiv. Dann in chromatischen Gängen die Violinen. Ein Stocken. Etwas Unheimliches will sich melden. Zwei neue Themen — in Violinen und Bläsern, Celli — stehen sich gegenüber, dazwischen kontrapunktliche Verarbeitungen des Hauptmotivs, zwei Welten: die rationale und die irrationale, im unheilvollen Moll klingt der Teil aus. Der sechste Teil bringt das Tragische in der Don-Juan-Er- scheinung. Alles, was ist, endet. Die vier Hörner und Tuba in tonieren ein machtvolles Thema voll Ernst und Tragik, die Geigen führen es weiter, bis es sich mit den aufsteigenden Skalen des Komtur-Motivs verbindet. Ein Höhepunkt des Werkes. Ein un geheurer Zusammenbruch, geisterhaft, wie in Luft aufgelöst, ver klingen die Komturfiguren in den Streichern. Im letzten Teil steht Don Juan ungebeugt vor uns. Neue Variationen entwickeln sich, bauen sich zu einem hinreißenden Schluß auf — da eine Ueberraschung. Die Streicher halten im Tremolo den es-Moll-Dreiklang fest, dagegen die drei Trompeten in greller Dissonanz in H-Dur das Thema: „Reich mir die Hand mein Leben“! — Die Dissonanz ist die Negation des Treueschwurs. Don Juan kann nicht zum Augenblicke sagen: verweile doch, du bist so schön — nur zwei Takte lang blitzt dieser Gedanke auf, eine kurze harmonische Wandlung—rauschend schließt dasWerk ab. Walter Braunfels, geb. 1882, rechnet nicht zu den Ultra-Radikalen und Atonalen. Er geht von Wagner, Richard Strauß aus, um zu einer abgeschlossenen eigenen Persönlichkeit zu kommen. Er ist einer der bedeutendsten Modernen. Hauptwerke: die Oper „Die Vögel“; dann das Chorwerk: Te Deum laudamus, was in mehr als 40 Städten überall gleichen Erfolg hatte, als letztes großes Werk die Missa solemnis. Braunfels lebt jetzt in Köln als Direktor der Hochschule für Musik. Eduard Mörike. Zu Nummer 3: Till Eulenspiegels lustige Streiche. Der Schelm und Schalksnarr Till, dieser Typus des gesunden und findigen Volkswitzes, ist hier musikalisch abkonterfeit worden. Strauß weiß darin mit wenigen Strichen das Bild eines grotesken Humoristen, eines koboldartigen verzerrten Uebermenschen mit Pritsche und Schellenkappe zu zeichnen, der jedoch wegen eines im Grunde gemütstiefen Naturells ein höheres Interesse abgenötigt hat. Dem Ohr dienen als Ausruhpunkte in dem tönenden Durch einander die vier Volksweisen: Das Pastorenthema, das Philister thema, die Gassenhauerweise Tills und die einfache Melodie des Prologs wie des Epilogs. Die Motive sind folgende: Prolog. „Es war einmal“ ein Schalksnarr, namens „Till Eulen spiegel“. „Das war ein arger Kobold.“ Mit Pritschenschlägen und witzigen Glossen über die am Wochenmarkt sich drängenden und feilschenden Alltagsmenschen eilt er, einen übermütigen Streich planend, dahin, „auf zu neuen Streichen“. „Wartet nur, Ihr Duck mäuser!“ Mit einemmal — entsetztes Kreischen ringsum — setzt er „Hopp! zu Pferde mitten durch die Marktweiber!“ Wie die Huldinnen kreischen! Wie die Töpfe krachen! „Mit Siebenmeilen stiefeln kneift er aus,“ links und rechts Pritschenhiebe austeilend. Wie grotesk sind die langen Sätze des Ausreißers durch den ab wärts stolpernden ersten Teil des „Koboldmotivs“ hier gezeichnet! Fort ist er! „ln einem Mauseloch versteckt!“ „Als Pastor verkleidet, triefend von Salbung und Moral tritt er wieder auf.“ Doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor! Aber ahnungsvoll — „faßt ihn ob des Spottes mit der Religion doch ein heimliches Grauen an vor dein Ende.“ Mit dem Koboldmotiv und der Solovioline ist die musikalische Stimmung zum nächsten Bilde vorbereitet: „Till als Kavalier zarte Höflich keiten mit schönen Mädchen tauschend“. Doch diesmal fängt sein Herz wirklich Feuer. Zart und innig klingt im Orchester die Wer bung, wie man’s dem derben Gesellen gar nicht Zutrauen sollte. „Sie hat’s ihm wirklich angetan.“ „Er wirbt um sie,“ aber es winkt ihm ein Korb. „Ein feiner Korb ist auch ein Korb.“ Wütend fährt Till Eulenspiegel ab und schwört, Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit. Wie gerufen kommt ein Schwarm gelehrter philister hafter Professoren an. In der Maske des promotionslüsternen Kandidaten schreitet Till ihnen entgegen, um ihnen einige ordent liche Nüsse zu knacken zu geben, und „nachdem er den Philistern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt, überläßt er die Ver blüfften ihrem Schicksal.“ Sie aber fingen in fünf Sprachen über diese Thesen zu disputieren an und keiner verstand den andern. Wie der Tumult am ärgsten ist, zeigt eine „große Grimasse von weitem,“ daß auch sie ein neues Opfer des Kobolds wurden. Er aber freut sich des Streiches und „tänzelt, einen Gassenhauer pfeifend, leichtfertig von dannen“. — Hier ist die große Kadenz (die Umkehr) des Werkes; es be ginnt analog der Rondoform die Wiederholung, die jedoch nicht allzulange wörtlich durchgeführt wird. — Eine mächtige Steigerung wird erzielt durch eine große Durch- und Zusammenführung der beiden Till-Themen, andeutend, daß Till nochmals den krampf haften Versuch macht, die Pfade eines gesetzten Bürgers zu wandeln. Es gelingt ihm aber nicht. Ein tolles, schäumendes Leben im Orchester! Till beginnt von neuem ein leichtfertiges Sünden leben, argwöhnisch belauert. Sein Ende ist nahe! Aber noch schießt er doppelte Purzelbäume, ein Streich jagt den andern. Sein Ueber- mut kennt keine Grenzen mehr. Der dramatische Höhepunkt naht, vom Komponisten ergreifend gestaltet. Kurz vor dem Eintritt der Katastrophe tobt Till am tollsten. Doch plötzlich hat ihn der Büttel am Genick. Er wird vor das Gericht finsterer Ratsherren geführt. „Er pfeift noch gleichgültig vor sich hin.“ Doch immer drohender tönen die Posaunen des Gerichts. Alle seine Sünden werden ihm vorgehalten. Der Henker kommt. Ungemein charak teristisch ist der scheinbar atemlose Flötentriller, der das Aus gehen der Luft des aui Strick Zappelnden malt - Der Epilog nimmt die volkstümliche Melodie des Prologs mit einer Schluß wendung auf und führt sie 12 Takte lang sequenzartig weiter. Leise erklingt dann in der tiefen Klarinette noch einmal Tills Koboldsmotiv.