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L787 Herzen erfahren. An sich selbst waren sie «r inne geworden: „ES ist in kei nem Andern Heil", und gerade diese innere Erfahrung, da« Zeugniß der tie fen Religiosität war die Quelle jene» hohen Ernste-, womit sie diesen Glau iben vor der Weit bekannten und die Sache desselben betrieben, die Quelle der Beharrlichkeit, womit sie am Princip festhielten, der Kraft, womit sie «5 geltend machten, der Treue, womit sie Alle- dafür wagten und Allem ent sagten, und die Quelle der Zuversicht, womit sie auf den Sieg diese- Glau ben- vertrauen-voll hofften. Ob die Deutsch-Katholiken die Bahn einer solchen sittlichen Läuterung durchschritten sind, daß man sagen kann, ihr Lehrbegriff sei eigentlich nur der Mester ihre« innern Zustandes, er habe sich aus dem Herzen herausgebildet, sie haben den Jrrthum an sich selbst überwunden, und so die Ueberzeugung, zu der sie sich bekennen, gewonnen, das ist bis jetzt nicht vollkommen klar. Sie rühmen sich zwar, im organischen Statut 8- 65, „vor allen andern sicht- haren Kirchen den Geist der Lehre Jesu auf das reinste und richtigste aufge faßt und dargestellt zu haben", allein ich muß bekennen, daß ich neue eigen- thümliche Glaubenswahrheiten in ihrem Bekenntnisse durchaus nicht gefunden habe, daß es an einem cigcnthümlichen, klaren und festen religiösen Princip bei ihnen fehlt, und wenn sie in ihren Reden und Schriften eine hohe Be geisterung für Licht und Recht, für Freiheit und Vaterland an den Tag le gen, so ist das sehr zu ehren, und ich erkenne es gern und willig an; so lange sie aber in der Hauptsache, in dem religiösen Princip, noch so ungewiß find, daß das GlaubenSbekenntniß von Elberfeld, Berlin, Schneidemühl ganz anders lautet als das breSlauer und leipziger, so lange scheint es mir an ber innern Seele zu fehlen, aus welcher eigentlich alles kirchliche Leben her vorgehen muß. Ich will ihnen deshalb durchaus keinen Vorwurf machen, die Sache ist noch im Anfang, im Werden begriffen Das Wesen ihres Bekennt- visseS ist ein gemäßigter Rationalismus in der Lehre, wie er auch in der evangelischen Kirche seit vielen Jahren hervorgetreten, und ein edler Libera lismus in der Verfassung, wie er von vielen unserer Glaubensgenossen gc- theilt wird. Die Richtung ihres historischen Bewußtseins geht zurück auf die apostolische Zeit; aber wie soll die große Brücke gebaut werden über die 19 Jahrhunderte, die uns von derselben trennen? Endlich ist ihre Tendenz un streitig die Realisirung eines Ideals, wie es schon dem großen Leibnitz im 17. Jahrhunderte zur Zeit der irenischen Versuchs mit Bossuet und andern Bischöfen der römischen Kirche vorschwebte, nämlich die Herstellung einer all gemeinen und selbständigen Kirche, die bei aller Mannichfaltigkeit und Ver schiedenheit abweichender Glaubensmeinungen dennoch den Zweck des Chri stenthums, einen in thätiger Liebe sich bewährenden Glaubens zu verwirkli chen strebt. Sie bezweckt also eigentlich eine Synthesis der Thesis, die im KatholiciSmus, und der Antithesis, die im Protestantismus vorlicgt, eine Synthesis, welche, wenn sie realisirt werden kann, gewiß vielen Leiden der Menschheit Abhülfe zu schaffen verspricht. Dieser Zweck ist jedenfalls alles Beifalls werth, eS ist ein politisch religiöser Zweck, den sic verfolgen. Allein ob die Mittel, die sie dazu anwendcn, die geeigneten sind, ob namentlich das vom geehrten Sprecher vor mir schon bemerkte wechselnde Zeitbewußtsein ein Kriterium, ein Probirstein der ewigen und