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ZUR EINFÜHRUNG Mit der „Sinfonie für Streicher“ lernt Dresden eines der neueren Werke des französischen Komponisten Jean Fran$aix (geboren 1912) kennen, eines lie benswürdigen Meisters, dem eine ungewöhnliche Leichtigkeit seines Schaffens, eine gerade heute so seltene Grazie und Schwerelosigkeit nachgerühmt wird. In ihm kommt der französische Esprit auf eine so heitere und ungezwungene Art zum Ausdruck, daß man ihn oft mit Mozart vergleicht. Demgegenüber sagt der heute lebende Komponist Antoine Golea, auch ein Franzose: Fran^aix sei bloß ein Musikmacher. Hier spricht der die Rechen exempel der 12-Töne-Musik bewundernde Fach mann sein Urteil über eine der Natürlichkeit' ver hafteten Musik. Die „Sinfonie für Streicher“ vom Jahre 1948 enthält alle jene lobenswerten Eigen schaften, die die Werke von Jean Fran?aix so lie benswert machen. Nach einer gedämpften, ver schleierten langsamen Einleitung beginnt der gra ziöse, lebhafte und unbekümmerte 1. Satz, in welchem — eine einmalige Ausnahme für Fran?aix — tatsächlich einmal eine Fortissimo-Stelle vorkommt. Sonst ist das ganze Werk lang piano (also leise) und mehrfaches pianissimo (ein fast nur gehauchtes Ton erzeugen) vorgeschrieben, was ihm seine gestrichelte und zarte Eigenart verleiht. Ein sehr sensitives zweites Thema erfüllt den Aufbau des Sonaten schemas, dem dieser 1. Satz unterworfen ist. Auch das Andante zeigt den schwebenden Klang, der so bezeichnend für Fran?aix ist, verbunden mit einer süßen Tönung. Das Scherzo beschwört die Walzer welt, das Trio huscht im Fünf-Achtel-Takt vorüber gleich einem lustigen Kobold. Der Schlußsatz hat ein wahrhaft volkstümliches Thema, das in Rondo form vormusiziert wird und nach geistvollen Zwi schenspielen immer wieder erklingt. Man sage nicht, daß eine leichte Musik keine schwerwiegende Be deutung haben könnte. Gerade die Meisterschaft von Fran^aix beweist, wie schwer es ist, leicht und trotzdem schön und gewichtig zu sein. Im Jahre 1879 hat Antonin Dvofäk sein großes Violinkonzert in a-moll, op. 53, komponiert. Der bedeutendste Geiger der damaligen Zeit, Josef Joa chim, hatte sich bereit erklärt, die Violinstimme zu überprüfen. Bis 1882 haben die beiden an dem Werke gefeilt. Dvofäk schreibt in einem Briefe: „Die Umarbeitung lag volle 2 Jahre bei Joachim! Er selbst war so liebenswürdig, die Prinzipalstimme einzurichten; nur im Finale muß ich noch etwas ändern und an manchen Stellen die Instrumentation milder machen." Die Überarbeitung hat dem Werke nicht geschadet, es hat seine Frische und Ursprüng lichkeit, die fast alle Werke Dvofäks auszeichnen, bewahrt. Das Violinkonzert ist dreisätzig; der erste und zweite Satz folgen ohne Pause aufeinander. Die Anlage ist sinfonisch. Der erste Satz zeigt die beiden, dem Sonatenschema entsprechenden gegensätzlichen Themen, das selbstbewußte, energische erste Thema und das süße, lyrische zweite. Der langsame zweite Satz steht in einer zarten, poetisch-verhaltenen Stimmung, er fließt über an melodischen Gedanken, er quillt über von Gefühl, das sich in einer Fülle schönster Melodien aussingt, die dem Volke ab gelauscht sind. Der Schlußsatz ist im großen ge sehen ein Rondo, wobei das Ritornell oder der Re frain im Rhythmus des tschechischen Volkstanzes Furiant gehalten ist, das heißt, daß Synkopen auf treten, die für den Furiant charakteristisch sind. Als Mittelteil wählte Dvofäk die rhythmische Form der Dumka, eines anderen rassigen Volkstanzes der Tschechen. Das bedeutet Taktwechsel aus dem Drei- Schlag-Takt in den Zwei-Schlag-Takt. Dieser Ge gensatz macht den Schlußsatz so interessant, so würzig, so zündend. Dvofäk ist ein Beispiel für die Kraft eines im Volke wurzelnden und aus dem Volkstum schöpfenden Komponisten. Richard Strauß hat in mehreren Werken Erleb nisse seines eignen Daseins zum Anlaß genommen, sie in Tönen seiner Mitwelt zu schildern. Im „Helden leben“ schreibt er solche ichbezogenen Anspielungen nieder, im „Intermezzo“ stellt er häusliche Zwistig keiten und Mißverständnisse, allerdings auch die Köstlichkeiten einer Künstlerehe auf die Bühne, die er mit seinem großen Können musikalisch-drastisch untermalt. So ist auch die zu Beginn des Jahr hunderts geschriebene „Symphonia domestica“ eine „häusliche“ Sinfonie, die er wohl mit einem gewissen Schmunzeln seiner Frau und seinem Sohn gewidmet hat. Drei Themen bilden die Substanz dieser Sinfonie: das erste Thema verkörpert den Mann als gemächliches, träumerisches und mür risches Wesen, die Frau wird sehr lebhaft und gra ziös gezeichnet (interessant ist, daß Strauß bei ihrem Thema die Holzbläser mit ,,Flatterzunge'" spielen läßt — ist das etwa eine Anspielung?). Das Thema des Kindes ist sehr zart. Nun ist die gesamte Durchführung eine Schilderung ehelichen Lebens mit Liebesszene. kindlichem Spiel und Eltemglück, ehelicher Auseinandersetzung, der Schilderung des Schaffens, der Träume und der Sorgen, des lustigen Streites am Morgen, der in einer starken Gegen behauptung der Frau gipfelt (deren Thema überdies im Gegensatz zum Mannesthema mit einer nach unten fallenden Sext beginnt, während die auf wärtsstrebende Sext für den Mann spricht). Nach einer vorübergehenden Beruhigung bricht das ver schiedene Temperament beider Gatten erneut durch — und stürmisch endet diese Lebensbeschreibung in Tönen. Strauß war ein Beherrscher des Orchester apparates; es ist unnötig zu sagen, daß bei ihm alles glänzend und überzeugend klingt. Ob diese persönlichsten Dinge der Überlieferung wert sind, ist eine andere Frage, die von der Ästhetik beant wortet werden muß. Hier ist wohl die stärkste Ab hängigkeit des Komponisten Richard Strauß von einer ichbezogenen, rein individualistischen Welt zu spüren. Joh. Paul Thilman Vorankündigung: Bußtag, den 22. November 1950, 19 Uhr: Werke von Büttner, Reinhold, Richard Strauß, Britten. Dirigent: Prof. Heinz Bongartz. Solisten: Prof. Rücker (Flöte), Heinz Butowski (Oboe). Totensonntag, den 26. November 1950. 19 Uhr: Honegger „Sinfonie Liturgique“, Gustav Mahler „Kindertotenlieder", Hindemith „Mathis der Maler". Dirigent: Walter Stoschek. Solistin: Lorri Lail (Stockholm),. Alt.