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Sache müßten in erster Linie ihre Lokalpresse gewinne» und dieselbe mit Artikeln versorgen. Jeder Leser des inhaltreichen Berichts wird den Eindruck gewinnen, daß die MäßigkeitSbestrebungen in Sachsen täglich an Umfang und Tiefe gewinnen. Das große Publikum beginnt die Gefahr des Alko- holgifte» zu ahnen und weite Bevölkerungsschichten schließen sich zur Förderung^'edlerer Familiensitte zusammen. Der Dresdner Bezirks- Verein fordert Männer und Frauen aller Berufsklassen, Genossen jedes Glaubens und Angehörige aller politischen und religiösen Parteien auf, durch Theilnahme an einem gemeinsamen Rettungswerke ihre verschie denen Richtungen mit einander zu versöhnen und eine bessere sittliche und wirthschaftliche Erziehung unseres ganzen Volkes anzubahnen. Möge diese Aufforderung überall Gehör finden! Vaterländische». — Schon seit einer längeren Reihe von Jahren ist der Kurs der Staatspapiere im Steigen begriffen und noch immer läßt die aufwärts gehende Bewegung kein Stocken an sich erkennen. Hand in Hand mit ihr geht die Rückwärtsbewegung des Zinsfußes aller guten Ka pitalanlagen, was man am besten und unabhängig von andern Ein flüssen an der so sehr beliebten dreiprozentigen sächsischen Rente erkennen kann. Diese hat jetzt einen Kursstand von 87; da sie unverloosbar ist, so ergiebt sich daraus eine Nutzung von 3,448 "/g der Anlage, also noch nicht einmal 3'/, Prozent. Ein weiterer Rückgang des Zinsfußes sicherer Werthe aber ist auch für die nächsten Jahre noch vorauszusehen. Dem gegenüber ist nun daran zu erinnern, daß es in unserm Lande ein Institut giebt, das seinen Zinsfuß nicht verändert, d. i. die Kö nigliche Altersrentenbank in Dresden (Altstadt, Landhausstraße 16^ im Landhaus). Die bei dieser erworbenen Renten können nie ver ringert werden; sie werden in der tarifmäßigen Höhe während der ganzen Versicherungsdauer fortgezahlt. Ist die Rente auf Lebenszeit erworben, so behält sie bis zum Tode des Versicherten ihre Höhe un verändert bei, dafür haftet der Staat. Der von der Altersrentenbank in ihren Rentensätzen angenommene Zinsfuß beträgt allerdings nur 1'/« halbjährlich oder jährlich nur eine Kleinigkeit mehr als 3 V, "/<,, er ist aber damit doch höher als die oben berechnete Nutzung aus 3"/giger Rente. Auch ist hervorzuheben, daß die Renten der Alters rentendank, soweit eS sich um die vielbegehrten sofort beginnenden lebenslänglichen Renten der hohen Altersklassen und die längere Zeit aufgeschobenen Renten überhaupt handelt, höher sind, als sie von ir gend einer andern Anstalt, auch wenn sie ihre Tarife nach einem höheren Zinsfuß als die Altersrentenbank berechnet hat, gewährt werden, was in der großen Verschiedenheit der angewandten Sterblichkeitstafeln oder Absterbeordnungen feinen Grund hat. Für 10,000 M. eingezahlt im Alter von 60 Jahren zahlt die Altersrentenbank vierteljährlich 249 M., eingezahlt mit 70 Jahren 390 M. vierteljährlich auf Lebenszeit. Die Altersrentenbank wird in neuester Zeit außerordentlich stark benutzt, die Einlagen des vorigen Jahres betrugen in Summa 1,322,332 M. gegen 772,335 M. im Jahre 1883 und 594,023 M. im Jahre 1882 und im laufenden Jahre sind der Stückzahl nach bis jetzt schon mehr