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nicht ganz unbekannt sein dürfte, verweigere ich Ihnen den Zutritt zu meiner Tochter. Wollen Sie Gewalt anwenden, so thun sie es auf Ihre Gefahr; ich erkläre Ihnen aber sogleich, daß ich der Gewalt Ge walt entgegensetzen werde." Und damit stellte er sich vor die zu dem Schlafzimmer seiner Tochter führende Thür, zugleich den Sanitätsrath zum Zeugen für alles Nachfolgende aufrufend. Soltmann zuckte die Achseln und wandte sich zum Fenster. „Herr Kommerzienrats), ich muß doch sehr bitten," eiferte dagegen der Kommissar, „daß Sie uns unsere traurige Pflicht durch Ihre un- motivirte Gereiztheit nicht allzu sehr erschweren. Wir leiden mit Ihnen unter dem Druck dieser ungewöhnlichen Verhältnisse und üben jede nur erdenkliche Rücksicht. Oder was würden Sie erst sagen, wenn ich, wozu mich die Umstände wohl berechtigten, eine Haussuchung bei Ihnen anstellte? Aber wie gesagt, ich übe jede Rücksicht, und da darf ich wohl auch von Ihnen, einem gebildeten, besonnenen Mann, verlangen, daß Sie meinem Beamten unser gezwungenes Beisammensein nicht ganz unleidlich machen." Bei dem Worte „Haussuchung" hatte sich Etwold jäh entfärbt, und auch jetzt noch zitterte seine Stimme als er sagte: „Ich bin erregt, und ich habe Ursache es zu sein. In ein Verbrechen verwickelt, von dem ich nicht die allerentfernteste Kenntniß habe, muß ich es mir ge fallen lassen, mich und die Meinen von dem Herrn Assessor selbst wie ein Verbrecher behandelt zu sehen. Oder was heißt es anders, wenn Sir meine Leute, wenn Sie meine Tochter verhören wollen und von Haussuchung reden? Bin ich denn nicht der Kommerzienrath Etwold, welcher in gewissen industriellen Angelegenheiten selbst das Vertrauen seines Monarchen genießt, nicht der Mann, dessen industriellen Schöpf ungen als ein Segen des Landes gepriesen werden und dessen Name unbefleckt zurückreicht in die Zeit der ersten industriellen Schöpfungen unserer Stadt? Ich frage es nicht, denn was ich hier erfahre ist eine Behandlung, die man meines Erachtens nur einem Unwürdigen zu Theil werden lassen kann, der selbst begründete Veranlassung zu Zwei feln giebt." „Wenn Sie das meinen," erwiderte der Kommissar gelassen, „so verkennen Sie unsere Handlungsweise vollständig, und kann ich dies nur dem Umstande zuschreiben, daß Sie bisher mit polizeilichen Re cherchen verschont geblieben sind. Wir setzten nicht den geringsten Zwei fel in Ihre persönliche Ehrenwürthigkeit, aber wie mir Herr Assessor Soltmann hier versicherte, hat Ihr Fräulein Tochter, was Ihnen und auch mir entgangen, an der Leiche des Ermordeten eine Bewegung ge macht, welche darauf fchließen läßt, daß sie denselben gekannt und jetzt wiedererkannt hat. Weit entfernt, die wohlerzogene, tugendhafte Toch ter eines so ehrenwerthen Mannes mit einem so scheußlichen Verbre chen in Verbindung bringen zu wollen, müssen Sie doch zugeben, daß es für uns von der allerhöchsten Wichtigkeit ist, zu ersehen, wer der Ermordete gewesen." „Und weiter habe ich Ihr Fräulein Tochter auch nichts fragen wollen," mischte sich hier Soltmann in das Gespräch. Wäre die Scene mit den rothen Mathies nicht voraufgegangen, so würde Etwold jetzt noch einmal aufgebraust sein; aber diese Be obachtung Soltmanns war ja gewissermaßen eine amtliche Bestätigung