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Igor Strawinskys Sinfonie in C und Ludwig van Beethovens Sinfonie in F-Dur, die „Pastorale” genannt, stellen zwei Pole des sinfonischen Prinzips dar. Die letztere weist mit ihrer Überschrift, mit den erläuternden Satzbezeichnungen, die Phan tasie des Hörers in ganz bestimmte Bahnen, sie grenzt also an die Programmusik an. Sie sagt außerdem etwas über den Komponisten aus: der sie schrieb, war ein Jünger Jean Rousseaus, jenes französischen Philosophen, dessen Ruf „Zurück zur Natur” sich in Beethovens Ausspruch „Mir geschieht nur dann wohl, wenn ich in der freien Natur bin” wiederholt. In dieser, seiner sechsten Sinfonie, setzt er seine Naturverbundenheit in Töne um. Im ersten Satz erleben wir das „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande”. Auf ihn trifft besonders zu, was der Komponist von der ganzen Sinfonie behauptet, sie sei „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei”. Im zweiten Satz aber, der „Szene am Bach ", hören wir das Wasser murmeln (in den Begleitstimmen), und am Schluß stimmen gar die Vögel ein lustiges Terzett an, Nachtigall (Fiöte), Wachtel (Oboei und Kuckuck (Klarinette). Der dritte Satz, das Scherzo, schildert das „Lustige Zusammen sein der Landleute”. Die Mädchen eilen zum Tanz herbei, die Kirmesmusikanten spielen auf (und blasen auch einmal einen falschen Ton), nach einem Trompetensignal beginnt der Tanz, ein kräftiger Walzer mit Stampfen und Juchzern. Auf dem Höhepunkt wirj|^ innegehalten. Ein Überleitungssatz kündet „Gewitter, Sturm”. In der Ferne grollt di^^F Donner. Ängstliches Durcheinander. Dann bricht auch schon das Wetter los. Der Donner rollt, die Blitze zucken, der Regen rauscht. Nachdem sich das Unwetter verzogen hat, atmen Mensch und Natur auf, befreit und erquickt zugleich. Ein Dankgebet steigt zum Himmel und ein Flötensolo leitet ohne Pause über zum Schlußsatz: „Hirtengesang. Frohe Gefühle nach dem Sturm".Die Sonne scheint wieder. Dankbar freut sich der Mensch der holden Natur. Diese Gefühle darzustellen, diese Stimmungen wiederzu spiegeln, ist die Absicht des Komponisten. Es gibt andere Sinfonien Beethovens, die Achte z. B., die davon absehen. Solche Musik meint Igor St rawinsky, wenn er sagt: „Die meisten Leute lieben die Musik, weil sie in ihr Gemütsbewegungen finden wollen .... Wenn sie doch lernen wollten, die Musik an sich zu lieben." Musik an sich, wie sie Johann Sebastian Bach schrieb (wes halb ihm auch der „Critische Musicis” von 1737, J. Adolf Scheibe, den Vorwurf machte: „Wer nicht natürlich denkt, der wird zwar wohl durch seine mühsame Arbeit eine Verwunderung erwecken, keineswegs aber rühren und einen Eindruck und eine Be wegung bei seinen Zuhörern hinterlassen"), wie sie heute wieder der „Neuen Musik" als Ideal vorschwebt. So muß man diese Sinfonie in C betrachten, so an sie herangehen, in ihr nicht den Ausdruck von Gefühlen sehen, sondern das freie und doch ungeheuer konzentrierte, gezügelte Spiel der Motive, die kontrapunktisch gebunden und in einer lockeren, durchsichtigen Instrumentation voneinander abgehoben sind. So nähert sich das Bild der Partitur einer geradezu Haydnschen Faktur, wenn auch der Klang natürlich der Klang unserer Zeit ist. Strawinsky, der vom malerischen Impressionismus herkam, hat die Fesseln des Programms längst abgeworfen und sich einem Neoklassizismus zu gewandt, für den die Sinfonie in C der reinste Ausdruck ist. Selbst in dem fast roman tischen Stimmungen zuneigenden langsamem Satz ist das Spiel der Instrumente kon zertant aufgelockert — ihr Nacheinander, Nebeneinander, Ineinander zu verfolgeu^. macht den Reiz des Hörens aus. Auch das Violinkonzert in h-moll von Camillo Saint- Saiins, dem 1922 ver storbenen französischen Meister, wahrt den Abstand vom Gefühlsmäßigen, wie es das ganze Schaffen dieses mehr der Klassik als der Romantik verhafteten Komponisten tut. Klar und fast glatt bietet sich der erste Satz mit seinen beiden scharf kontrastierenden Hauptthemen dar, das erste in leidenschaftlichem Moll, das zweite in bestrickender Dur-Süße. Dem Virtuosen ist genügend Raum gegeben, so daß, wie auch im letzten Satz, auf die Kadenz verzichtet werden kann. Erstaunlich die Wahl der Tonart im Andantino, B-dur, erstaunlich die Einfachheit des Melodischen und Harmonischen, ein unbeschwertes Lied der Solovioline, das sich in körperlosen Flageoletts verliert. Der sehr ausgedehnte dritte Satz beginnt mit einer rhapsodischen Einleitung, das Allegro ist durch ein Zwischenstück, das mit einem liedmäßigen Satz der gedämpften Streicher beginnt, in zwei Teile gegliedert, die mit zwei Themen arbeiten, einem sehr energisch vorwärtstreibenden Hauptthema, das einen leidenschaftlich drängenden Anhang hat, und einem Seitenthema von betonter Schlichtheit, das dann auch das Material für die das Werk beschließende Stretta abgibt. Dr. Karl Laux.