Volltext Seite (XML)
1282 Sprache gekracht wird. Der Ucbelstand liegt nur darin, daß die fran zösische Presse in dieser Angelegenheit wie in allen ähnlichen Streitsachen parteiisch verfährt, daß sic die von der Opposition ausgehenden Wahl- umtricbe stillschweigend gutheißt, während sie der conscrvätiven Partei in den meisten Fällen weit mehr unrechtmäßige Absichten und Handlungen aufbürdet, als sie wirklich zu verantworten hat. Mit einer solchen An waltschaft ist aber der öffentlichen Moral sehr wenig gedient, ein solches Verfahren ist vielmehr eine neue Beleidigung derselben, und die Presse verfallt in eine tragikomische Selbsttäuschung, wenn sie jene Rabulisterei für wichtiger hält als die Untersuchung von positiven Interessen, wie sie in der gestrigen Sitzung der Pairökammcr verhandelt wurden. Die theo retische Lösung verwickelter staatöwirthschaftlicher Fragen ist nicht die Auf gabe des Parlaments, am wenigsten in einem Lande, das in echter poli tischer Bildung noch so weit zurück ist wie Frankreich. Nächst der wis senschaftlichen Literatur kommt auf diesem Gebiete der Tagespreise die erste und die schwerste Arbeit zu. Die pariser Zeitungen verkennen je doch diese Aufgabe wie so manche andere. Die ökonomischen Untersuchun gen haben für sic im Allgemeinen nur dann eine Wichtigkeit, wenn sich irgend ein polemischer Zweck an dieselben anknüpfen läßt. Der ganze staatswirthschastlichc Stoff ist in den Augen der hiesigen Presse von so untergeordneter Bedeutung, daß sich schwerlich auch nur drei Zeitungen nennen ließen, die es der Mühe wcrth gehalten haben, sich eine bestimm tere Ansicht über die ökonomischen Hauptfragen zu bilden, welche bei je der finanziellen und fiöcalischen Maßrcg.el mehr oder weniger in Be tracht kommen. Wenn Gegenstände dieser Art, wie die Frage vom Schutzsystem und der Handelsfreiheit, zur Sprache gebracht werden, so hält man sich klüglicherweise an allgemeine Redensarten, um sich nur keine Blöße zu geben; die Einxn sprechen von der Beförderung der ein heimischen Production, von der rechtmäßigen Beschützung der nationalen Arbeit, von der Zinspflichtigkcit gegen das Ausland; die Andern stellen das Interesse des Konsumenten dem Interesse des Producenten entgegen, und was der magern und wohlfeilen Floskeln dieses Schlages mehr sind. Eine ernstliche Erörterung des Gegenstandes, eine Untersuchung, die von Nachdenken, von Studium und selbständiger Ansicht zeugt, findet oder vielmehr fand man früher nur etwa in der Zeitung des Hrn. Emile de Girardin, die übrigens seit geraumer Zeit bedeutend nachgelassen Kat, ob gleich sie noch immer das belehrendste von allen pariser Blättern ist, was denn freilich durchaus nicht viel sagen will. Die Erklärungen, welche Hr. Guizot gestern über die belgischen Verhältnisse abgegeben hat, werden in Deutschland hoffentlich nicht übersehen werden. In Brüssel wird man sich vcxmuthlich einigermaßen darüber wundern, daß der französische Minister dem belgischen Staate das Recht der Selbstbestimmung nur innerhalb gewisser Grenzen ein räumt, indem er ihm geradezu die Befugniß abspricht, feine gegenwärtige politische Stellung durch eine Annäherung an Deutschland zu verändern. Ohne Zweifel, Belgien denkt nicht entfernt daran, seiner politischen Neu tralität zu Gunsten Deutschlands zu entsagen, und Deutschland selbst würde wahrscheinlich in seinem Nationalintcrcffe hinreichende Gründe finden, um ein solches Anerbieten von Seiten Belgiens abzulchnen; allein den Fall gesetzt, daß beide Theile sich wirklich über die Bedingungen des in nigsten politischen Wcchsclvcrhältnisscs verständigten, woher wollte Frank reich einen Rcchtsgrund für sein Veto nehmen? Die Staatsverträge, welche die Neutralität Belgiens ausjprcchen, sichern diesem Staate damit das Recht zu, nicht wider seinen Willen in die Angelegenheiten und Händel seiner Nachbarn hincingezogcn zu werden, aber sic