Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt. M-nM. UMrnff WM, Nojsri, Sickülk!,» M die UWWdlL AmLsbLccLL !ür die Kgl. Kmtshauptmannschaft zu Weißen, das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnemenlpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Psg. — Inserate werden MontagS . und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Rr. 87. Freiing, den 30. October 1885. Zum Aeformationsfest. Als Doktor Eck mit der Bannbulle gegen Luther von Rom nach Deutschland zurückkehrte, arbeitete dieser eine Schrift aus, welche wohl mit zu den gewaltigsten Schriften gehört, welche je geschrieben worden sind. Es ist die Schrift von des christlichen Standes Besserung. In dieser Schrift schildert Luther das damalige Verderben der Kirche und seine Ursachen mit einer solchen Kühnheit und Offenheit, daß die Freunde Luthers ihn ernstlich warnten, sie zu veröffentlichen. Aber er thats doch. Die Wirkung war eine gewaltige. Zum Anfang des August 1520 erschienen, war sie schon am 18. dieses Monats in mehr als 4000 Exemplaren verbreitet, und wer sie las, stimmte, ja jauchzte Luther zu, denn er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Einer der größten Kenner der Geschichte sagt von ihr, man wisse wirklich nicht, worüber man beim Lesen dieser Schrift mehr staunen solle, ob über die Größe des Geistes, der darin herrscht, oder über die Kühn heit, welche zu ihrer Bekanntmachung gehörte. Die Grundgedanken dieser Schrift behalten aber ihre Bedeutung, so lange die Erde stehen Wird und da in unserer Zeit von des christlichen Standes Besserung so viel zu schreiben ist, daß man in weiten Kreisen des Volkes nach einem zweiten Luther ausschaut, so wird es wohl Nichts schaden, we nigstens einen Grundgedanken aus dieser Schrift uns ins Gedächtniß zurückzurufen. Die Hauptursache des damaligen Verderbens in der Kirche ist für Luther der Umstand, daß das christliche Volk das Evangelium ganz vergessen hatte. Er sagt: „Was soll uns für Glück widerfahren, wenn wir so verkehrt handeln, und die Bibel, das heilige Gotteswort, so hintenan setzen? — des Evangeli wird wenig gedacht. Man thut also, daß das Evangelium in Schulen und Gerichten wohl müßig unter der Bank im Staube liegt. — Man findet mehr heidnische und menschliche Dünkel, als heilige gewisse Lehre der Schrift. Viel Bücher Machen nicht gelehrt, viel Lesen auch nicht, sondern gut Ding und ost lesen, wie wenig es auch sein mag, das macht gelehrt und sollte allein die heilige Schrift unser Weinberg sein, darinnen wir alle sollten uns Üben und arbeiten. Vor allen Dingen sollte in den höheren und nie deren Schulen die vornehmste Lektion sein die heilige Schrift und den jungen Knaben das Evangelium. Wo die heilige Schrift nicht regieret, da rathe ich fürwahr Niemand, daß er sein Kind hinthue, und ich habe große Sorge, die hohen Schulen seien große Pforten der Höllen, so sie nicht emsiglich die heilige Schrift üben und treiben ins junge Volk." Daß diese kernigen, wahrhaft evangelischen Gedanken Luthers noch heute unvergänglichen Werth haben, wer wollte das läugnen? In weiten Schichten des Volkes hat man das Evangelium von Christo fast vergessen. Daher ist's nicht zu verwundern, wenn Zucht und Sitte immer mehr in Verfall gerathen, Glauben und Treue immer mehr dahin schwinden, Redlichkeit und Ehrlichkeit immer seltener wer den, wahre Liebe und Erbarmen sich nur bei Wenigen finden. Soll der christliche Stand gebessert werden, dann