Volltext Seite (XML)
In den ersten Zeilen der zweiten Strophe ist zum Ausdruck gebracht, daß der Kenner in dem Werk nicht den Virtuosen, sondern den Dichter suchen soll, den romantischen Tondichter, dessen Berufung es war, die Romantik, seine ganz eigen gefärbte Ro mantik in ein prunkvoll schillerndes Gewand zu stecken. Die 7. Sinfonie L. v. Beethovens, in Kriegsläuften ent standen, mit einer Kriegsmusik „Die Schlacht bei Vittoria“ zu sammen uraufgeführt, wurde von Richard Wagner in genialer Erfassung ihres Wesens als die „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet. Tanz, verstanden im geistigsten, in einem schon religiösen Sinne, so wie ihn die Griechen kannten. Und dieser Tanz ist wohl vereinbar mit der Idee des Sinfonischen, die in dem Werk keines wegs verleugnet wird. Man betrachte daraufhin nur einmal die Einleitung des ersten Satzes, eine langsame Einleitung, wie sie Haydn so vielen seiner Sinfonien vorausgehen ließ. Beethoven hat gerade die Einleitung zur 7. Sinfonie mit besonderer Liebe aus gearbeitet, hat sie mit einer Gedankenfülle ausgestattet, die zunächst gar nicht mit dem Grundcharakter des Werkes zu harmonieren scheint. Sie hat mit dem zarten Holzbläser motiv zu Beginn eher etwas Besinnliches an sich. Aber wir spüren bald, daß es weniger ein Insichruhen ist als vielmehr ein mühsam zurückgedrängtes Gespanntsein (so wie der gespannte Bogen vor Unruhe zittert), das sich immer wieder verrät: in den aufwärts steigenden Sechzehnteln, in den atemlosen Pausen. Sie leiten über zum eigentlichen ersten Satz, der nicht mit einem Thema, sondern mit einem Rhythmus beginnt. In vier Takten wird sozusagen der „Tanz an sich“ proklamiert. Dann erst setzt in den Flöten das Hauptthema ein, im Piano, später bringen es die Streicher im Fortissimo. Dieses federnde Thema beherrscht den ganzen Satz, auch das zweite Thema steht in seinem Bann, es ist im Grunde nichts Neues. Auch die Durchführung wird von dem Rhythmus des Hauptthemas beherrscht, und so ist der ganze Satz ein einziger Rausch von Glück und Freude. Gelegentlich huschen Schatten vorbei. So im Überleitungsthema, so in der Koda, wo zu den lichten Figuren der Violinen und dem Orgelpunkt-E der Bläser in den tiefen Streichern ein drohend schleichender Basso ostinato ertönt. Um so hinreißender, um so feuriger und freudiger ist der Aufschwung, den der Satz dann wieder mit dem Hauptrhythmus nimmt. Nicht ganz leicht ist der zweite Satz auf den Generalnenner des Tanzes zu bringen. Für Beethoven dürften bei der Gestaltung des zweiten Satzes lediglich musikalisch formale Gründe bestimmend gewesen sein. So schrieb er nach dem jubelnden Über schwang des ersten Satzes dieses Allegretto, dieses fast wie Trauermarsch anmutende gemessene Schreiten. Auch hier nicht eigentlich ein melodisches, vielmehr ein rhyth misches Thema. Das Ganze ist ein melancholisches Herbstgedicht, in dem Bratsche und Cello und‘dann diezweiten Geigen leise vor sich hinzuweinen scheinen. Der Mittelteil hellt das Bild etwas auf, allerdings bleiben die Bässe bei ihrem eigensinnigen dumpfen Pochen. In der ganzen Stimmung ist dieser Satz schubertisch. Und es ist wohl nicht zu kühn, wenn man, um die Reichweite des Beethovenschen Genius zu umreißen, behauptet, daß das folgende Scherzo brucknerische Entwicklungswege vorausgeht. Es ist lustig und ausgelassen, es ist wieder echter Tanz, wenn auch kein zierliches Menuett, wie es an den Höfen der Fürsten getanzt wurde, eher ein wilder Tanz von Naturgeistern, von Ko bolden und Käuzen. Religiöses schiebt sich diesmal in einer merkwürdigen Klarheit und Betontheit ein. Das „Trio“ nämlich wird von einer Weise beherrscht, die Beethoven einem österreichischen Wallfahrtsgesang nachgebildet haben soll. Auch das ist brucknerisch. Der vierte Satz endlich ist ein bacchantisches Rasen, ein orgiastisches Sichausleben, das in seiner fast primitiven musikalischen Faktur ungeheuer gesund anmutet, ein natur- haftes Sichlösen von aller Konvention, eine letzte Steigerung der Linie, die nach der Einleitung des ersten Satzes sich ins Unendliche erhoben hatte. Dr. Karl Laux. L van Beethoven: Siebente Sinfonie