legen ihm kei neswegs die Pflicht auf, für ewige Zeiten in seinem gegenwärtigen Staats- bestandc zu beharren. Eine solche Verpflichtung würde eine Aufhebung der Souverainetät sein, sic wäre widersinnig und also nichtig von Haus aus. Indessen, wie gesagt, es ist keine Aussicht vorhanden, daß Bel gien Lust bezeigen könnte, sich dem Deutschen Bunde, wie er jetzt ist, anzubictcn, und so mag man sich denn die Protestatio« des Hrn. Guizot einstweilen immerhin gefallen lassen. Schweiz. In -Luzern ist das Bildniß von Joh. Ronge mit Beschlag be legt und dem General v. Sonnenberg ein prachtvoller Ehrendcgen ge schenkt worden. (N. Z. Z.) Italien. *AoM, 4. Mai. Den Berichten aus Florenz nach befand sich die Kaiserin von Rußland dort so wohl, daß man ihrer äußern Hal tung beim öffentlichen Erscheinen kaum noch geringe Anzeichen und Erin nerungen an die frühere, nun ganz überwundene Kränklichkeit anmerkte. Die großhcrzogliche Familie bot alles Mögliche auf, den Aufenthalt in Toscanas Hauptstadt ihr angenehm zu machen. Die Bobboli-Gär ten hinter dem Palazzo Pitti mit ihrer fast tropischen Vegetation und immer rieselnden Springbrunnen und der herrlichen Aussicht in das lange Arnothal waren der Kaiserin und der Großfürstin Olga der liebste all tägliche Aufenthalt und Spazierort im Freien geworden. — Der russi sche Gesandte beim Valican, Hr. Butcncsf, der seiner Fürstin das Geleit gab, wird sehr bald hier zurückerwartet. — Der wirkliche ge heime Staatsrath Baron v. Chambcau, dessen Abreise von hier nach Florenz ich bereits meldete, halte wenige Stunden, ehe er Rom ver ließ, noch eine Privataudicnz beim Papste, dem er durch den geheimen Mcdicinalrath Alertz vorgcstcllt wurde. Man ist hier geneigt, dem Be suche des Hrn. v. Chambcau bei dem Papst eine diplomatische Bedeutung beizumessen. Ich kann dagegen versichern, daß man^darin irrt. Uebn- aens wird es unferm Publicum jetzt immer einleuchtender, daß der letzte Grund der Weigerung der Kaiserin, Rom zu sehen, nicht die Ma- serninfluenza, sondern politische Rücksichten gewesen sind, deren Existenz die Römer vor Allem deshalb bedauern, weil sic ihnen diesmal einen un berechenbaren materiellen Schaden brachten. Am I. Mai fand in der französischen Nationalkirche eine geistliche Doppelseier statt: ein Dankfest für die Errettung Ludwig Phj- lipp's aus neuer Todesgefahr und die Feier seines Namenstages. Denn der römische Kalender sowie das Martyrologium verzeichnen am k. Mai San Filippo e Giacomo. Mehre Cardinäle und Mitglieder der hohen Prälatur wohnten der in San Luigi dei Fracesi mit allem äußerlichen Pomp celebrirtcn Messe bei, und die in der Villa Medici gelegene französische Künstlerakademie war die nachfolgenden drei Tage brillant erleuchtet. Der Papst hatte an seiner Stelle den Cardinal-StaatSsecretair Lambruschini gesendet, der Messe zu assistiren. Der Prinz Marc Anton Borghese iss nach Paris abgcreist. Seine Stelle als Präsident der päpstlichen Akademie der Alterthumswissenschaf- tcn ist während der wahrscheinlich langen Zeit seiner Abwesenheit dem Grafen Alborghetti übertragen. — Aus Berlin sind in diesen Tagen die ersten amtlichen Nachrichten von der nahe bevorstehenden Ankunft des neuen Chefs der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan, des Hrn. v. Usedom, hierher gelangt. Sie melden die Abreise jenes Diplo maten aus Berlin, welcher indessen nicht vor der Mitte des Juni be stimmt zu erwarten sei.