muß er sich wieder an das Evangelium erinnern, es hören und lesen, es annehmen und be folgen. Wo nicht, so wird es mit den gerühmten Tugenden unseres deutsche» Volkes immer mehr bergab gehen, dem Abgrund sittlicher Fäulniß zu. Unser Volk hat einen großen Fehler, daß es immer auf Andere sieht, und daß es immer Besserung der Verhältnisse von der Obrigkeit erwartet. In weltlichen irdischen Dingen ist das ja nicht ein Fehler zu nennen. Aber in geistlichen Dingen ist's ein großer Fehler, denn für seine Seele ist zunächst Jeder für sich selbst verant wortlich. Wo sich's um die Ewigkeit handelt, um Himmel oder Hölle, da soll man nicht auf Andere sehen, auch nicht von der Obrigkeit be stimmte Vorschriften erwarten, sondern da soll man ganz selbstständig handeln, da soll man sich seiner christlichen Freiheit erinnern und der Stimme Gottes folgen, die uns in der Predigt des Evangeliums lockt und ruft, da soll man auch nicht sich durch Andere irre machen lassen, sondern da soll man fest und standhaft den Weg gehen, den uns das Evangelium zeigt. Hütte Luther nicht so felsenfest auf dem Evange lium gestanden, er wäre nie ein Reformator der Kirche geworden. Für die aber, die sich evangelisch-lutherisch nennen, ziemt es sich, daß ne ebenso fest auf dem Evangelium stehen und nicht dem Schilf im Rohr gleich werden, das von jedem Winde hin und her bewegt wird. Die Falschmünzer. Kriminal - Roman von Gustav Lössel. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Beides beobachtete Etwold mit unverhohlenem Mißbehagen, wäh rend er sich der Thür des „Kutscherzimmers" näherte. Vor dieser machte er Halt. Ehe er eintrat, warf er noch einen raschen Blick hinauf und hin ab, beugte sich lauschend vor und — klopfte. Auch er mochte gewähnt haben, daß Mathies jetzt mit dem Packen feiner Sachen beschäftigt sei; aber er fand sich getäuscht. Auf sein wiederholtes Pochen blieb drinnen Alles still. Nun drückte er leise die Klinke nieder. Die Thür war unver schlossen, sie ging auf. Noch einmal blieb er zögernd auf der Schwelle, stehen, dann trat er rasch ein und drückte die Thür hinter sich in's Schloß. Kurze Zeit darauf näherte sich Neubert mit derselben Heimlichkeit der Thür des Kutscherzimmers. Unweit derselben erhob er sich sogar auf den Zehen und schlich dann einer Katze gleich weiter. Dennoch war er drinnen gehört worden, und gewiß hatte gerade sein Scheichtritt Verdacht erweckt. Noch ehe er die Thür ganz erreicht hatte, glaubte er in feiner unmittelbaren Nähe eine andere Thür sich öffnen zu hören, und fast schien es als wäre dies in dem Zimmer selbst. Er schritt nun rascher zu und öffnete ohne anzuklopfen. Das Zimmer war leer. Aber da war ja noch eine zweite Thür. Er eilte auf diese zu — sie war verschlossen, Neubert hielt einen Augenblick lauschend den Athem an, und da wollte es ihn bedünken, als vernehme er aus irgend einer Richtung verhallende schleichende Tritte, woher, das vermochte er nicht zu sagen. Er trat noch einmal auf den Korridor hinaus; aber da war Nie mand und Alles still wie zuvor. Gewiß, er mußte sich geirrt haben. Dieser Theil des Hauses war sehr alt und baufällig, und es war nicht unmöglich, daß das, was er neben sich zu hören glaubte, aus einer tieferen Etage herauf schallte, denn das Kutscherzimmer lag in der zweiten. „Ganz gut", murmelte Neubert, „daß er nicht da ist; fo werden wir gleich einmal ein Bischen visitiren." Indessen begab sich der Kommerzienrath auf einem anderen