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ZUR EINFÜHRUNG Heinz Bongartz’ „Verwandlungen und Fuge über ein Thema aus Mozarts ,Don Giovanni' op. 32, sind durch ein weltberühmtes Musikstück angeregt, das auch schon den jungen Chopin zu brillanten Variationen für Klavier und Orchester, op. 2, inspiriert hatte. (Und der junge Robert Schumann hat darüber seine erste große Kritik geschrieben!) Das Duettino zwischen Don Giovanni und Zerline „La ci darem la mäno“ (Reich mir die Hand, mein Leben) ist zum Gegenstand einer Variationenreihe gemacht, die — und hierbei ist Max Regers großes Vorbild wohl eben so unverkennbar wie unumgehbar — in sieben Charakter stücken (man könnte auch von sinfonischen Szenen spre chen) die melodischen, harmonischen, rhythmischen Ent wicklungsmöglichkeiten des Themas aufgreift und in einer wirbelnden Fuge ausklingen läßt. Das aus dem Duett charakter des Stückes abgeleitete instrumentale Frage- und Antwortspiel, das schon bei der Aufstellung des Themas betont ist, wird in den sich anschließenden Va riationen folgerichtig fortgesetzt und abgewandelt. So geben der Hornklang und die Echowirkungen der Oboe der ersten Variation die besondere Färbung; so ist die zweite aus motivischen Zerlegungen und Umstellungen der Me lodie gewonnen und vor allem den Holzbläsern anver traut; so zeigt die dritte Bläser und Streicher in kon trastreichem Klangspiel, wobei chromatisch dahin jagende Triolenfiguren mit Trillerketten abwechseln und aus dem Seitengedanken des Duetts ein Triosatz ent wickelt wird. Die langsam dahinschreitende vierte Va riation, in der sich Englisch Horn und Klarinette in der thematischen Führung ablösen, versetzt durch die feier liche Grandezza des Ausdrucks und die melodischen Ara besken der Solobläser das Thema aus der heiteren Mozart sphäre in ein spanisch-maurisches Lokalkolorit. „Frisch und lustig“ werfen sich in der fünften Variation die In strumente flüchtige Erinnerungen an die melodische Ur- gestalt zu; alles ist hier in ruhelos treibende Chromatik aufgelöst, die auch in der folgenden Variation dem ruhig fließenden Gesangston den Charakter verleiht. Im von der Haupttonart B-dür am weitesten sich entfernenden Fis-dur der siebenten Veränderung wird der von Trom peten und Posaunen vörgetragene thematische Einfall schwungvoll vom ganzen Orchester umspielt. Dann setzt die Schlußfuge ein, die aber überraschend ihre Triebkraft nicht aus dem Hauptthema gewinnt, sondern aus dem neu auftauchenden Kopfmotiv der berühmten „Champagner-Arie des Don Giovanni“. Die moussie rende Sektstimmung wird im vielstimmigen Spiel des Orchesters kunstvoll kontrapunktiert, bis dann mit dem Eintritt der schweren Blechbläser das Hauptthema in der Vergrößerung dem Champagnerthema „die Hand reicht“ zu einer wirkungsvollen Krönung des Ganzen. Die Sinfonie Nr. 33 in B-dur von Wolfgang Amadeus Mozart gehört in seine mittlere Schaffenszeit. Er hat sie Z779 in Salzburg komponiert, in einer Zeit, in der Mo zart mit ungeheurer Konzentration arbeitete. Ein Jahr vorher war seine Mutter in Paris gestorben, die ihn auf seiner großen Reise über München und Mannheim nach Paris begleitet hatte. Diese Reise galt der Vertiefung der musikalischen Bildung Mozarts. In den bedeutenden Musikstätten Europas nahm er gierig alle Bestrebungen und Richtungen des musikalischen Lebens in sich auf, die- er in seinen Werken verarbeitete und dusschöpfte. So lernte Mozart in Mannheim die Orchesterbehandlung und die Formenwelt der Mannheimer Schule kennen, während er in Paris die Eigentümlichkeiten des französischen Schaffens mit seinem Hang zur Präzision, zur geistvoll knappen Aussage und zur Ironie bewunderte und in sich einsaugte. 