unwandelbaren Wahrheit des göttlichen Wortes sein kann, muß ich sehr bezweifeln und muß mich nur der frohen Hoffnung überlassen, cs werde künftig unter Gottes Beistände die Probe, die ihnen jedenfalls in mancherlei Kämpfen bevorsteht, von ihnen wür dig bestanden werden und sie werden sich innerlich immer mehr consolidiren. Darum sehe ich jetzt von dogmatischen Bemerkungen gänzlich ab, die ohnehin für eine politische Versammlung kaum gehören dürften, und wende mich zur eigentlichen Hauptfrage, die es hier gilt: welche staatsrechtliche Stellung den Deutsch-Katholiken den von dem Staate bereits anerkannten Kirchen und dem Staate selbst gegenüber anzuwcifen sein dürfte? Und hier muß ich bemer ken, daß ich in der Hauptsache sowol mit den Vorschlägen der hohen Staats regierung als auch insbesondere mit dem Gutachten der geehrten Deputation vollkommen übereinstimme. Unterdrückung der Glaubens - und Gewissensfreiheit, welche die Verfassungs urkunde allen LandeSeinwohnern garantirt, würde ich für die größte Schmach des Jahrhunderts und das allerverderblichste Unglück halten. Davon sehe ich gänzlich ab. Zur völligen Anerkennung aber der Deutsch-Katholiken scheint es mir jetzt noch nicht Zeit zu sein; ihr Lehrbegriff, ihre Verfassung haben noch nicht eine feste Konsistenz gewonnen, und ich möchte in ihrem eignen Interesse wünschen, daß sie sich zuvor selbst erst von innen noch mehr ent wickeln, daß sie sich besser begründen möchten. Daher scheint mir der Weg der freiesten Duldung der einzig richtige zu sein, der zwischen beiden Extre men in der Mitte liegt. Sollte aber die Staatsregierung einen Gesetzent wurf zu einer staatsrechtlichen Anerkennung noch auf diesem Landtage brin gen, so muß ich abwarten, wie dieser ausfällt. Ich würde auch dem nicht unbedingt entgegentreten; allein die Gründe für die freieste Duldung liegen einmal im Christenthum, dann im Geist der evangelischen Kirche, ferner im Recht und endlich in der Politik. Im Christenthum liegen sie, denn Chri sten sind die Deutsch-Katholiken ganz gewiß; das ist wol eine Wahrheit, in der wir alle zusammenstimmen. Sie erklären die heilige Schrift als die Quelle der Erkenntniß des Glaubens und der Norm für das Leben, sie feiern die heiligen Sacramente ganz in evangelischer Weise, sie erblicken auch in Christus selbst ihren Heiland, wenn ich auch damit nicht zufrieden sein kann, daß sie gerade da« Specifische des ChristenthumS, die Lehre von der Person Jesu, so kurz und so bloß hingestellt haben, sodaß man selbst nicht weiß, ob sie daS gethan haben bloß au« Rücksicht auf ihren Zweck, eine allgemeine Kirche zu stiften, oder aus Scham, den Herrn zu bekennen. Wenn wir sie aber al« Christen betrachten müssen, so gilt in Bezug auf sie daS Wort des Apostels- „Wer bist du, der du einen Andern richtest? Lebt er seines Glau bens, so steht und fällt er seinem eignen Herrn." Ein zweiter Grund, warum ich glaube, daß ihnen die freieste Duldung gebührt, ist der Geist der evange lischen Kirche. Dieser ist ein Geist der nur durch daS Evangelium begrenz ten Glaubens- und Gewissensfreiheit, daS ist ihr Lebenselement, in dem sie gedeiht und gedeihen kann. Was sie aber für sich selbst in Anspruch nimmt, ^>S darf sie auch Andern nicht versagen. Luther selbst sagt einmal: „O, daß doch Gott wollte, daß meine und aller Lehrer Auslegungen untergingen, und jeder Christ nur die Schrift und Gottck Wort vor sich nähme." Darum müssen wir trotz dem, daß das deutsch-katholische Bckenntniß viel Abweichendes Hat, bekennen, e« theilt