alS doppelt so viele Einlagen wie im gleichen Zeitraum des vorigen und fast genau so viele Einlagen wie im ganzen Jahre 1883 gemacht worden. Interessant dürfte es für manchen sein zu erfahren, daß unter den neuesten Einlagen auch zwei solche für Einwohner des schwarzen Erdtheils sich befinden, für zwei „feine Sachsen" nämlich, die nach Transvaal ausgewandert sind, aber ihre Staatsangehörigkeit beibehalten haben und für welche durch ihren im Lande verbliebenen Vater Alters renten erworben worden sind. Da sie galanter Weise einer Dame, der in Afrika geborenen Tochter eines Missionars der Herrnhuter Brüdergemeinde, den Vortritt gelassen hatten, so ist die heiße Welt der deutschen Kolonien durch drei versicherte Repräsentanten bei der Altersrentenbank vertreten und können die Vorlesungen über Kolonial politik nun auch bei der letzteren beginnen. Praktisch, wie man sieht, ist diese Politik von derselben schon getrieben worden. — Meißen. Aus den Mittheilungen einzelner Blätter ist bereits bekannt geworden, daß die Kameraden des ehemaligen 3. jetzigen 13. Jäger-Bataillon beabsichtigen in diesem Jahre eine gesellige Znsam- menkunft in ihrer alten lieben Garnisonsstadt Meißen abzuhalten. Zu diesem Zwecke konstituirte sich am 18. v. Abends das Komitee, welches nunmehr die Arbeiten und Vorbereitungen definitiv in die Hand zu nehmen hat. Es waren, einer Anregung im „Tgbl." folgend, ca. 40 Kameraden von Meißen, auch einige Auswärtige, erschienen und fand die geplante Zusammenkunft allseitigen Anklang. Die Zusammenkunft soll Mitte August hier stattfinden und zwar wurde angeregt, den Sonn abend als Empfangstag zu benutzen und mit einem Kommers am Abend einzuleiten, am Sonntag soll ein Aktus am Kriegerdenkmal, dann ein gemeinschaftliches Mittagseffen, ein Ausflug und Abends Konzert nebst einer geselligen Vereinigung mit den Bürgern der Stadt stattfinden. Der Montag kann dann beliebig benutzt werden. DaS Komitee hat sich bereits mit der Behörde in Verbindung gesetzt und findet die Idee auch von dieser und der Seite der Bürgerschaft allge meine Unterstützung. Um nun die im ganzen Lande zerstreuten Ka meraden, die beabsichtigen, an dieser freien Vereinigung theilzunehmen, kennen zu lernen, werden dieselben hierdurch ersucht, ihre Bereitwilligkeit dazu und ihre genauen Adressen recht bald und spätestens bis 1. Mai d. I. dem Vorsitzenden des Komitee's, Hrn. Heinrich Theil in Meißen, Königl. Porzellanmanufaktur, mitzutheilen, worauf dann das Weitere mit militärischer Pünktlichkeit veranlaßt werden wird. — Hoffen wir, daß das geplante Unternehmen allseitig unterstützt wird und wie ge plant zur Ausführung kommt; dann wird es ein schönes Fest, ein Zeichen werden, daß die alten Kameraden auch nach langen Jahren noch ihre alte Anhänglichkeit an die Stadt Meißen bewahrt haben. Wir nehmen an, daß Alle hier herzlich willkommen sind. Die Grafen von Dürrenstein. Original-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Aorlsetzung.) Rosenkranz stand am Fenster des Wartezimmers, als der Graf fortritt. Er starrte ihm nach und schüttelte dann, einen Seufzer un- terdrückend, den Kopf. Der Oberkellner machte sich in seiner Nähe geflissentlich zu schaffen; als jener sich umwandte und eine Flasche Wein