dessen, was jener gesehen haben wollte, und so gab Etwold nur sei ner Bestürzung über eine solche Vermuthung Ausdruck. „Dies überrascht mich wirklich," sagte er, „um so mehr als die amtliche Stellung des Herrn Assessors den Gedanken an eine Gehässig keit gegen mich oder meine Tochter nicht aufkommen läßt." „Aber Herr Kommerzienrath —" wehrte hier Soltmann entrüstet ab. „Nicht auskommen läßt, sagte ich," wiederholte jener. „Es wäre doch sehr, sehr merkwürdig" — dies sagte er spöttisch — „wenn meine Tochter Jemanden so gut kennen sollte, den ich noch nie gesehen habe, zumal, wenn der Betreffende aus fernen Landen —" Es zuckte etwas über des Kommerzienraths Gesicht, das ganz wie ein blitzartig aufleuchtendes Erinnern aussah; er schwieg plötzlich wie über seine eignen Worte erschreckt und wandte sich nur zu bereitwillig nach der Thür, wo eben schüchtern geklopft wurde. Es war der Büreaudiener Jonas, welcher sehr verlegen schien und den Herrn bat, auf einen Augenblick herauszukommen. Aber Etwolt fühlte die Blöße, die er sich mit seiner plötzlich ab gebrochenen Rede gegeben hatte, und er war nicht Willens, die Herren ihre Meinung darüber austauschen zu lassen. Er fragte schroff, was es denn wieder gäbe, und ob er nicht ein mal sünf Minuten fortbleiben könne. Jonas erwiderte: „Herr Merkel bittet höflichst um Bescheid, wo der Herr Kommerzienrath das Geld hingelegt haben. Der Wechsel wird soeben präsentirt." „Die dreizehntausend Mark?" sagte Etwold ärgerlich. „Ich sagte dem Herrn Kassirer schon, daß sie auf meinem Büreautisch liegen." „Um Vergebung, Herr Kommerzienrath," wandte Jonas ein, „Herr Merkel hat das Geld dort nicht gesehen." „Es liegt aber dort," beharrte Etwold. „Ich selbst habe es, gleich als ich ins Comptoir kam, dahin gelegt, die genaue Summe in Gold und Banknoten. Herr Merkel soll genauer Hinsehen und mich nicht weiter inkommodiren." Der Diener ging; der Sanitätsrath, welcher so lange in frostiger Reserve im Zimmer verblieben war, nahm die Gelegenheit wahr, um sich zu verabschieden und nochmals die größte Ruhe für Klara zu em pfehlen, da ein Nervenfieber zu befürchten stehe. Etwold blieb mit den beiden Beamten allein. „Sie sprachen von fernen Landen, Herr Kommerzienrath," nahm Soltmann das Gespräch wieder auf. „Es trifft das merkwür diger Weise mit meiner eigenen Beobachtung überein. Aus welchem Grunde vermuthen Sie denn, daß der Ermordete ein Ausländer sei?" „Ich?" erwiderte dieser in einiger Verlegenheit. „Ich glaube je mand sagte es, daß es ein Ausländer sei. „Wer sagte es?" „Wer? Nun jedenfalls Jemand in meiner Umgebung. Ich hörte es sagen. Uebrigens machte die Erscheinung des Ermordeten auch auf mich einen fremdländischen Eindruck. „Ohne Zweifel" sagte der Kommissar, „haben wir es hier mit Jemand von jenseits des Oceans zu thun. Ich glaube es klopft wie der, Herr Kommerzienrath." „Herein!" rief dieser. Jonas präsentirte sich wieder, noch verlegener als vorhin. „Nun?" fragte Etwold ungehalten. Der alte Mann zuckte bedauernd die Achseln. „Nicht da, Herr Kommerzienrath, sagte er — „Was nicht da?" „Das Geld." „Sie meinen?" „Die Dreizehntausend — Der Kommerzienrath Machte eine heftige Bewegung. „Sind da- Herrn Merkels Worte die Sie mir überbringen? fragte er. Mit aller Bescheidenheit — ja," lautete die servile Antwort. „Das ist ja — sehr befremdend," sprach jener halblaut für sich. „In meinem Büreau ist mir doch nie etwas fortgekommen." Und sich wieder zu den. Diener wendend, sagte er verdrießlich: „Aber warum bezahlt denn Herr Merkel den kleinen Betrag vorläufig nicht aus sei ner eigenen Kasse? Was soll man denken, wenn der Wechselbote so lange warten muß. Sofort einlösen! Das Weitere wird sich finden." Jonas entfernte sich eiligst. „Sollte mich wundern," murmelte er, „wenn das nicht der Anar chist Mathies als „gute Beute" mitgehen geheißen." „Sie haben einen Verlust?" fragte der Komissar theilnehmend. „Fast scheint es so", erwiederte Etwold. „Dreizehntausend Mark in Baarem sind von meinem Komptoirtisch verschwunden, auf de» ich sie selbst deponirt hatte. Die beiden Beamtenblickten den Sprecher und dann einanander an. Soltmann stellte einige Fragen, aus denen hervorging, daß wäh rend Etwolds Abwesenheit aus dem Komptoir nur der Kassirer zu demselben gelangen könne und daß heute Morgen außer Jouas und seinem verlassenen Kutscher Namens Mathies Niemand in seinem Bü reau gewesen sei. Soltmann und der Kommissar wechselten einen bedeutsamen Blick. Sie bemerkten nun erst Neuberts verlängertes Ausbleiben und der Assessor ging mit einer nichtigen Entschuldigung gegen Etwold hinaus, um heimlich nach der Ursache desselben zu forschen. „Und nun, Herr Kommerzienrath," sagte der Kommissar vertrau lich, „ein Wort der Verständigung. Ihr Fräulein Tochter muß ver nommen werden; natürlich aber erst, wenn sie der Herr Sanitätsrath für vernehmungsfähig erklärt. Ich glaube, daß Sie ihr und uns daS Peinliche dieses Verhörs ersparen könnten und sollten, indem Sie selbst darauf hinwirken, daß Ihre Tochter Ihnen den Namen des Ermorde ten nennt und vielleicht auch sagt, wann und unter welchen Umstän den sie mit demselben bekannt geworden. Sie wird Ihnen, dem Vater, das eher sagen als uns, den Fremden. Und dann wissen Sie auch, daß wir eine solche Mittheilung mit aller Diskretion zur Entdeckung des Mörders verwenden werden. So lange wir aber den Ermordeten nicht kennen, können wir auch keine Vermuthung über denjenigen auf stellen, der eine Interesse daran hatte, ihn zu diesem schmähligen Ende zu bringen." „Verlassen Sie sich darauf," erwiederte Etwold schon freundlicher, „daß ich alles thun werde, um meine Tochter zu einer vertraulichen Mittheilung zu bewegen. Es liegt das ja in meinem eignen Interesse. Ebenso wahrheitsgemäß werde ich Ihnen aber auch sagen: „Sie haben sich geirrt," wenn ich die Ueberzeugung gewinne, daß meine Tochter den Ermordeten nicht kannte. Freilich, Ihr Herr Assessor da würde mich dann wohl Lügen strafen —" „Urtheilen Sie nicht zu schroff von ihm, Herr Kommerzienrath", sagte entschuldigend der Kommissar; „er ist, wie man es von seiner Jugend nicht anders erwarten darf, etwas rasch im Handeln. Aber das ist gerade von großem Vortheil für uns, wo ein kühner Gedanke, eine rasche That oft mehr bewirkt als alles Spionieren und Grübeln. Er wird noch einmal eine glänzende Carriere machen." Etwold zuckte die Achseln. „Ich mag ihn nicht leiden," sagte er. „Ein junger Mann sollte so anmaßend gegen einen älteren Herrn und besonders gegen einen Mann in meiner geachteten Stellung nicht auftreten." Der Kommissar lenkte das Gespräch geschickt auf eine ihm gegen wärtig interessantere