mit der evangelischen Kirche ihr formelles Princip: die heilige Schrift, und «in materielle« Princip insostrn, al« e« den Zwiespalt zwischen Göttlichem und Menschlichem, zwischen Geistlichem und Weltlichem durch da- Bekenntniß de« geistlichen Priesterthum« aller Christen aufhedt. Ein dritter Grund für meine Behauptung liegt in der BerfaffungSurkunde. ES ist be reit« vorhin schon bemerkt worden, daß die Deutung des 8- 52 unstreitig auf einen PrivatgotteSdienst bezogen werden muß. Denn wenngleich im De cket eine Andeutung zu liegen scheint, al« ob hier von der einfachen HauS- andacht die Rede sei, ich sage, scheint, denn klar ist dies nicht ausgedrückt, so muß doch jedenfalls der PrivatgotteSdienst als Sinn dieses Paragraphen angesehen werden. Es liegt daS nicht bloS in dem Ausdruck: „Schutz — in der Gottesverehrung seines Glaubens"; denn die Hausandacht ist ein Theil des Hausrechte, wozu eS keines Schutzes durch die BerfaffungSurkunde be darf; es ergibt sich daS auch aus den Landtagsverhandlungen von 1831. Die Regierung selbst bezieht sich darauf in den Motiven und sagt aus drücklich, daß der von den Ständen von 1831 beantragte Zusatz: „Die ein fache HauSandacht darf daher Niemandem, zu welcher Religion er sich be kenne, verweigert werden", wider die dem damaligen §. 29 des Entwurfs zum Grunde gelegte Absicht, Privatcultus auszudrücken, gelaufen sei. Freilich ist mit diesem Paragraphen an sich den Deutsch-Katholiken noch nicht geholfen, denn es wird mit der einen Hand gegeben, was mit der andern genommen wird. Der Schutz der GotteSvcrehrung in ihrem Glauben ist ihnen zugesagt, aber nur in der künftig gesetzlich zu bestimmenden Weise; die Modalität die se« Schutzes muß vorher erst auf verfassungsmäßige Weise bestimmt werden. Wenn daher der Anfang der deutsch-katholischen Bewegung in Sachsen un mittelbar nach Schluß eines Landtags eingetretcn und der nächste noch drei' Jahre entfernt gewesen wäre, so hätte das ganze Verhältnis noch drei Jahre unregulirt bleiben, oder ein außerordentlicher Landtag cinberufen, oder 8-87 der Verfassungsurkunde in Anwendung gebracht werden müssen Doch ich erwähne das blos, um das Recht des Privatcultus aus der Berfaffungsur- kunde nachzuwcisen. Dann fodert auch die Politik die freieste Duldung, ein mal schon der öffentlichen Meinung wegen. Denn in ganz Deutschland er klärt sich die öffentliche Meinung mit wenig Ausnahmen für die Deutsch-Ka tholiken. Das beweist die lebhafte Lheilnahme, die sie überall gefunden ha ben, die zahllosen Adressen, die an ihre Stifter ergangen, und die Unter stützungen aller Art, welche sie theils transitorisch, theils bleibend gefunden, und namentlich auch das Verlangen des Volks, daß man ihnen Kirchen cin- räumen möge, und die Lhatsache, daß ihnen wirklich an vielen Orten Kir chen eingeräumt worden sind. Sie haben in unserm sächsischen Vaterland eine so große Sympathie gefunden, daß man daraus erkennt, das Verlangen nach ungeschmälerter Glaubens - und Gewissensfreiheit ist eine Macht geworden, der man nicht widerstehen kann, und wenn man ihr widerstehen wollte, so würde am Ende ganz Deutschlgnd Gefahr laufen, in Zerrüttungen der traurigsten Art zu verfallen. Die Politik scheint es schon darum zu fodern, weil die öffentliche Meinung entschieden dafür ist, noch mehr nach den Vorgängen vie ler anderer Staaten, namentlich eines großen Nachbarstaats, Preußen. In Preußen wollte man sich völlig neutral halten, und die Cabinetsordre vom 30. April d. I. spricht es ausdrücklich