bestellte, reichte er ihm höflich die Karte. Der Fremde starrte wie abwesend darauf nieder und deutete mechanisch auf Sherry. AlS dem Fremden der Wein gebracht wurde, warf er ein Gold- stück hin, wehrte den Ueberschuß mit einer vornehmen Gebärde ab und fragte gleichgültig: „Lebt der alte Graf Dürrenstein noch?" „Ja, Ew. Gnaden, war vor einer Stunde hier, um mit dem Zug nach X. zu fahren." „Wie lange ist der junge Graf zurück? War doch jahrelang auf Reisen, nicht wahr?" „Der junge Graf ist seit dem Oktober zurück, soll zehn Jahr« fortgewesen sein, wird sich bald vermählen." „So, so — ist nicht noch ein Bruder von ihm vorhanden?" „Mir nicht bekannt, Ew. Gnaden! Bin erst seit einem Jahr aus dieser Station." „Ich danke Ihnen, mein Lieber! Wann kommt ein Zug wieder durch?" „In zwei Stunden, Ew. Gnaden zu dienen, es ist der Zug nach dem Norden." „Ich meine nach L.?" „Ach, der kommt erst um zehn Uhr, eS ist ein Nachtzug." Der Reisende zog seine Uhr und stampfte leicht mit dem Fuß. Erst drei Uhr Nachmittags, das war fatal. „Wie weit ist's von hier nach L.?" fragte er hastig. „Bier Meilen, Ew. Gnaden!" „Kann ich hier einen Wagen oder ein Pferd gegen gute Be- Zahlung bekommen?" Der Kellner zuckte die Achseln. „Schwerlich, Ew. Gnaden! Und doch wär's möglich," setzte er lebhaft hinzu, „wenn Ew. Gnaden mit einem Grobian anbinden möchten." „Bah, mit einem Grobian werde ich schon fertig, wer und wo ist er?" „Ew. Gnaden sehen jenes Haus dort nahe am Gehölz?" „Ja — wohnt der Grobian dort?" „Es ist das Haus des alten Försters Diethelm, der mit dem Grafen Dürrenstein früher die tollen Jagden abgehalten hat, auch mit dem jungen Herrn, als dieser noch ein Wilder gewesen. Späterhin hat der Förster sich mit dem alten Majoratsherrn arg entzweit, hat den Dienst gekündigt und sich dort den Bärenzwinger, wie er eS selber getauft, nachdem er das Gehölz vom Grafen Stromberg erstanden hatte, hinbauen lassen. Der alte Diethelm besitzt Pferd und Wagen, gerade nicht fein und bequem, aber doch genügend, um nach L. damit zu kommen, da der Gaul ein barbarischer Renner ist." Werner Rosenkranz hatte während der eifrigen Rede des Ober kellners mehrere Male zufrieden vor sich hingenickt und die Rechte in die Tasche geschoben, jetzt drückte er demselben wieder etwa- in die offene Hand und sagte mit entschlossenem Tone: „Ich gehe zu dem alten Förster in den Bärenzwinger — da, mein mein Freund, bewahrt mir den kleinen Koffer bis ich wiederkehre oder denselben holen lasse." Er nickte freundlich und schritt rasch hinan» von dem dienstfertigen Oberkellner geleitet. Der alte Diethelm stand vor der Thür, aus seiner kurzen Jagd pfeife dicke Wolken in die reine Winterluft hinousqualmend. Der Tag war schön und klar, vom Himmel sandte die Sonne einen Hellen Schein in die Menschenbrust, und umwob mit ihrem letzten Strahl daS graue Haupt des wetlergehärteten alten Jägers, zu dessen Füßen ein mächtiger Jagdhund saß, seinen Herrn aufmerksam anschauend. Der Winter hatte sich bislang recht zahm gehalten, nur wenig von seinen Attributen, Schnee und Eis gespendet, und dafür verrätherisch schon hie und da neugierige Knospen hervorgelockt, um die armen FrühlingS- kinder doch später erbarmungslos zu vernichten. „Verkehrte Welt", brummte