1779 war das Jahr, in dem Lessing „Nathan denWeisen“schrieb undGluck seine, .Iphigenie aufTauris“. Die viersätzige Sinfonie ist ein solches konzentriertes Werk voller Geist und zärtlichem Gefühl. Wer die Sprache des musikalischen Handwerks versteht, kommt aus dem Staunen und dem Entzücken über die Fülle und die Art der Verflechtung der Motive und Themen nicht mehr heraus. Hier ist eine Feinarbeit festzustellen und zu be wundern, die nur den größten Meistern eigen und mög lich ist. Der erste Satz, frisch und klar im Klange, bringt die vor geschriebenen zwei Themen, wobei sich, nach mozart- scher Eigenart, das zweite als lyrisches Thema etwas chromatisch gibt. Zu bewundern ist weiterhin, daß Mo zart mit den sparsamsten Mitteln arbeitet und ein^ durchsichtige Musik schreibt, die bis in die letzte NoÄ hinein zu hören und zu verstehen ist. ™ Der zweite (langsame) Satz ist voller Empfindungen, die einen etwas schmerzlichen Charakter haben. Vielleicht erinnert sjch Mozart des Todes seiner so sehr geliebten Mutter? Das übersichtliche Menuett mit seinem schlich ten Trio offenbart viel Sinn für Humor. Auch das Finale, der Schlußsatz, ist in der Sonatenform gebaut: mit zwei Themen, mit einer Durchführung, die Ansätze zu kontra- punktischer Schreibweise zeigt, und einer Reprise. Aber die geistsprühende, lebendige Art Mozarts zu musizieren läßt den Hörer vergessen, mit welcher Genauigkeit und mit welchem Können dieses Werk gearbeitet ist. Wenn auch diese Sinfonie nicht sehr bekannt ist, so kün det sie doch von der bedeutenden Meisterschaft Mozarts, der in der kurzen Spanne seines Lebens (1756—1791) zu den höchsten Gipfeln der Musik emporstieg. Brahms 1. Sinfonie, op. 68, wurde 1877 veröffent licht. Die Einleitung zum ersten Satz ist voll größter Spannungen, der Orgelpunkt der Pauke zu Beginn stützt eine Musik von dramatischer Wucht und Erhabenheit. Der Aufbau dieses Satzes ist klassisch, beide Themen sind klar formuliert und deshalb klar zu erkennen. Brahms hat nun eine eigene Art der Durchführung, die sein Wesen seinen grüblerischen Ernst und seine spröde Verhalten heit deutlich erkennen läßt. Der-englische Dramatiker Priestley sagt in einem Roman über dieses Werk einmal, daß er den Eindruck habe, daß Brahms mürrisch und grollend in der Ecke stehe und der übrigen Welt den Rücken kehre. Er hat nicht ganz Unrecht, weil er mit diesem Bild die Neigung zum Pessimismus, der Brahms niemals ganz Herr werden konnte, andeutet. Auch Clara -ich v<>r der Düsternis und Kantigkeit seiner Seele, d^^B sich gerade in diesem Sat/. offenbare, der mit dem OrgeW^' punkt des Beginns wieder abschließt. Der liebliche zweite Satz, der ebenfalls zwei musikalische Gedanken ent wickelt, wird in der Mitte von dramatischen Erregungen gestört, die keinen inneren Frieden aufkommen lassen. Der dritte Satz ist, ganz entgegen der Gepflogenheit Beet hovens, kein Scherzo oder Menuett, sondern ein graziöses Allegretto. Die schlichte Melodie des Beginns, die in ihrer Umkehrung fortgeführt wird, kann aber nicht den Ernst und die Resignation verhindern, die sich dann in diesem Satz durchsetzt. Gleich dem Anfangssatz beginnt auch der Schlußsatz mit einer Einleitung, die mit Spannung und Größe geladen ist. Dann entfaltet sich wiederum echt sinfonisches Geschehen —- Brahms wählt die Sonaten form auch für den Schlußsatz. Das erste Thema mit sei nem Anklang an den Hymnus der „Neunten" steht dem weicheren, lyrischen zweiten Thema gegenüber, so daß sich auch hier dramatische Ballungen ergeben, die jedoch in eine strahlende C-dur-Coda einmünden, die dem Werk einen sieghaften Abschluß verleiht. *