aus, man solle der deutsch-katho lischen Bewegung weder hemmend ontgegentreten noch sie fördern und unter stützen. Allein bereits unterm 8. Jul- d. I. wurde diese Bestimmung wesent lich dahin modificirt, daß, wo die Behörden und Gemeinden nach Maßgabe der Umstände den Mitgebrauch evangelischer Kirchen gestatten wollten, dieser auch gestattet sein solle. Nach diesen Vorgängen kann Sachsen unmöglich zurückbleiben, und die hohe StaatSregicrung verdient jedenfalls in dieser Hinsicht den Dank aller Freunde des Vaterlandes, daß sie den Foderungen der Zeit Genüge zu leisten suchte. Dann hauptsächlich fodert es auch das Interesse der Religion, der Humanität, der Nationalität, der Monarchie und der constitutionellen Ver fassung, den Deutsch-Katholiken die freieste Duldung zu gewähren. Das In teresse der Religion fodert es; denn sie sind Christen, und der Segen einev feierlichen gemeinsamen Gottesverehrung darf ihnen weder vorenthalten noch auf irgend eine Weise verkümmert werden. DaS höchste Interesse des Staats selbst, Religiosität und Sittlichkeit, würde dadurch benachthciligt fein; wir müssen überdies noch bedenken, daß in dieser Gemeinde Mitglieder sind, die selbst bekennen, daß sie 10 und 15 Jahre lang weder in eine Kirche gekom men noch zum Abendmahle gegangen sind- Man sollte Gott danken, daß durch diese Bewegung jene scheinbar erkalteten Herzen wieder zu erwärmen anfangen. Duldung ist aber auch im Interesse der Humanität. Mit dem katholischen Volk ist mir niemals der mindeste Zwist oder Hader vorgekom- mcn; allein des Richtens und Verdammens der römischen Hierarchie ist man in ganz Deutschland herzenSmüde. Da nun die Deutsch-Katholiken erklärens: sie wollen von diesem Richten und Verdammen nichts mehr hören, es solle aber auch von ihnen dergleichen nicht ausgehen, so nehmen wir dieses Aner bieten dankbarlichst an und erklären uns bereit und willig dazu, mit den Deutsch-Katholiken als Brüdern den Weg zur Ewigkeit, wenn auch in einer etwas abweichenden Richtung, so zu gehen, daß wir einander ohne Hader und Streit, mit Achtung, Liebe und Vertrauen begegnen. Das Band Einer Na tionalität ist um uns geschlungen. Deutschlands Ehre, Deutschlands Einheit aber ist ein eitler Traum, so lange die verheerende Flamme des religiösen Fanatismus in seinen Eingeweidcn brennt und von außen her immer von neuem geschürt wirb. Streben nun aber die Deutsch - Katholiken dahin, diese' Flamme zu löschen, so ist auch im Interesse der Monarchie und des constitu tionellen Lebens ihnen freie Duldung zu gewähren, denn nur dadurch kann dem Conflicte zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, der so oft in Hin sicht der katholischen Unterthanen die Regierung stört unv hemmt, ein Ende gemacht werden, wenn man im Geiste wahrer Bruderliebe und eines durch Liebe thätigcn Glaubens, wie cs da« deutsch-katholische Bekenntniß verlangt, lebt und handelt. Ich danke daher der verehrten Deputation hier verbindlichst für das gründliche Gutachten, das sie uns gegeben hat- Nur drei Einwendungen habe ich dagegen zu machen: nämlich in Hin sicht des Namens, der Modalität der Ausführung und in Hinsicht der Pa- rochiallasten- In Hinsicht des Namens hat sich die Deputation desselben Aus drucks bedient, der allerdings invemDecrcte gegeben wurde: „die sich Deutsch- Katholiken nennenden Dissidenten". Allein der Ausdruck „Dissidenten" er innert zu sehr an die invidiösen Religionsverfolgungen, die im 17. Jahr hundert in Polen her Untergang dieses Reichs geworden find. Ich kann nicht