— Der bekannte Staatsminister und Gouverneur von Modena, Graf Girolamo Riccini, dessen Festigkeit und Entschlos senheit in den letzten italienischen Nevolteversuchen der Legitimität die al- lcrwichtigstcn Dienste leistete, hat vom regierenden Herzoge von Modena seine Dienstentlassung verlangt und erhalten. In seine Stelle ist für den Augenblick der RegierungSrath und Kammerherr Graf Luigi Giacobazzi getreten. Rußland und Polen. Der emcritirte Professor Czwalina besitzt bei Kalisch ein Gut, welches er von seinem Sohne bcwirthschaften ließ. Obgleich Letzterer sich um politische Angelegenheiten durchaus nicht kümmerte, so schöpfte die russische Behörde dennoch Verdacht gegen ihn. Der junge Mann wurde eines Tages aufgehoben und, nachdem man ihm das Haar abqeschnitten, in eine Kibitka gesetzt, um nach Sibirien geschafft zu werden. Inzwischen mochte man erfahren haben, daß er preußischer Untcrthan sei. Die Fahrt nahm demnach die Richtung nach der preußischen Grenze; als diese er reicht war, hoben die Kosacken, welche als Begleitung nebenher ritten, den Verdächtigen aus dem Wagen, und kehrten um. Da cs noch dun kel war, wußte der junge Czwalina nicht, wo er sich befände; erst am Morgen sah er zu seiner Freude einen preußischen Wegweiser, und frohen Herzens eilte er seiner Heimat zu. (Schles. Z.) Mersonalnachrichten. Ernennungen. Preussen. Dem Buchhändler Karl Duncker «so. in Berlin ist der Charakter als Commcrzicnrath verliehen worden. ivrden. Preussen. Rother Adlcrordcn -1. Kl.: der evangelische Pfar rer Wagner in Bischdorf. Todesfälle. D. Antonio Zumalacarreguy, Bruder de« carlisti- schen General« dieses Namens, unter der Regentschaft Espartero'S Präsident des Congresses und Justizminister, starb am 2. Mai in Madrid. Handel und Industrie. Börsenbericht. "-Leipzig, 16. Mai. Leipzig-Dresdner Eisenbahn- actien >26 Br.; Sächsisch-Baicrsche 88>/,Br.; Sächsisch-Schlesische 101-/, Br., 100'/, bezahlt und G.; Chemnitz-Riesa 87'/, Br., 87'/, G.; Löbau- gittauer 82-/, Br.; Magdeburg-Leipziger 182'^ Br.; Berlin-Anhaltische lüt. ü. 117-/, Br., lut.v. 107Br ; Berlin-Stettiner ll8'/,Br.; Köln-Min- dener dO Br.; Friedrich-Wilhclms-Nvrdbahn 86'/,Br.; Altona-Kieler HO'/, Br., HO G.; Pesther 105'/, Br.; Deutsche Bank in Dessau 100'/, G., IOOV« bezahlt. GtaatSbabiere. Wien, 13. Mai. Bkact. 1580; Met. 5pc. 112; 4pc.I00-/,; 3pc.75; 500Fl.L. 154'/,; 250 Fl. L. 122-/,. «ctien. Wien, 13. Mai. Nordb. 188'/,; Gloggn. 138-/,; Mail. 120'/,; Livorn.112; Pesth. 104'/,. . Berliner Börse, 15. Mai. Seehandl.-Prämiensch. 87V,Br., 3-/,pc. StSschsch. 06'/,, 3>/,pc. Pfandbr. westpr. 05'/, Br., ostpr. 07, pomm. 97 Br., schles. 97'/,, Int. L. 95'/,, 4pc. Posen. 103, neue 3-/,pc. 93-/„ kur- u. neumärk. 98Br.; Louisdor 111'/,, Friedrichsdor 113'/,, Disconto 4 Proc. — Voll ein gezahlte Actien: Amst.-Rotterd.4pc. 107 >/, Br., Arnh- Utrecht4'/,pc.I07, Berl.-Anhalt. 117-/, Br., Prior.-Act. 4pc. 99'/, Br., Berl.- Stctt. 118 Br., Bonn-Köln 5pc. 140, Düsseld.-Elberf. 5pc. 116, Prior.-Act. 97, Gloggnitz 4pc. 144'/, Br., Kiel-Altonaer 4pc. IIO Br., Magdeb.-Hal- berst.4pc. >14'/,, Niederschl. 96'/,, Prior.-Act.4pc. 97'/, Br., K.-F.-Nord- bahn 4pc. 197, Oberschles. I-itl. .4. 4pc. 110'/, Br., I-it. v. 4pc. 102Br., Potsd.-Magd. 103 Br., lüt. ä. 4pc. 97 Br., Rhein. 94'/,, Prior.-Act. 4pc. 97, Wilh.-Bahn 91 Br., ZarSkoje-Selo 77 Br. — QuittunaSbogen: Aachen-Mastr. 95'/, Br., Bcrg>Märk. 4pc. 94 Br., Berl.-Anh. 106'/, Br., Berl.-Hamb.4pc. 10!'/, Br., Bexbach 4pc. I0I'/,Br., Kass.-Lippst.4pc. 93'/„ Köln-Minden 4pc. 98'/,, Krak. Oberschles. 4pc. 86'/,, Magd. - Wittenberge 96'/,, Mail.-Vened. 4pc. 124'/,, Mecklenburg 80'/,, Nordb. (Fr.-W.) 4pc. 86, Pofen-Starg. 93, Rhein. Prior.-Stamm 4pc. 98'/, Br., Sächs.-Schles. 4pc. 100'/,, Lhüring- 4pc. 96'/, Br., Ungar. Centralb. 4pc. 105. — Russ.- cngl. Anl. 5pc. lll-^, I. Anl. (Hope) 4pc. 93--/,, 2., 3., 4. Anl. (Stiegl.) 4pc. 92'/, Br.; Poln. Schatzobl. 4pc. 84'/,Br., Poln. Pfdbr. (alte) 4pc. 94, (neue) 4pc.93'/,, Partial s 500 Fl. 4pc. 80-/, Br., L 300 Fl. 95'/,, Poln. Bank Intt. X. 300 Fl. 5pc. 95-/, Br., Bkcert. ZinSl. I7-/,Br., lütt. 8. 200 Fl. 34, Hamb. F.-K.-St.-Anl. 3>/,pc. 90-/,, Kurhess. Präm.-Sch. s 40 Thlr. 35 Br., Sardin. Präm.-Anl. ä36 Fr. 10 Br-, Neue Bad. Anl. ä 35 Fl. 20-/,. Verantwortliche Redaction: Professor BÜlSU. Druck und Verlag von A. »rochhaus in Leipzig.