Wege nach seinem Komptoir zurück. Er mochte sich gesagt haben, daß es nicht Mathies sein könne, der sich fo schleichend seinem Zimmer näherte, und was sollte ein Anderer gedacht haben, wenn er ihn da gesehen hätte. Sehr unangenehm schien ihm eine Begegnung mit Jonas am Uebergang des alten in das neue Haus; doch nahm er rasch eine mög lichst unbefangene Miene an und ging ohne ein Wort der Frage oder Erklärung an Jenem vorüber. Es war ja fein Haus, in dem er sich hier befand, und da er schon früher in die erste Etage wieder hinab gestiegen war, sollte es dem Büreaudiener wohl schwer werden zu be haupten, daß er gerade in dem „Kutscherzimmer" gewesen sei. Jonas schien von der Begegnung nicht minder bestürzt als sein Herr. Er verneigte sich tief, um seine Verlegenheit zu verbergen; dann entfernte er sich eiligst über die zum Hof hinabführende Treppe. Aus seinem Komptoir trat Etwold in das Nebenzimmer, dessen Thüre durch das Wort „Kasse" ausgezeichnet war. Er sprach dort mit dem Kassirer wegen der zu leistenden Zahlungen für den Tag und begab sich dann in den hieran anstoßenden mehrfenstrigen Saal!, in welchem viele junge Leute an Pulten emsig schrieben und rechneten. DerKom- merzienräth haßte nichts so sehr als Jemanden müßig zu sehen. Er begnügte sich nicht blos mit einem Umblick; er prüfte selbst, was ge arbeitet wurde und ob die Rechnungen stimmten. Heute war die Inspektion ausnahmsweise flüchtig; es drängte Et wold, zu seinem Kinde zu kommen, und wenn er hier noch einen Au genblick verweilte, mußte er wohl einen sehr triftigen Grund dafür haben. Beim nochmaligen Durchschreiten des Kassenzimmers sagte er ganz flüchtig zu dem eben mit Rechnen beschäftigten Kassirer: „Also das Geld liegt auf meinem Tisch." Jener nickte stumm und rechnete wei ter. Etwold aber ging durch sein Zimmer ohne Aufenthalt hinaus und warf die Außenthür in's Schloß. Da diese nur mit dem in seinem Besitze befindlichen Schlüssel zu öffnen war, konnte nun Niemand anders in sein Privatkomtoir ge langen als durch die Kasse. Der schallende Laut der zugeworfenen Außenthür war aber den Büreaubeamten ein erlösendes Zeichen, und die Physiognomie der Arbeitszimmer war sofort eine andere, gemäch lichere. Etwold ging unverzüglich zu seiner Tochter. In ihrem kleinen Salon stieß er auf den Kommissar und Solt- mann, denen eben der Sanitätsrath Edler, sein Hausarzt, das weitere Vordringen mit dem Bemerken wehrte, daß Fräulein Etwold zur Zeit und noch auf Tage hinaus vernehmungsunfähig sei. Der Kommissar schien sich auch damit bescheiden zu wollen, aber Soltmann sagte: „Vielleicht, Herr Sanitätsrath, gestatten Sie mir doch nur eine einzige Frage an die Dame zu richten." „Von meinem Standpunkt als Arzt nein," erwiderte Jener ent schieden; „aber hier kommt ja der Vater, wenn er es dennoch will — ich lehne die Verantwortung für eine solche Interpellation einer schwer Kranken entschieden ab." „Was denn, was denn?" fragte Etwold in ärgerlicher Stimmung. Der Sanitätsrath erklärte mit wenigen Worten die Sachlage. „Nun und —?" fragte der Kommerzienrath schroff. Uneingeschüchtert sagte Soltmann, daß er dennoch wünschen müsse, eine einzige Frage an seine Tochter zu richten. „Und ich untersage Ihnen fortan jede fernere Annäherung an die selbe," erwiderte Etwold mit mühsam verhaltener Wuth. „Soll ich vielleicht das Leben meines einzigen Kindes Ihrer Neugier opfern? Auf den Ausspruch des Sanitätsraths Edler, dessen Name auch Ihnen