der Alte, die Pfeife ausklopfend, „alles zur unrechten Zeit —ist mir das ein Winter! WaS sagst du, Trimm?" fuhr er den Hund an, als dieser den Kopf hob und mit wüthendem Gebell aufsprang. „Kusch, mein Bursche, kusch! — Wen haben wir da? — Was wünscht der Herr vom alten Diethelm?" Mit diesen Worten richtete sich der Alte stramm empor, setzte den rechten Fuß auf den knurrenden Hund und blickte den sich rasch nä hernden Rosenkranz mißtrauisch an. „Sie sind der Förster Diethelm?" „Natürlich bin ich das, was will man von mir? Man hat ihn neugierig gemacht auf den Bärenzwinger, he? Wird nicht» gereicht, mein feiner Herr — umgekehrt, marsch nach der Eisenbahn zurück, oder der Hund hier soll ihm den Weg weisen." „Na, grob sind Sie hinreichend, alter Knasterbart!" lachte der Fremde wohlgefällig, „und schlechteren Taback habe ich selbst bei den Wilden nicht gerochen. Doch verschlägt das wenig bei einem alten Jäger, wie ich einer bin — kenne andere Jagden, Vater Diethelm, so ein tüchtiger Grizlibär ist ein anderer Bursche als ein scheues Reh oder HäSlein. Hab' mich mit Löwen und Tigern hermgeplagt und manchen Krokodil eine blaue Kugel in den Kopf gejagt." „Daß Dich, kann der aufschnciden", brummte der Alte, die Pfeife aus dem Mund nehmend, und den Fremden verwundert anstarrend. „Nein, mein Bester, keine Aufschneidereien, war mit dem Grafen Dürrenstein zuletzt in Palästina." „Ach — mit dem —" sagte Diethelm gedehnt, „trug er vielleicht auch die feinen Glacees auf der Bären- und Löwen-Jagd?" Der Fremde schüttelte den Kopf. „Sah ihn vorhin, den jungen Herrn", versetzte er mit einem ver ächtlichen Lachen, „traf ihn auf dem Bahnhof, wollte mich nie gesehen haben — Wetter ja und wir waren vor wenigen Monaten noch Duz brüder. Ist es der Albrecht denn wirklich? Mir kams erst so vor, nachher nicht mehr, obwohl er sich als wirklicher Graf Albrecht auf spielte." „Ja, ist ein zahmer Rehbock aus dem tollen Eber geworden", bemerkte Diethelm wegwerfend. Rosenkranz zog ein Taschenbuch her vor und suchte darin umher. „Kennen Sie diesen Mann, Vater Diethelm?" fragte er, ihm eine kleine Photographie hinreichend, „hat mir oft von Ihnen erzählt." Der Alte ergriff das Bild, hielt es prüfend vor sich hin und nickte dann freudig überrascht. „Das ist der frühere Albrecht", sagte er erregt, „ich erkenne ihn am Blick, ein Paar gottlos feurige Augen, nicht wahr?" „Er besaß diese Augen noch vor einem halben Jahre, als ich im gelobten Lande Abschied von ihm nahm", versetzte der Fremde ruhig. „Aber der heutige Albrecht — ich sah ihn erst zweimal, besitzt sie nicht mehr", rief Diethelm erstaunt. „Nein, dieser Albrecht Dürrenstein, welcher mir heute so vornehm und gemessen entgegentrat und mich, seinen besten Freund und alten Jagdgefährten, nicht wieder erkannte, nach einem Halden Jahre. Herr Diethelm, dieser Albrecht hat den blasierten Blick eines vornehmen Kavaliers." , „Richtig", nickte der Alte starr auf das Bild blickend, „sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich bis auf die Augen, waren Zwillinge, der Albrecht zwei Stunden früher geboren als der andere, im Blick lag's, wenn die Farbe der Augen auch so ziemlich gleich sein mochte. Bah, Herr, beim Albrecht sah man nichts von der Farbe, nur fun-