Person, den „rothen Mathies" über, von dem Etwold ihm denn auch manches Charakteristisches mittheilte. Ihres Ge spräches von heute Morgen gedachte er natürlich mit keinem Wort. Währenddessen begab sich Soltmann nach dem Kutscherzimmer, den Weg welchen Neubert ihnen vorher angegeben hatte. Es war alles so unheimlich still hier und auch in dem Zimmer, an dessen Thür er einen Augenblick lauschend inne hielt, daß es ihn plötzlich wie mit einer dunklen Ahnung von drohendem Unheil, von einer bevorstehenden folgenschweren Entdeckung befiel. Wenn nun der „rothe Mathies" wirklich so schlecht war, wie seine Kollegen ihn schilderten; wenn er von dem Morde selbst etwas wußle, das ihn verdächtigen oder mitbeschnldigen konnte —? Die Frage war naheliegend, und auch die Antwort war leicht gegeben. Dann hatte er die Fragen uud Andeutungen Neuberts nicht ruhig hingcnommen; und wenn dieser aus einem hier entdeckten neuen Verdachtsmoment sich genöthigt gesehen, Mathies für verhaftet zu erklären, so hatte dieser sich gewiß widersetzt und den kleinen alten Herrn zu Boden geschlagen, wo nicht verwundet — ermordet ! (Fortsetzung folgt.) Vermischte». — Der fürchterliche Würgengel unserer kleinen Lieblinge, die Diph- theritis, naht sich oft in der harmlostesten Gestalt. Denn was kann harmloser sein als ein Kuß. Aber doch ist es gewiß berechtigt, allen die uns besuchen die Mahnung entgegen zu rufen: Küßt unsere kleinen nicht! Ein Düsseldorfer Arzt schreibt hierzu: „Es ist eine schauderhafte Unsitte, Kinder auf den Mund zu küssen. Ich gebrauche absichtlich den Ausdruck „schauderhaft", weil ich mich zart ausdrücken will und die Bezeichnung „mörderisch" mir schon auf der Zunge schwebte. Ja wohl, gnädige Frau, „mörderisch". Besinnen Sie sich vielleicht noch darauf, als Sie vor etwa 15 Tagen mit einem Shawl um den HalS einen Besuch bei Frau S. machten? Und als der kleine Hans ins Zimmer gesprungen kam, griffen sie nicht den Kleinen mit anscheinend überströmender Zärtlichkeit auf, nannten ihn „mein reizendes Kerlchen" und küßten ihn nach Herzenslust! Dann fingen sie an zu erzählen, was für einen schrecklich entzündeten Hals Sie hätten; daß Sie sogar am Tage vorher eine Einladung zum Concert hätten ablehnen müssen, weil Sie zu verschwollen seien? Sie hatten keine Absichten auf das Leben des Kindes, und doch tödteten Sie dasselbe so sicher, als wenn Sie ihn statt ihres zärtlichen Kusses Strychnin oder Arsenik gegeben hätten. Ihre Zärtlichkeit wurde verhängmßvoll. Zwei oder drei Tage darauf fing „mein reizendes Kerlchen", auch über einen entzündeten Hals zu klagen an, und als der Arzt kam, genügte das eine Wort: „Diphtheritis", um Alles klar zu machen. Heute ist ein kleiner, frisch geschmückter Hügel auf dem Friedhof die einzige Erinnerung an Ihren Besuch. — - Die Mutter hat natürlich nicht den geringsten Verdacht auf Sie; sie hängt ihren herben Verlust der geduldigen Vorsehung an. Der Arzt that nichts, um diesen Glauben zu zerstören; denn das dürfte eben so unklug als grausam sein, aber hier will ich es sagen, daß allein Ihre schauderhafte Dummheit, gnä dige Frau, an dem Tode des kleinen Hans schuld ist. Es läßt sich schwer beurtheilen, ein wie großer Theil der augenblicklich grassirenden Diphtheritisfälle auf seine Gedankenlosigkeit zu schieben ist; das steht