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ZUR EINFÜHRUNG Anton Bruckner kam als Vierzigjähriger zur Sin fonie, ja zum eigentlich Schö. ferischen. Von seiner dritten Sinfonie an zeigt er sich auf dem ihm eigenen Gebiete mit einer nur ihm eigentümlichen Sprache. Und diese Sprache eines Begnadeten wurde in der Welt erst spät verstanden. Fast bis an sein Lebens ende mußte Bruckner warten, bis sein Werk eine breitere Resonanz und die ihm gebührende Achtung fand. Vor allem in seiner Heimat hat der große österreichische Sinfoniker schwer um Anerkennung ringen müssen. Seine Werke, Bekenntnisse des gott suchenden, gläubigen Christen, könnten . im Wien des ausgehenden vorigen Jahrhunderts,,als die Ge sellschaft der Stadt anderen Idealen nachhing, als sie sich von den Festen der Fürstin Metternich ein fangen ließ und sich am Farbenrausch eines Hans Makart berauschte, kaum auf Verständnis stoßen. Hinzu kam die musikpolitische Lage im damaligen Wien: um den anderen Wiener Großmeister dieser Jahrzehnte, um Johannes Brahms, hatte sich ein Kreis gebildet, der Bruckner arg befehdete. Es herrschte eine krasse Spaltung in zwei Lager (von denen das um Brahms mit dem Kritiker Eduard Hanslick an der Spitze das Übergewicht hatte), die die beiden gegeneinander ausspielten. Brahms und Bruckner, wenn sie in ihrer Persönlichkeit und Schaffensart auch grundverschieden sind, tragen wohl selbst am wenigsten Schuld daran. Bruckner hat sich durch die Intrigen der tonangebenden Wiener Kreise in seinem Schaffen nicht beirren lassen, aber die Hindernisse, die seinem Werk in den Weg gelegt wurden, haben dem naiven, welt fremden Meister große seelische Qualen bereitet. Die sechste Sinfonie, 1879—1881 entstanden, zum ersten Male 1899, also nach Bruckners Tode, unter Gustav Mahler in Wien aufgeführt, gehört zu den weniger bekannten der neun Sinfonien des Meisters. Für diese Zurücksetzung ist der Grund vielleicht im Finale zu suchen, das nicht, wie es sonst bei den Schlußsätzen der Brucknerseben Sinfonien der Fall ist, in kraftvoller Türmung zu höchsten Höhen führt. Doch birgt das Werk so viele Schönheiten echt Brucknerscher Prägung, daß diese Hintanstellung nicht recht zu verstehen ist, zumal da gerade dieses Werk frei ist von der Problematik der 5., 8. und 9. Sinfonie, die Bruckner den Weg in die Öffentlich keit anfänglich so erschwert hat- Heitere Festlich keit zeichnet vor allem den ersten Satz aus. dessen Hauptthema üb r einem leichten Rhythmus der Violinen in den Bässen beginnt, um dann vom ganzen Orchester glanzvoll übernommen zu werden. Diesem ersten Gedanken stellt sich ein zartes Ge sangsthema entgegen, zu dem sich später noch ein drittes, rhythmisch straffes Thema gesellt, das mit dem ersten zusammen in der Durchführung eine große Rolle spielt. ,,Sehr ruhig und feierlich“ klingt die Koda des Satzes an, die das Hauptthema gleich zeitig mit seiner Umkehrung bringt (eine für Bruck ner charakteristische Kompositionsweise), und die in kurzer, intensiver Steigerung den Satz zum strahlenden Schluß führt. Das Adagio gehört zu den schönsten langsamen Sätzen, die Bruckner ge schrieben hat. Zu dem ruhig-feierlichen Gesang der Violinen tritt gleich zu Beginn eine leise klagende Oboenstimme, um bald einem herrlich aufblühenden Seitensatz zu weichen, der die anfänglich herrschende ernste Stimmung in ruhige Freudigkeit verwandelt. Ein marschartig schreitender Mittelteil leitet dann zum ersten Thema zurück, das jetzt von den Bläsern vorgetragen und von leichten Streicherfiguren um spielt wird. Auch das zweite Thema erscheint in gesteigertem Ausdruck, und eine. Koda beschließt den Satz in ausgeglichener Ruhe. Der Charakter - des Scherzos wird bestimmt durch einen vorüber huschenden Triolenrhythmus der Violinen, der sich im Verlauf des Stückes zu stampfender Freude steigert. Das Trio hat mit einem jagdartigen Hörner ruf durchweg frischen und beschaulich-heiteren Charakter. Der problematischste Satz ist das Finale, das schon durch seine Tonart (a-moll) im Gegensatz zum Gesamtcharakter der Sinfonie steht. Über unruhigem Tremolo der Bratschen und dem Pizzikato der Bässe erklingt ein seltsam bleiches und un bestimmtes Geigenthema, um bald in harten Gegen satz zu fanfarenartigen Blechbläserrufen zu treten. Dieser Gegensatz beherrscht den ganzen Satz, und nur am Schluß, bei dem endgültigen Durchbruch in die Dur-Tonart, triumphieren die . kraftvollen Töne und beenden das Werk in leuchtendem A-dur. Eberhard Creuzburg